Reflection Club - Still Thick As A Brick
Madvedge Records (2021)
(11 Stücke, 47:42 Minuten Spielzeit)

Reflection Club nennt sich eine neue Band um den in Berlin wohnhaften Multiinstrumentalisten Lutz Meinert (Tasteninstrumente, E-Bass, Kontrabass, Glockenspiel, Vibrafon, Schlagzeug, Perkussion). Im Jahr 2014 veröffentlichte er mit seiner Band Margin das Album „Psychedelic Teatime“. Seit 2017 hat er sich dann zusammen mit dem deutschen E-Gitarristen Nils Conrad (Crystal Palace, For Your Pleasure), der amerikanischen Flötistin Ulla Harmuth und dem englischen Sänger, Akustikgitarristen und Flötisten Paul Forrest (Jethro Tull Experience, Dayglo Pirates) seinem ambitionierten Progressive-Rock-Projekt Reflection Club gewidmet. Ergebnis ist das Album „Still Thick As A Brick“.


Wer nun aufgrund des Covers und des Titels an das Meisterwerk von Jethro Tull aus dem Jahr 1972 denkt, der liegt genau richtig. Allerdings haben Refelection Club nicht einfach das Original nachgespielt oder abgewandelt, vielmehr haben sie eine eigene, moderne Variante - ähnlich wie es Ian Anderson mit seinem Album „TAAB2“ von 2012 machte - eingespielt. Dabei haben sie den Spirit der Musik eingefangen und etwas vollkommen Neues erstellt, das aber quasi eine Fortsetzung des Tull-Klassikers darstellt. Und nicht ganz von ungefähr kommt das Album am 03.03.2020 heraus, auf den Tag genau 49 Jahre nach der Erstveröffentlichung von Jethro Tull’s „Thick As A Brick“.

Das der Sound in vielen Passagen sehr nahe an den von Jethro Tull heranreicht, ist u. a. auf Nils Conrad zurückzuführen, dessen Gitarrenspiel an das von Martin Barre herankommt. Daneben sorgt Paul Forrest, der Mitglied der Jethro Tull-Coverband Jethro Tull Experience ist, mit seinem Gesang, der in unmittelbarer Nähe von Ian Andersons Stimme liegt, sowie seinem Akustikgitarrenspiel für bestes Tull-Feeling. Das Einzige was zur Illusion eines verloren gegangenen Jethro Tull-Albums fehlt ist das markante Flötenspiel von Ian Anderson, der immer wieder in sein Instrument hineinatmet und sein Spiel mit stimmlichen Tönen verziert. Ulla Harmuth geht da einen etwas anderen Weg, denn ihr Spiel ist sehr sauber. Der Unterschied fällt im Gesamtkontext aber nicht groß auf, vielmehr fügt sich ihre Interpretation perfekt in die Stücke ein.

Eine kleine Anspielung machen Lutz & Co. dann auch gleich schon auf dem Cover. Während bei Jethro Tulls „Thick As A Brick“ der Protagonist der fiktive Gerald Bostock war, kommt bei Reflection Club’s Album ein gewisser Finanzmogul George Boston vor.

So heißt es auf dem Cover im „Aufmacher“: Was haben der verschollene legendäre Finanzmogul George Boston und der bekannte Rellingtoner Prog-Musiker Lutz Meinert miteinander zu tun? Eine Antwort könnte das am 3. März 2021 erscheinende Debütalbum „Still Thick As A Brick“ vom neu gegründeten Reflection Club bieten. Was dahinter steckt und warum das komplette Album dieser Ausgabe noch vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin kostenlos beiliegt, ist ausführlich den folgenden Seiten zu entnehmen. Eins sei schon vorweggenommen, selten dürfte ein Debüt so einen starken Wirbel entfacht haben. Und nicht umsonst ist es unser Album des Monats geworden... Da sieht man gleich, das Lutz Meinert, der das Album in Eigenregie erstellt (alles komponiert, arrangiert, gemischt und produziert) und quasi vorfinanziert hat, von seinem Werk überzeugt ist. Und gleich vorweg: das kann er auch sein, denn ihm und seinen Mitmusikern ist ein wirklich hervorragendes Werk gelungen.

Thematisch geht es in dem Konzeptalbum um George Boston, der auf seine berufliche Karriere im Haifischbecken der Finanzbranche zurückblickt. Dabei werden die Gepflogenheiten von globalen Finanzplayern und ihrem skrupellosen Streben nach Mehr dargestellt. Das lässt sich aber auch durchaus auf viele andere große Firmen in unserer Marktwirtschaft übertragen, man denke nur an die Automobilindustrie.

Das Album ist in elf Parts unterteilt, die aber alle nahtlos ineinander übergehen, so dass ein nahezu 48minütiger Longtrack entstanden ist. Ich empfehle auch das Album in einem durchzuhören, nur so entfaltet es seine ganze Strahlkraft. Und die ist wirklich außergewöhnlich.

Musikalisch wird ein grandioser Stilmix aus Rock, Prog, Folk, Jazz, klassischer Musik und ethnischen Elementen geboten. Beginnend mit dem instrumentalen „Prelude“ bis zum letzten Part „Look Across The Sea“ ist man von diesem Album gefesselt. Es finden sich keine frickeligen Passagen darin, vielmehr sind alle Parts hoch melodisch und von tollen Soli durchzogen.

Das Album beginnt mit dem zweiminütigen „Prelude“, einer Ouvertüre mit leicht klassischem Ansatz. Ein sehr schöner Einstieg, bei dem Streicher und Orgelsounds zunächst für einen Retrotouch sorgen. Zum Ende hin geht es dann mit einem richtigen Paukenschlag in den ersten Song „Time Out“ hinein. Schnell kommt Pauls Gesang auf, der sofort nach Ian Anderson klingt und man ist sofort in diesem phantastischen Kosmos, den die Briten auf ihrem 1972’er Prog-Klassiker erschaffen haben. Akustikgitarre und Gesang sind wirklich unglaublich nah dran. Ein Song mit Ohrwurmcharakter, der neben der Akustikgitarre vor allem durch die Querflöte seinen Reiz besitzt. Recht proggig wird es dann mit einigen Breaks, die zwischen ruhigen und druckvollen Passagen wechseln und von herrlichen Soli durchzogen sind im 3:31minütigen, einem über weite Strecken instrumentalen „Years On The Fast Track“.

Einige Stücke nehmen musikalische Motive aus vorangegangenen Stücken auf und führen sie fort bzw. werden variiert – wie zum Beispiel in den beiden aufeinander folgenden Stücken „The Foray Of The Sharks“ und „Setimental Depreciation“ - sodass ein kompaktes Werk entsteht. Teils werden auch jazzige Passagen eingebaut wie zum Beispiel im Song „Neversoothers“. Das sollen nur einige Beispiele für das komplette Album sein, das sich auf hohem Niveau bewegt.

Das Album kommt in einem Hardcoverbook mit einem 88seitigen Booklet daher. Die ersten 16 Seiten füllen das Rellington Stone Magazin in einem Hochglanzdruck, während die Inhalte ebenfalls in englischer Sprache noch einmal auf 72 Seiten auf „normalem“ Papier und in größerer Schrift gedruckt wurden. Darin sind auch zahlreiche Fotos, Infos zu den Musikern und die Songtexte enthalten. Das Album liegt sowohl auf CD, als auch auf DVD vor. Die DVD bietet dabei Versionen in PCM 96/24 Stereo, dts Digital 5.1 Surroundsound und AC3 Dolby Digital 5.1 Surroundsound. Klanglich ist der Surroundsound ganz hervorragend gelungen. Das Besondere an der DVD ist aber, dass sich Lutz Meinert so viel Mühe gemacht hat der Musik einen Film, bestehend aus sehr ansprechenden und passenden Fotos beizufügen. Mal sieht man die gerade gespielten Instrumente, dann wieder tolle Fotos die vom Stil her an Bilder von Hipgnosis erinnern. So haben sie die Story mit den Bildern perfekt visualisiert. Damit hebt sich das Produkt erheblich von anderen ab, bei denen meist nur Standbilder oder eine sich wiederholende Diashow mit wenigen Fotos geboten wird. Hut ab vor soviel Perfektion.

Jetzt wird es sicherlich Stimmen zum Album geben die es als reines Plagiat abstempeln, doch aus meiner Sicht ist dem Progressive-Rock-Projekt Reflection Club um Multiinstrumentalist Lutz Meinert mit dem Album „Still Thick As A Brick“ ein grandioses Werk gelungen. Er und seine Musiker/in sind mit viel Herzblut an die Sache herangegangen und haben ein Meisterwerk erschaffen, das die Strahlkraft des 1972’er Tull-Albums besitzt. Wer die Musik von Jethro Tull und vor allem das Album „Thick As A Brick“ mag, der wird dieses Album lieben - sofern er sich vom Gedanken des Plagiats befreit. Ein absolutes Highlight ohne jegliche Schwachpunkte. „Still Thick As A Brick“ gehört für mich schon jetzt in die Auswahl zum Album des Jahres.

Das Album erscheint neben der CD-Version im Harcoverbook auch in einer auf 500 Exemplare limitierten Vinylausgabe. Sie enthält das Album auf blauem Vinyl sowie die CD und die DVD ebenfalls in Papphüllen. Darüber hinaus wurde der Ausgabe das Rellington Stonemagazin in einer hochformatigen Druckausgabe spendiert.

Ein umfangreiches Interview mit Lutz Meinert findet ihr hier.

Stephan Schelle, Januar 2021

   

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