Steve Perry - Traces
Universal Music (2018)
(10 Stücke, 40:21 Minuten Spielzeit)

Nicht nur der Sound, vor allem auch die Stimme des Leadsängers prägt so manchen Charakter einer Band. So auch bei der US-amerikanischen Band Journey, dessen Sänger lange Zeit Steve Perry war. Aber nicht nur mit Journey, sondern auch Solo war er erfolgreich mit seinem ersten Soloalbum „Street Talk“ aus dem Jahr 1984. Mehr als 20 Jahre hat es von ihm kein musikalisches Lebenszeichen gegeben, da er sich komplett aus dem Musikbusiness herausgenommen hatte. Umso überraschender, das am 05.10.2018 unter dem Titel „Traces“ ein Soloalbum des Sängers mit der Ausnahmestimme erscheint. 


Der mittlerweile 69jährige Perry zeigt auf dem neuen Soloalbum, das seine Stimme nichts von der Magie, die sie in den 70’er und 80’er Jahren verströmte, eingebüßt hat. Er selbst sagt zu der Pause: „Ehrlich gesagt dachte ich zwischendurch sogar, dass die Musik gar kein Thema mehr für mich ist. Dass mein Herz damit abgeschlossen hatte“, holt Perry aus. „Ich hatte eine tolle Zeit mit einer tollen Band gehabt, und dann hatte ich danach ja sogar noch die Gelegenheit gehabt, mich als Solokünstler auszutoben. Schließlich war es einfach an der Zeit gewesen, ehrlich zu mir selbst zu sein: In meinem Herzen wusste ich, dass dieses Gefühl einfach nicht mehr da war.“

Der ganze Trubel und die damit verbundenen Exzesse forderten ihren Tribut, wie das so oft geschieht in der Musikwelt: Also fasste ein ausgebrannter Perry in den späten Neunzigern den folgenreichen und, wie er sagt, absolut notwenigen Entschluss, diesem ganzen Business den Rücken zu kehren. Am auffälligsten daran war, wie rigoros er diesen Schnitt machte, denn er schaute tatsächlich nie zurück. „Ja, lange Zeit konnte ich Musik noch nicht mal wirklich hören“, erinnert er sich. „Mein letztes Konzert mit Journey hab ich im Februar 1987 gespielt. Und dann kam der Tag, an dem mir klar wurde, dass ich das alles einfach nicht mehr weitermachen konnte. Ich hatte wirklich das Gefühl, abspringen zu müssen von diesem Karussell, das sich immer weiterdrehte; ich musste raus aus diesem großen Mutterschiff, das wir zusammen in so viel harter Arbeit aufgebaut hatten.“

Ein wichtiger Punkt im Leben von Steve Perry war die Beziehung zu Kellie Nash, die er 2011 kennenlernte. Sie kämpfte zu diesem Zeitpunkt schon mit Brustkrebs und verlor den Kampf leider schon im Jahr 2012, was Perry das Herz brach. „Als es Kellie richtig schlecht ging, wollte sie, dass ich ihr verspreche, mich nicht mehr so zu isolieren“, erinnert er sich. „Sie hat mir vieles beigebracht während der Zeit, die wir zusammen hatten, und eine Sache davon ist: Es ist viel besser, zu lieben und diese Liebe wieder zu verlieren, als nie in den Genuss dieser Liebe zu kommen.“

Nach und nach holte Perry erste Songskizzen hervor, Ansätze, die er zum Teil mit Kellie geteilt hatte, wobei Highlights wie „Most Of All“ oder auch „In The Rain“ schon vor ihrer ersten Begegnung entstanden waren. Dabei schienen auch diese Stücke ihre Liebesbeziehung zu beschreiben und davon zu handeln, wie dieses Zusammentreffen schließlich sein ganzes Leben umkrempeln sollte.

„Es ging also gerade nicht darum, damit abzuschließen und weiterzumachen, denn ich wollte im Gegenteil alles mitnehmen, alle Gefühle noch einmal durchleben und sie in den Songs zum Ausdruck bringen – um so hoffentlich andere zu bewegen und ihnen helfen zu können“, sagt Perry. „Eines Abends sagte sie: ‘Wenn mir etwas passiert, dann versprich mir, dass du dich nicht wieder so zurückziehst. Denn dann hätte ich das Gefühl, dass all das hier vergeblich war.’ Diesen Satz und dieses Gespräch habe ich in den Jahren nach ihrem Tod nie vergessen... und dann kehrte nach und nach meine Liebe zur Musik zurück.“

Neben zwei rockigen Nummern, allen voran der Opener „No Erasin‘“, die auch gut auf einem Journey-Album Platz hätten finden können, hat Steve acht langsamere, fast balladeske und sehr gefühlvolle Songs auf „Traces“ platziert. Dazu hat sich Steve einige Musiker an die Seite geholt, die den zunächst am Computer erstellten Songs Leben einhauchten. „Jeder Musiker, der auf diesem Album zu hören ist, hat musikalisch und emotional dazu beigetragen. Ausnahmslos alle, die diese Songs mit mir geschrieben oder eingespielt haben, haben diese Platte überhaupt erst möglich gemacht.“

Das Album beginnt mit dem Rocksong „No Erasin‘“, das von einer emotionalen Heimkehr handelt. „Da geht’s um ein Klassentreffen in der alten Hofgemeinschaft, wo ich aufgewachsen bin. Konkret geht’s also um diese Rückkehr: Man nimmt wieder Kontakt auf mit einem Menschen, den man lange Zeit nicht gesehen hat, an einem Ort, an dem man früher abgehangen und rumgemacht hat – nur ist das Ganze eine Metapher für mein Publikum, das ich jahrelang nicht gesehen habe, und plötzlich bin ich wieder an ihrer Seite, sitze quasi hinten bei ihnen wieder im Auto.“ Und mit diesem Song führt uns Steve musikalisch in die besten Zeiten seiner Karriere (inkl. Journey) zurück. Der Song ist für mich das musikalische Highlight des Albums. Mit „Sun Shines Gray“ hat Steve dann noch einen weiteren Rocker im Programm, der richtig zündet.

Der Rest der Stücke besteht aus sehr einfühlsamen Songs die teilweise unter die Haut gehen. So zum Beispiel der Song „Most Of All“, den er gemeinsam mit Randy Goodrum geschrieben hat. „Der Song ‘Most Of All’ entstand schon zwei oder drei Jahre vor meiner ersten Begegnung mit Kellie“, erzählt der Sänger. „Und weil er davon handelt, einen geliebten Menschen zu verlieren, habe ich ihr die Demoversion davon auch nie vorgespielt. Tief im Herzen haben wir beide gehofft, dass die Kraft unserer Liebe vielleicht ihrem Immunsystem auf die Sprünge helfen kann... und deshalb hatte ich Angst, diese Traurigkeit des Stücks in unsere Welt zu bringen. Na ja, aus diesem Grund hat sie ihn also nie gehört. Doch irgendwann ging mir auf: Dieser Song handelte von Kellie – und das schon vor unserer Begegnung. Jetzt handelt er ganz sicher von ihr.“

Gänsehautfaktor verbreitet auch „No More Cryin‘“. Ansonsten findet sich in den Stücken auch eine gute Portion Soul, was vor allem durch den Backgroundgesang hervorgerufen wird. Ein Beispiel dafür ist „Easy To Love“.

Es ist schön ein musikalisches Lebenszeichen von Steve Perry und seiner ausdrucksstarken Stimme auf einem neuen Album zu bekommen. „Traces“ ist ein Album, bei dem nicht nur die beiden Rocksongs „No Erasin‘“ und „Sun Shines Gray“ überzeugen, auch die weiteren ruhigen Stücke haben Tiefgang und sorgen für manche Gänsehaut. Ein klasse Album.

Stephan Schelle, Oktober 2018

   

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