The Electric Family - Tender
Sireena Records / Broken Silence (1999 / 2019)

(10 Stücke, 46:31 Minuten Spielzeit)

The Electric Family kann man im wahrsten Sinne des Wortes als Musikerkollektiv bezeichnen, bei dem Tom „The Perc“ Redecker der Kopf bzw. Anführer ist. Schon bei ihrem ersten Auftritt im Jahr 1996 beim Burg Herzberg Festival hatte Tom mit Volker Kahrs (ex-Grobschnitt), Dieter Serfas (Amon Düül II), Harry Payuta, Jochen Schoberth und Torsten Glade eine illustre Gruppierung zusammengestellt. Wer konnte damals vermuten, dass sich dieses Kollektiv mit wechselndem LineUp, so lange halten würde.


Nach dem 1997’er Debütalbum „Family Show“ folgte zwei Jahre später das Album „Tender“, das in diesem Jahr sein 20jähriges Jubiläum feiert. The Electric Family hatte sich mittlerweile zu einer Band gemausert, die aus dem Stammpersonal Tom Redecker, Peter Apel, Torsten Glade, Rolf Kirschbaum, Volker Kahrs, Harry Payuta und Jochen Schoberth bestand. Darüber hinaus wurde dieses LineUp durch weitere Größen der deutschen Rockszene erweitert. Der ehemalige Ärzte -Bassist Hagen Liebing steuerte den Bass bei, Tex Morton (Lolitas, Pseiko Lüde) traf auf Willi Pape, ehemals bei der Krautrocklegende Thirsty Moon. Uwe „The Voodoo“ Knak von Phillip Boa’s Voodoo Club kam ebenso ins Studio wie Jo Hielscher (Ende der Siebziger bei den Hagener Ramblers hinterm Schlagzeug) und Franz Powalla, bekannt von Lokomotive Kreuzberg. Mit Evelyn Gramel war auch erstmals eine weibliche Stimme auf einem Family-Album zu hören!

Was sich schon bei „Family Show“ andeutete kam bei „Tender“ zur vollen Entfaltung: Ein wilder Stilmix, der vom Folkrock („Telemark Landing“, „More & More“, Danger Girl“) über Progressive Rock („Betancuria Part 1-3“) und Psychedelia („Bricks of Time“) bis zum staubigen Wüstenrock („Candyman“, Left For Dead“) reichte, zusammengehalten von Redeckers abgrundtiefer Stimme. „Tender“ wurde nicht nur bei den Medien sondern auch bei den Platten- und CD-Käufern zum größten Erfolg der ELECTRIC FAMILY. Gekrönt wurde das Jahr durch die ausgiebige „Tender-Tour“ und die Nominierung des Albums für den Deutschen Schallplattenpreis!

Das recht eingängige dreieinhalbminütige „Telemark Landing“ startet in das Album. Durch die Akustikgitarre bekommt das Stück eine leicht folkige Note, während die E-Gitarre schön rockig schrebbelt. Sehr eingängig zeigt sich auch „In The Web“, bei dem sich vor allem der Refrain im Ohr festsetzt. „More And More“ kommt sehr getragen und ruhig wiederum mit einer Spur Folk daher, während sich die Melodie im Gehirn festsetzt. Dem Musikerkollektiv gelingt es hier eine faszinierende Stimmung aufzubauen.

Kernstück des Albums ist dann das dreigeteilte „Betancuria“, dessen einzelne Songs zwölfeinhalb Minuten besten Progrock darstellen. Ein tolles Konglomerat das The Electric Family da zusammengestellt haben. Sängerin Evelyn Gramel setzt in „Part One: The Conquest“ einen wirkungsvollen Gegenpol zu Tom Redecker’s markante Stimme. In „Part Two: Morro De La Cruz“ vermischen die Musiker tribalartige, hypnotische, fast schon ekstatische Rhythmen mit herrlichen Keyboardsounds und einer Erzählstimme. Ein Track, der einem die Sinne vernebelt. In „Part Three: Loveflow“ kehrt die Band stilistisch wieder zu „Part One“ zurück.

Ein leichter Blueseinschlag, verbunden mit Wüstenrock empfängt den Hörer dann im Song „Candyman“, das Tom’s Stimme leicht verfremdet aus den Boxen schallen lässt. Eine eigenartige Stimmung, die fesselt. Vor allem die elektronischen Sounds und Flächen sowie sägenden Gitarren sorgen in „Bricks Of Time“ für einen psychedelische Touch, während die Melodie sich unweigerlich in die Gehirnwindungen schraubt. „Danger Girl“ wirkt dagegen wie ein Song zu einer Westernidylle. Das rockige „Left For Dead“ beendet dann dieses eindrucksvolle Werk, dem man seine 20 Jahre nicht anmerkt.

Zum 20jährigen Jubiläum erscheint das Album nun in einem sechsseitigen Papersleeve, das neben der CD auch eine DVD mit dem 30minütigen Making Of zum Album enthält. Die Doku „The Making Of Tender“ wurde von dem Bremer Filmemacher Stefan Malschowski zusammengestellt, der die Aufnahmen zu „Tender“ locker mit der Kamera begleitet hatte. Bereits im Jahr 1999 ist diese Dokumentation auf VHS Video-Kassette erschienen und kommt nun erstmals auf DVD heraus. Kleines Manko am Rande: Für die Veröffentlichung der DVD musste auf eine VHS-Kassette zurückgegriffen werden, weil das Original-Filmmaster verschwunden war. Aufgrund dieser Tatsache ist das Bild auch ziemlich verrauscht. Aber das Bildmaterial ist allemal sehenswert, vor allem weil die Musiker nicht nur zu Wort kommen, sondern auch bei den Proben und live zu sehen sind. Darunter dann auch Volker Kahrs (in dessen Studio ebenfalls gefilmt wurde), der leider schon viel zu früh verstorbene Keyboarder, der lange Mitglied bei Grobschnitt war. Damit stellt diese Version auch ein Muss für jeden Grobschnitt-Fan dar.

Die Wiederveröffentlichung von „Tender“ vereint das vergriffene Album als CD mit dem „Making Of“ in Bild und Ton. Wer das Album noch nicht besitzt sollte unbedingt zugreifen. Alle, die das Album besitzen, die Doku aber nicht, denen empfehle ich ebenfalls zuzugreifen, denn trotz der etwas dürftigen Bildqualität bekommt man gutes Filmmaterial über die Musiker sowie Livemittschnitte geboten.

Stephan Schelle, Juni 2019

   

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