Das Konzert am 27.11.2009


Da mir dieses Mal die Worte fehlen, war Günther „Günni“ Klößinger so gut, mir seinen Text zur Verfügung zu stellen. Er hat das Konzert und die Stimmung sehr gut in Worte gefasst: Viel Spaß dabei.

Von Marabus und Wikingern - eine Razzia der Gefühle…

Es war einmal, vor langer, langer Zeit, da entschwand ein kleiner Junge aus der Schule und damit auch aus den Zwängen des Lebens. Er flog einfach auf seinem Papierflugzeug davon, traf einen majestätischen Marabu, der ihn mit nach Rockpommel’s Land nahm. Ein Fantasy-Paradies? Nö, leider nicht - denn hier hat man die fröhlichen Kinder weggesperrt, mitsamt ihrem väterlichen Kumpel, Mr. Glee… aber der kleine Junge namens Ernie und der Marabu schaffen es doch tatsächlich, die beherrschenden Brutalos, die allgemein als „Blackshirts“ bekannt sind, in Steinwesen zu verwandeln und ganz nebenbei die Kinder und Herrn Glee aus den Kerkerhöhlen zu befreien - und damit eine güldene Zukunft für „Rockpommel’s Land“ einzuläuten - „free from hate is Rockpommel’s Land“ kichern, johlen und glucksen alle Betroffenen und feiern im Konfettiregen eine wilde Party… ein Finale, wie es im Märchenbuche steht… äh, Moment mal - Finale? Im Märchenbuch wäre das so - nicht aber hier: bei einem „Grobschnitt“-Konzert fängt an dieser Stelle die „Next Party“ erst an!

Fotos: Rockpommel's Land - Live

    

    

    

    

    

    

Und so geschah es auch am 27.11.2009 im Capitol zu Vatikanstadt… äh, ‚tschuldigung, ich meine natürlich Hannover (wusste doch, dass es irgend ‚ne Hauptstadt war!). Es war das zweite Mal nach über 30 Jahren, dass die Band ihr populäres Rockmärchen in voller Länge und um eine Ouvertüre und ein Zwischenspiel erweitert, zur Aufführung brachte. Premiere war einige Wochen zuvor beim Heimspiel in Hückeswagen gewesen… damals merkte man sowohl der Band als auch dem Publikum eine gewisse Anspannung durchaus an… Premierenfieber war angesagt, und der Erwartungsdruck war natürlich riesig. Für sehr viele Fans ging ein Traum in Erfüllung, aber wie es mit erfüllten Träumen so ist: manchmal fühlt sich die Erfüllung eben auch schal an, knallt frontal an eine überhohe Mauer von vorgefassten Erwartungen, Wunschdenken und verklärten Erinnerungen. Wer in Hückeswagen dabei war, weiß, was passierte: die kühnsten Erwartungen wurden übertroffen und unzählige gestandene Männer und Frauen brachen angesichts der Neufassung dieses Rockklassikers in Tränen aus… zu keiner Zeit war da das Gefühl einer nostalgischen Zeitreise in eine glorreiche Vergangenheit - das war „Rockpommel’s Land“, hier und heute, alive and kicking!

    

                   

    

    

    

    

Nun aber die zweite Aufführung, in Hannover; diesmal war dieser immense Druck des „ersten Mals“ weg - und die Band spielte locker und befreit von jeglichem Premierenfieber dieses vertrackte Stück progressiver Rockmusik - diesmal mit dem Bewusstsein: „Oh yes, we CAN !!!“ - und sie konnten: das Stück kam gar so souverän herüber, dass man völlig vergaß, dass es lange Jahre als nahezu unspielbar galt. Gerade die vertrackten Wechsel in Rhythmik und Tempo wurden von der Rhythmusgruppe mit fast schon beängstigender Sicherheit gemeistert - Demian Hache an Drums und Percussion beeindruckte vor allem in „Severity Town“, aber auch Top Sahne Möller hatte die Welt der Trommeln voll im Griff, während Milla Kapolke am Bass das Bindeglied zwischen Melodik und Rhythmik herstellte. Nur selten hört man Bassisten, wo Emotionalität so spürbar aus den Tieftönern erklingt.

    

                   

    

                   

    

    

Die Gitarrenparts dieses einstündigen Opus klingen locker und federnd, wer aber jemals eine Klampfe in den Fingern hatte und versucht hatte, mal so ein wenig zur Plattenaufnahme mitzujammen, weiß, dass nicht alles, was schön klingt, auch leicht zu spielen ist… hier ist eher das Gegenteil der Fall. Nuki Danielak und Manu Kapolke allerdings spielen dieses Stück nicht - sie leben es. Erstaunlich, denn die Entstehung dieses Werks datiert noch vor ihrem eigenen Einstieg ins Leben. Dieser Aspekt ist sicher verwandt mit dem Spiel junger Orchestermusiker, die alte Meister spielen - und es funktioniert und damit wächst die Hoffnung, dass auch „Rockpommel’s Land“ irgendwann einmal zu den Klassikern des Rock gehören wird und auch noch in 100 Jahren junge Musiker vielleicht noch Spaß daran haben werden. Time will tell…

Das Gitarrenduo Manu und Nuki wird tatkräftig von Altmeister Willi Wildschwein (= Daddy Danielak) unterstützt, der zeitweise sein gewohnt präzises Rhythmusgeflecht auf der Akustikgitarre entfaltet.

    

    

    

    

    

    

„Rockpommel’s Land“ ist natürlich auch sein Paradestück als Sänger: er hat die Leadvocals im kompletten Stück inne - und man spürt, dass diese Songs 30 Jahre in ihm und er an ihnen arbeitete… jede Nuance des Textes wird getroffen und die märchenhafte Athmosphäre steht und fällt mit dieser Stimme. Willi zeigt, dass er nicht nur das Handwerk eines Rocksängers (…. Äh, müsste das nicht eigentlich „Mundwerk“ heißen?... na, egal…) beherrscht, sondern auch ein begnadeter Geschichtenerzähler ist. Der Harmoniegesang von Toni Moff Mollo veredelt die Vokalpartien und erweitert die ursprünglichen Originalarrangements noch um eine kleine, aber entscheidende Note.

Keyboarder Tatti Tattva spielt hingebungsvoll und mit Ehrfurcht, untermalt die teilweise folkig anmutenden Gitarrenpassagen mit poetischen Klangfarben, hält dass Stück am Fließen und zeigt sich in den solistischen Passagen als gefühlsbetonter Virtuose.

    

    

Dank der Großbesetzung in der aktuellen Kappelle können auch Passagen, die bislang nur auf der Studiofassung zu hören waren, live gespielt werden - am bewegendsten ist für mich hier der instrumentale Schlusspart: zu den Orgelakkorden ertönen auf der Plattenversion noch Piano-Kaskaden… und diese sind nun auch Teil der Live-Performance: Manu stellt die Gitarre weg und wechselt an’s E-Piano… und das Finale dieses beeindruckenden Rockmärchens erklingt in seiner ungebremsten Schönheit… Ein wirklich würdiges Finale…

Also - Finale verklungen, Applaus brandet auf - die Herzlichkeit, die von der Bühne geströmt war, wird nun erwidert… und alle gehen froh nach Haus…

Fotos: Die Party

    

    

    

    

     

                   

Nun, so wäre es wohl bei vielen anderen Rockbands - nicht aber bei „Grobschnitt“… nach einer viertelstündigen Pause geht der Abend in die zweite Runde. Und der zweite Set startet wesentlich härter und tanzbarer als die erste Hälfte - und das ist auch dringend nötig: „Rockpommel’s Land“ ist ein Genuss zum Zuhören und -schauen, ein schönes, musikalisches Märchen… aber dieser Gefühlsstau muss sich auch wieder auflösen können - kaum erklingen die ersten wuchtigen Akkorde von „Razzia“, wird getanzt, mitgesungen, abgefeiert - no sleep ‚til „Illegal“: der nächste Politknaller geht nahtlos aus der „Razzia“ hervor und die allseits bekannte „Mary Green“ lässt sich ebenfalls nicht lange bitten - dann zum Abkühlen die zarte Instrumental-Ballade „Silent Movie“. Dann „Könige der Welt“, in der die melodische Poesie von „Rockpommel’s Land“ wieder anklingt, aber mit größerer Wucht und Ethnoanleihen… ein weiterer Beweis für die stilistische Vielfalt dieser Ausnahmeband!

    

     

    

    

    

                   

Was dann kommt, ist nach der bislang abgelieferten Leistung der Gruppe wirklich nahezu kaum zu glauben: „Solar Music“, in einer 45minütigen Power-Version. Der „Sonnentanz“ wird derart energiegeladen zelebriert, dass trotz Klimakatastrophe in allen Herzen die Sonne einfach aufgehen MUSS… Für mich war es eine der bewegendsten und ergreifendsten Fassungen, die ich jemals von diesem Stück gehört habe… nach dem Motto „Illegal? Scheißegal“ tauchten wenigstens einige der lieb gewonnenen Pyroeinlagen auf - wegen Bestimmungen für den Veranstaltungsort, konnte der bandeigene Pyromane diesmal nur auf Sparflamme köcheln… danke, dass er nicht zuliebe bürokratischer Paragraphenreiter mit klebrigem Harz 4 abgespeist wurde… denn, wenn der Sonnengott schon persönlich herein schaut, muss es schon Funken sprühen, Leuchten und Rauchen…

Ein furioses Finale (wieder mal…), die Schlussakkorde verklingen mit den letzten Trommelschlägen… aus… vorbei… die Leute gehen froh nach Haus…

    

                   

    

    

    

    

Nö, immer noch nicht! Andere Bands spielen jetzt noch ein kleines Liedchen als Zugabe - die Groben präsentieren erstmal ein siebenminütiges Highlight aus ihrer bewegten Bandgeschichte: „Vater Schmidt’s Wandertag…“ langsam wird mir unheimlich, wie konzentriert diese Musiker hochkomplizierte Stücke über Stunden hinweg ohne Qualitätsverlust spielen können… aber auch der schönste Wandertag geht mal zu Ende, aber auch nur, um einem „Powerplay“ Platz zu machen - der Auszug aus einer früheren „Solar Music“-Variante begleitet die „Next Party“ schon seit ihrem Start im Jahre 2007 und ist ein wildes Spektakel, in dem die Vorstellung der Bandmitglieder und der Roadcrew eingewoben ist… und schließlich kommt der Moment, auf den ganz viele Fans immer wieder sehnsüchtig warten: elegische Keyboardklänge, in die sich zart mehrstimmige Gitarrenlinien einfügen, begleitet von einer unglaublich zurückhaltenden, aber kongenial passenden Rhythmusgruppe… das legendäre Outro der „klassischen“ Fassung von „Solar Music“… dazu betritt ein totenkopfgesichtiger Wikinger mit Fackeln die Bühne, führt einen skurril anmutenden und doch irgendwie Poesie ausstrahlenden Tanz auf und legt (zur Ehrerbietung für das Publikum?) schließlich die Fackel nieder… Finale… der Applaus brandet auf… die Leute gehen froh nach Haus…

    

    

    

    

                    

    

Diesmal wirklich - ein unvergessliches Erlebnis! Danke, Grobschnitt! Danke, Fangemeinde! Die Pause bis zu dem nächsten Konzert ist lang… aber zum Glück gibt es da Tonträger - und diese unglaublich intensiven Erinnerungen… wären Gefühle illegal - eine Großrazzia im „Capitol“ wäre höchst erfolgreich gewesen… aber keiner kriegt unsere Gefühle - wir schwingen uns auf die Rücken unserer Marabus und folgen Klein Ernie nach „Rockpommel’s Land“… und zeigen den „Sniffern“ nur ‚ne lange Nase!

    

    

    

    

    

Text: Günther „Günni“ Klößinger
Fotos: Stephan Schelle

 

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