t - Psychoanorexia

t - Psychoanorexia
Progressive Promotion Records (2013)
(4 Stücke, 66:34 Minuten Spielzeit)

Der deutsche Musiker Thomas Thielen macht es sich leicht, was den Namen seines Musikprojektes betrifft. Das nennt er schlicht t. Völlig anders verhält es sich mit der Musik, die er veröffentlicht, die strotzt nur so vor komplexen Strukturen. „Psychoanorexia“ ist das mittlerweile vierte Album des Multiinstrumentlisten und Produzenten. Für mich ist das am 01.02.2013 erscheinende Werk allerdings der erste Kontakt zu seiner Musik, es wird aber nicht der letzte sein, soviel kann hier schon mal verraten werden.


Thomas Thielen war schon immer Musiker. Seit frühester Kindheit an Klavier und als Sänger ausgebildet, lernte er für anfängliche Aktivitäten in Schülerbands auch noch viele andere Instrumente wie Bass, Gitarre und Drums - nicht zuletzt weil Keyboarder von Mädchen weithin ignoriert wurden. Von Anfang an interessierte sich t auch für Sounddesign. Mittlerweile sind die verschiedenen Ebenen - Sound, Arrangement, Komposition, Mixing - in seiner kreativen Herangehensweise kaum noch trennbar, wie man an seinen idiosynkratischen Klanglandschaften und dem oft ungewöhnlichen Einsatz verschiedener Instrumente und Stilelemente erkennen kann. Seine Musik war von Anfang an bekannt für ihr schillerndes Amalgam aus Ohrwurmmelodien, avantgardistischer Klangwelt und seltsam natürlich anmutenden, aber krummen Takten.

Zu seinem Album sagt der Pressetext: Psychowas? Dies ist die Zeit, in der Klingeltonnutzbarkeit musikalische Qualität bestimmt. Dies ist der Ort, an dem die Gier nach Popstargebärden die erhabene Erfahrung kreativer Erleuchtung auffrisst; die Ära, in der Demokratie nur noch Massenphänomene hervorbringt, nicht Vielfalt. In der wir sogar für Heuchelei zu faul geworden sind. Und zu beschäftigt, um unseren Verlust zu fühlen.

Dies ist das Zeitalter, in dem Chancengleichheit allgemeine Mittelmäßigkeit meint. In dem Ruhm Leistung diffamiert. In dem Bildung zur Unterwerfung anleitet. Jede Anstrengung macht sich verdächtig, Exzellenz bekleckern wir bräunlich. Wir übertreffen einander in Konformität und feiern unsere leeren Hände. Vielleicht verbrennen wir keine Bücher mehr, aber wir schreien sie nieder. Wir wünschen uns alles, aber sehnen uns nach nichts. Engstirnig ziellose aposiopetische Ichs. Proportionierte Freiheit. Mehr Ameise als Käfer. Fräulein Elses neue Kleider. Der Tod in Bologna. Psychoanorerxia.

Mag der Text teilweise auch verstörend klingen, so ist es die Musik auf „Psychoanorexia“ allerdings nicht, auch wenn sie sehr komplex daherkommt. Vier Longtracks mit Laufzeiten zwischen acht und 21 Minuten hat t auf seinem Album platziert. Drei der vier Tracks sind darüber hinaus in zwei bzw. drei Teile unterteilt.

Los geht es mit dem 18minütigen „The Aftermath Of Silence“, das zunächst in den ersten zwei Minuten recht sphärisch mit elektronischen Klangskulpturen und Geräuschen, wie man sie auch von Roger Waters her kennt, beginnt. Dann setzt der Track mit Schlagzeug, Piano und Gitarre als atmosphärische Rocknummer im Stile von Roger Waters ein. Nach gut viereinhalb Minuten kommt dann Thomas sanfter Gesang hinzu, der eine hohe intensive Ausstrahlung aufweist. Man wird von dieser Stimme förmlich in den Song hineingezogen. Wie für einen Longtrack üblich, wechselt t in diesem Stück die Strukturen, Rhythmen und Harmonien. Dabei hält er den Spannungsbogen immer sehr hoch. Herrliche Gesangpassagen wechseln sich so mit ausufernden Soli- und Instrumentalparts ab. t bietet Prog- und Artrock auf höchstem Niveau.

Es folgt das 21minütige „Kryptonite Monologues“, das zunächst brachial beginnt. t breitet zunächst eine wuchtige Soundwand vor dem Hörer auf. Dieses wird nach gut drei Minuten in einen vertrackt angelegten proggigen Teil übergeleitet, bei dem so mancher Break für Abwechslung sorgt. Sowohl Neo-Prog wie auch komplexe Soundstrukturen treffen in diesem Song aufeinander und verweben sich mit wunderbaren atmosphärischen, sanft dahinschwebenden Parts.

Nicht nur mit seinen acht Minuten sticht der Song „The Irrelevant Lovesong“ aus dem Album heraus. Dieser Track ist nicht in mehrere Teile unterteilt. Durch seinen ruhigen und unter die Haut gehenden Anfangsteil, der in einen intensiven und eindringlichen Teil übergeht bohrt er sich ins Hirn des Hörers.

Mit dem mehr als 19minütigen Titelstück endet dann die CD. Hier zieht t noch mal alle Register. Neben den Proganleihen finden sich auch symphonische Klangbilder in dem Stück wieder. Zum Ende hin führt t den Track in ein ekstatisches Finale.

Mit „Psychoanorexia“ ist t alias Thomas Thielen ein außergewöhnliches Prog-/Artrockalbum gelungen, das seines gleichen sucht. Trotz Breaks und zahlreichen Wechseln in Struktur, Rhythmus und Harmonie sind die Stücke von einer hohen Intensität und Eindringlichkeit beseelt, die einen nicht los lässt. Dieses Album muss man in einem Stück hören, auch wenn die Tracks allein funktionieren. Nur in ihrer Gesamtheit entfalten sie ihre ganze Strahlkraft. Ein Muss für jeden Prog-/Artrockfan.

Stephan Schelle, Februar 2013

   

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