Da mir dieses Mal die Worte fehlen, war Günther „Günni“ Klößinger so
gut, mir seinen Text zur Verfügung zu stellen. Er hat das Konzert und
die Stimmung sehr gut in Worte gefasst: Viel Spaß dabei.
Von Marabus und
Wikingern - eine Razzia der Gefühle…
Es war einmal, vor langer, langer
Zeit, da entschwand ein kleiner Junge aus der Schule und damit auch aus
den Zwängen des Lebens. Er flog einfach auf seinem Papierflugzeug davon,
traf einen majestätischen Marabu, der ihn mit nach Rockpommel’s Land
nahm. Ein Fantasy-Paradies? Nö, leider nicht - denn hier hat man die
fröhlichen Kinder weggesperrt, mitsamt ihrem väterlichen Kumpel, Mr.
Glee… aber der kleine Junge namens Ernie und der Marabu schaffen es doch
tatsächlich, die beherrschenden Brutalos, die allgemein als „Blackshirts“
bekannt sind, in Steinwesen zu verwandeln und ganz nebenbei die Kinder
und Herrn Glee aus den Kerkerhöhlen zu befreien - und damit eine güldene
Zukunft für „Rockpommel’s Land“ einzuläuten - „free from hate is
Rockpommel’s Land“ kichern, johlen und glucksen alle Betroffenen und
feiern im Konfettiregen eine wilde Party… ein Finale, wie es im
Märchenbuche steht… äh, Moment mal - Finale? Im Märchenbuch wäre das so
- nicht aber hier: bei einem „Grobschnitt“-Konzert fängt an dieser
Stelle die „Next Party“ erst an!
Fotos: Rockpommel's Land -
Live
Und so geschah es auch am 27.11.2009
im Capitol zu Vatikanstadt… äh, ‚tschuldigung, ich meine natürlich
Hannover (wusste doch, dass es irgend ‚ne Hauptstadt war!). Es war das
zweite Mal nach über 30 Jahren, dass die Band ihr populäres Rockmärchen
in voller Länge und um eine Ouvertüre und ein Zwischenspiel erweitert,
zur Aufführung brachte. Premiere war einige Wochen zuvor beim Heimspiel
in Hückeswagen gewesen… damals merkte man sowohl der Band als auch dem
Publikum eine gewisse Anspannung durchaus an… Premierenfieber war
angesagt, und der Erwartungsdruck war natürlich riesig. Für sehr viele
Fans ging ein Traum in Erfüllung, aber wie es mit erfüllten Träumen so
ist: manchmal fühlt sich die Erfüllung eben auch schal an, knallt
frontal an eine überhohe Mauer von vorgefassten Erwartungen,
Wunschdenken und verklärten Erinnerungen. Wer in Hückeswagen dabei war,
weiß, was passierte: die kühnsten Erwartungen wurden übertroffen und
unzählige gestandene Männer und Frauen brachen angesichts der Neufassung
dieses Rockklassikers in Tränen aus… zu keiner Zeit war da das Gefühl
einer nostalgischen Zeitreise in eine glorreiche Vergangenheit - das war
„Rockpommel’s Land“, hier und heute, alive and kicking!
Nun aber die zweite Aufführung, in
Hannover; diesmal war dieser immense Druck des „ersten Mals“ weg - und
die Band spielte locker und befreit von jeglichem Premierenfieber dieses
vertrackte Stück progressiver Rockmusik - diesmal mit dem Bewusstsein:
„Oh yes, we CAN !!!“ - und sie konnten: das Stück kam gar so souverän
herüber, dass man völlig vergaß, dass es lange Jahre als nahezu
unspielbar galt. Gerade die vertrackten Wechsel in Rhythmik und Tempo
wurden von der Rhythmusgruppe mit fast schon beängstigender Sicherheit
gemeistert - Demian Hache an Drums und Percussion beeindruckte vor allem
in „Severity Town“, aber auch Top Sahne Möller hatte die Welt der
Trommeln voll im Griff, während Milla Kapolke am Bass das Bindeglied
zwischen Melodik und Rhythmik herstellte. Nur selten hört man Bassisten,
wo Emotionalität so spürbar aus den Tieftönern erklingt.
Die Gitarrenparts dieses einstündigen
Opus klingen locker und federnd, wer aber jemals eine Klampfe in den
Fingern hatte und versucht hatte, mal so ein wenig zur Plattenaufnahme
mitzujammen, weiß, dass nicht alles, was schön klingt, auch leicht zu
spielen ist… hier ist eher das Gegenteil der Fall. Nuki Danielak und
Manu Kapolke allerdings spielen dieses Stück nicht - sie leben es.
Erstaunlich, denn die Entstehung dieses Werks datiert noch vor ihrem
eigenen Einstieg ins Leben. Dieser Aspekt ist sicher verwandt mit dem
Spiel junger Orchestermusiker, die alte Meister spielen - und es
funktioniert und damit wächst die Hoffnung, dass auch „Rockpommel’s
Land“ irgendwann einmal zu den Klassikern des Rock gehören wird und auch
noch in 100 Jahren junge Musiker vielleicht noch Spaß daran haben
werden. Time will tell…
Das Gitarrenduo Manu und Nuki wird
tatkräftig von Altmeister Willi Wildschwein (= Daddy Danielak)
unterstützt, der zeitweise sein gewohnt präzises Rhythmusgeflecht auf
der Akustikgitarre entfaltet.
„Rockpommel’s Land“ ist natürlich auch
sein Paradestück als Sänger: er hat die Leadvocals im kompletten Stück
inne - und man spürt, dass diese Songs 30 Jahre in ihm und er an ihnen
arbeitete… jede Nuance des Textes wird getroffen und die märchenhafte
Athmosphäre steht und fällt mit dieser Stimme. Willi zeigt, dass er
nicht nur das Handwerk eines Rocksängers (…. Äh, müsste das nicht
eigentlich „Mundwerk“ heißen?... na, egal…) beherrscht, sondern auch ein
begnadeter Geschichtenerzähler ist. Der Harmoniegesang von Toni Moff
Mollo veredelt die Vokalpartien und erweitert die ursprünglichen
Originalarrangements noch um eine kleine, aber entscheidende Note.
Keyboarder Tatti Tattva spielt
hingebungsvoll und mit Ehrfurcht, untermalt die teilweise folkig
anmutenden Gitarrenpassagen mit poetischen Klangfarben, hält dass Stück
am Fließen und zeigt sich in den solistischen Passagen als
gefühlsbetonter Virtuose.
Dank der Großbesetzung in der
aktuellen Kappelle können auch Passagen, die bislang nur auf der
Studiofassung zu hören waren, live gespielt werden - am bewegendsten ist
für mich hier der instrumentale Schlusspart: zu den Orgelakkorden
ertönen auf der Plattenversion noch Piano-Kaskaden… und diese sind nun
auch Teil der Live-Performance: Manu stellt die Gitarre weg und wechselt
an’s E-Piano… und das Finale dieses beeindruckenden Rockmärchens
erklingt in seiner ungebremsten Schönheit… Ein wirklich würdiges Finale…
Also - Finale verklungen, Applaus
brandet auf - die Herzlichkeit, die von der Bühne geströmt war, wird nun
erwidert… und alle gehen froh nach Haus…
Fotos: Die
Party
Nun, so wäre es wohl bei vielen
anderen Rockbands - nicht aber bei „Grobschnitt“… nach einer
viertelstündigen Pause geht der Abend in die zweite Runde. Und der
zweite Set startet wesentlich härter und tanzbarer als die erste Hälfte
- und das ist auch dringend nötig: „Rockpommel’s Land“ ist ein Genuss
zum Zuhören und -schauen, ein schönes, musikalisches Märchen… aber
dieser Gefühlsstau muss sich auch wieder auflösen können - kaum
erklingen die ersten wuchtigen Akkorde von „Razzia“, wird getanzt,
mitgesungen, abgefeiert - no sleep ‚til „Illegal“: der nächste
Politknaller geht nahtlos aus der „Razzia“ hervor und die allseits
bekannte „Mary Green“ lässt sich ebenfalls nicht lange bitten - dann zum
Abkühlen die zarte Instrumental-Ballade „Silent Movie“. Dann „Könige der
Welt“, in der die melodische Poesie von „Rockpommel’s Land“ wieder
anklingt, aber mit größerer Wucht und Ethnoanleihen… ein weiterer Beweis
für die stilistische Vielfalt dieser Ausnahmeband!
Was dann kommt, ist nach der bislang
abgelieferten Leistung der Gruppe wirklich nahezu kaum zu glauben:
„Solar Music“, in einer 45minütigen Power-Version. Der „Sonnentanz“ wird
derart energiegeladen zelebriert, dass trotz Klimakatastrophe in allen
Herzen die Sonne einfach aufgehen MUSS… Für mich war es eine der
bewegendsten und ergreifendsten Fassungen, die ich jemals von diesem
Stück gehört habe… nach dem Motto „Illegal? Scheißegal“ tauchten
wenigstens einige der lieb gewonnenen Pyroeinlagen auf - wegen
Bestimmungen für den Veranstaltungsort, konnte der bandeigene Pyromane
diesmal nur auf Sparflamme köcheln… danke, dass er nicht zuliebe
bürokratischer Paragraphenreiter mit klebrigem Harz 4 abgespeist wurde…
denn, wenn der Sonnengott schon persönlich herein schaut, muss es schon
Funken sprühen, Leuchten und Rauchen…
Ein furioses Finale (wieder mal…), die
Schlussakkorde verklingen mit den letzten Trommelschlägen… aus… vorbei…
die Leute gehen froh nach Haus…
Nö, immer noch nicht! Andere Bands
spielen jetzt noch ein kleines Liedchen als Zugabe - die Groben
präsentieren erstmal ein siebenminütiges Highlight aus ihrer bewegten
Bandgeschichte: „Vater Schmidt’s Wandertag…“ langsam wird mir
unheimlich, wie konzentriert diese Musiker hochkomplizierte Stücke über
Stunden hinweg ohne Qualitätsverlust spielen können… aber auch der
schönste Wandertag geht mal zu Ende, aber auch nur, um einem „Powerplay“
Platz zu machen - der Auszug aus einer früheren „Solar Music“-Variante
begleitet die „Next Party“ schon seit ihrem Start im Jahre 2007 und ist
ein wildes Spektakel, in dem die Vorstellung der Bandmitglieder und der
Roadcrew eingewoben ist… und schließlich kommt der Moment, auf den ganz
viele Fans immer wieder sehnsüchtig warten: elegische Keyboardklänge, in
die sich zart mehrstimmige Gitarrenlinien einfügen, begleitet von einer
unglaublich zurückhaltenden, aber kongenial passenden Rhythmusgruppe…
das legendäre Outro der „klassischen“ Fassung von „Solar Music“… dazu
betritt ein totenkopfgesichtiger Wikinger mit Fackeln die Bühne, führt
einen skurril anmutenden und doch irgendwie Poesie ausstrahlenden Tanz
auf und legt (zur Ehrerbietung für das Publikum?) schließlich die Fackel
nieder… Finale… der Applaus brandet auf… die Leute gehen froh nach Haus…
Diesmal wirklich - ein unvergessliches
Erlebnis! Danke, Grobschnitt! Danke, Fangemeinde! Die Pause bis zu dem
nächsten Konzert ist lang… aber zum Glück gibt es da Tonträger - und
diese unglaublich intensiven Erinnerungen… wären Gefühle illegal - eine
Großrazzia im „Capitol“ wäre höchst erfolgreich gewesen… aber keiner
kriegt unsere Gefühle - wir schwingen uns auf die Rücken unserer Marabus
und folgen Klein Ernie nach „Rockpommel’s Land“… und zeigen den „Sniffern“
nur ‚ne lange Nase!
Text: Günther „Günni“ Klößinger
Fotos: Stephan Schelle
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