Reuter Motzer Grohowski - Bleed
MoonJune Records (2023)

(8 Stücke, 73:37 Minuten Spielzeit)

Im Jahr 2020 veröffentlichte das Trio von Touchgitarrist Markus Reuter, Gitarrist Tim Motzer und Schlagzeuger Kenny Grohowski ihr Debütalbum „Shapeshifters“. Am 04.11.2022 erschien der Nachfolger unter dem Titel „Bleed“. Neben den zuvor genannten Instrumenten haben die Drei auch noch Tasteninstrumente mit beigesteuert, was dem Sound einen gewissen sphärischen Touch verleiht. Der Silberling mit seinen acht Stücken, die Laufzeiten von 6:01 bis 11:19 Minuten Spielzeit aufweisen, befinden sich in einem vierseitigen Papersleeve aus hartem Karton. 


Tim Motzer erinnert sich:

Am 18. August 2019 trafen Markus, Kenny Grohowski und ich musikalisch zum ersten Mal auf der Bühne des ShapeShifter Lab in Brooklyn NYC zusammen. Es war, gelinde gesagt, ein unglaubliches erstes Treffen dieses explosiven improvisierenden Trios vor einem begeisterten Live-Publikum. Glücklicherweise wurde das Set aufgezeichnet und die Ergebnisse wurden auf Leonardo Pavkovics MoonJune Records als „Shapeshifters“ veröffentlicht. Ich erinnere mich noch gut an das erste Treffen dieses mächtigen Trios, an unsere Chemie, und unser Sound hat sofort gepasst. Wir waren alle so aufgeregt und glücklich nach dem Konzert und hofften, es wiederholen zu können. Im Mai 2022 arrangierte Leonardo eine Aufnahmesession für uns im Catskill Village im wunderschönen Hudson Valley im Staat New York. Markus kam gerade von einer Stick Men-Tour zurück, und ein paar Tage zuvor hatte ich für sie Solo eröffnet. Kenny war gerade von einer Tour mit Imperial Triumphant zurück. Wir waren alle aufgeladen und bereit, loszulegen. Wir nahmen etwa sechs Stunden lang die ersten Takes auf, wobei sich das Live-Trio im Studio im Kreis aufstellte, und verbrachten dann noch ein paar Stunden damit, Rhodes, Mellotron und Hammond B3 zu überspielen, um einige ausgewählte Stücke zu orchestrieren. Es war eine unglaubliche Session, alles improvisiert und an Ort und Stelle komponiert.

Markus und ich spielen seit 2008 zusammen, haben viele Platten zusammen aufgenommen und haben eine sehr tiefe musikalische Verbindung. Wir haben schon immer Musik aus der Improvisation heraus geschaffen. Jetzt, wo wir mit Kenny zusammenarbeiten, haben wir unseren speziellen Schlagzeuger gefunden, der das mit uns machen und alles spielen kann. Die Musik findet uns. Markus spielte seine U8-Touch-Gitarre - die unbesiegbar und erdrückend klang - zusammen mit seinem Looping-Setup. Ich hatte meine 6- und 12-saitigen Takamine-Akustikgitarren, die G&L Commanche und die Danelectro Baritone mitgebracht und spielte sie zusammen mit meiner Elektronik, meinen Loops, ein paar neuen Fuzz-Pedalen und meinem Bogen. Jede dieser Gitarren und jeder dieser Sounds brachte eine andere Stimmung in die Musik, die wir kreierten. Manchmal begann Markus ein Stück, und manchmal wies er mich an, etwas zu beginnen. Kennys Schlagzeugspiel war den ganzen Tag über treibend und inspirierend. Sein Schlagzeugspiel ist ebenso elektrisierend wie sein Engagement für Ideen und rhythmische Erfindungen in der Musik. Der Aufnahmetag war wie im Flug vergangen. Wir haben den ganzen Tag und die ganze Nacht hart gearbeitet, und ehe wir uns versahen, war es vorbei. Wir waren tief drin. Die Musik kommt durch uns. Es ist ein tiefgreifender Prozess, wie eine Art Meditation, aber wir sind alle zusammen und tief im Klang versunken. Je länger wir spielten, desto mehr Schätze kamen zum Vorschein. Nach einem solchen Tag weiß man gar nicht mehr, was passiert ist, bis man sich ausruht und später wieder zuhört. Wir hatten alle ein richtig gutes Gefühl. Einen Tag später kam Markus in mein Studio in Philadelphia, und wir hörten uns alles mit frischen Ohren an, machten uns Notizen und wählten aus dem gesamten Material eine Auswahl. Wir waren uns alle einig, welche Tracks ausgewählt wurden, und jeder von uns steuerte Titel bei. Das Ergebnis ist das Album „Bleed“, und es ist ein monumentales Album dieser Band.

Die Stücke sind wieder im Rahmen von Improvisationen entstanden, wobei die Drei sich schon zuvor abgestimmt haben, in welche Richtung und welcher Tonart es gehen soll. Zwar wirkt die Musik immer recht frisch und direkt, weist aber auch klare Strukturen auf.

Dabei geht das Trio recht progressive/jazzig zur Sache, was sich schon im eröffnenden Longrack, dem 11:19minütigen Titelstück zeigt. Sphärische Klänge, flirrende, teils sägende Gitarrenmotive und ein treibendes Schlagzeug bilden hier die Grundlage für die Musik. Manches wirkt, als hätten die Drei die Sounds bis in den Himmel aufeinander getürmt. Das kann einen auch schon mal überfordern. Dann kommen aber wieder recht harmonische Passagen auf, die das Ganze wieder ins richtige Licht bringen.

Das 8:14minütige „Causatum“ beginnt mit einem sanften, recht melodischen Gitarrenpart, der sich dann aber nach wenigen Momenten eine zweite Gitarrenstimme entgegenstellt und teilweise einen Gegenpol einnimmt, um dann wieder in gemeinsamer Harmonie zu schwelgen. Das klingt ungewöhnlich, geht aber gut ins Ohr. Auch eine Spur mediterranes Feeling wurde mit eingebaut. Der Track nimmt im weiteren Verlauf an Dynamik zu und endet in surrealen Klängen.

Eine sphärische Einleitung startet in das 11:31minütige „Sibyline“. Zunächst fügt sich die zweite Gitarre auch recht sphärisch in diesen Sound ein. Spätestens mit Einsatz des Schlagwerkes wird es dann druckvoller und dynamischer. Jetzt ist auch der jazzige Charakter wieder deutlich zu spüren. Das monotone Schlagwerk und die Sounds haben eine hypnotische Wirkung und steigern sich immer weiter. Im zweiten Teil ist es vor allem Kenny Grohowski, der an seinem Schlagzeug für Akzente sorgt und den Track nach vorn treibt.

Das sind einige Beispiele für dieses Zweitwerk des Trios Markus Reuter, Tim Motzer und Kenny Grohowski. Auf ihrem neuesten Werk, das den Titel „Bleed“ trägt haben sie hypnotische Improvisationen eingespielt. Das ist zwar ein ums andere mal recht surreal, geht aber erstaunlich gut ins Ohr.

Stephan Schelle, Januar 2023

   

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