Nils Petter Molvaer – Baboon Moon

Nils Petter Molvaer – Baboon Moon
Sony Music / Sula Records (2011)
(9 Stücke, 43:15 Minuten Spielzeit)

Eine Trompete, die das Eis der Pole und den glühenden Sand der Wüste einfangen kann, die genauso wogende Menschenmassen wie die totale Einsamkeit imaginiert, die sich verliert und doch immer wieder zu sich selbst zurückfindet. Der norwegische Trompeter Nils Petter Molvaer hat einen ureigenen Sound, der ebenso von skandinavischer Naturpoesie, wie von elektronischem Kalkül und nicht zuletzt von Trompetern wie Miles Davis und Jon Hassell geprägt ist. Vor allem aber hat Molvaer sich selbst. In seinem Spiel vergisst man ganz schnell, dass man eine Trompete hört.


Molvaers neues Album „Baboon Moon“ ist der selbstbewusste Neubeginn eines Musikers, der einen langen Weg hinter sich hat. Er begann in den Bands von Jon Christensen und Arild Andersen, befreite sich jedoch immer mehr aus dem Jazz-Korsett. Die Reise begann 1997 mit seinem Album „Khmer“ und führte über viele Stationen, auf denen er verschiedene Grade der Abstraktion ausprobierte. Er experimentierte mit Musikern wie Bill Laswell, Sidsel Endresen und Eivind Aarset, umgab sich mit DJs und VJs, arbeitete aber auch solo. Stark blieb immer seine Bildsprache. Auf seinem letzten Album „Hamada“ polarisierte er zwischen ganz harmonischen und extrem brutalen Passsagen. Auf „Baboon Moon“ hingegen finden diese beiden Pole wieder zu einer Einheit.

Um an diesen Punkt zu gelangen, stellte er eine neue Band auf. Seine beiden Gespielen auf „Baboon Moon“ sind Seiteneinsteiger in den Jazz. Stian Westerhus gehört zu den innovativsten und mittlerweile auch gefragtesten Gitarristen Europas. Er spielt nicht nur bei der Postrock-Band Jaga Jazzist mit, sondern unterhält auch mit Motorpsycho-Drummer Kenneth Kapstad das Industrial-Improv-Duo Monolithic. Anfang Juli absolvierte er einen gefeierten Auftritt als zweiter Gitarrist von Motorpsycho. Für Westerhus ist die elektrische Gitarre nicht nur ein Instrument, sondern ein ganzes Orchester, ein kreatives Museum an physischen und spirituellen Möglichkeiten der elektrischen Tonerzeugung. Er manipuliert sein Instrument mit allen nur denkbaren Materialien und Effekten und erzeugt sogar undefinierbare Sounds, indem er in die Saiten schreit. Erland Dahlen hat sich als Trommler der norwegischen Psychoblues-Band Madrugada in die Herzen der Alternative-Rock-Fans gespielt. Dieses tiefe, erdige, aber auch progressive Blues-Feeling trug er erst zu Eivind Aarsets Sonic Codex Orchestra und nun in Molvaers Trio.

Auf „Baboon Moon“ vermischt Nils Petter Molvaer verschiedenste Musikstile wie zum Beispiel Jazz, Ambient, Worldmusic, elektronischer Musik, Rock und Pop. Schon im Opener „Mercury Heart“ zeigt er sich sehr ambient und weit über die Grenzen von Jazzmusik hinaus agierend. Man kann diese Musik kaum in Worte fassen, denn sie hat eine hypnotische Wirkung auf den Hörer. Nach einigen Momenten durchbrechen Schlagzeug, Keyboards und Trompete diesen ambienten Stil und bringen rockige Elemente ins Spiel. Molvaer’s Musik kommt dabei ganz ohne Gesang aus, denn sie spricht allein durch ihre Instrumentierung und ihr Arrangement.

Wie ein asiatisches Mantra wirkt „A Small Realm“. Wie leise Gongschläge wirken die ersten Klänge bei diesem Stück, denen dann Keyboardflächen und die Trompete, die man an vielen Stellen gar nicht mehr als solche wahrnimmt, folgen. Durch Gewitter artige Sounds, die sich durch den Hintergrund ziehen, habe ich vor meinem geistigen Auge eine Szenerie, die mich auf einen hohen Berg verschlägt und von dessen Aussichtspunkt ich ein herannahendes Gewitter sehen kann.

Von ganz anderer Natur ist das rhythmische „Recoil“. Was zunächst wie eine Psychedelic-Nummer beginnt, entwickelt sich schnell zu einem treibenden Rocksong, dem man sich so schnell nicht entziehen kann. Schöne Melodiemuster legen sich dabei auf die Rhythmussektion und Nils Petter’s Trompetensoli. Mit anderer Instrumentierung könnte ich mir dieses Stück gar als Electropop- oder Wave-Nummer vorstellen.

„Bloodline“ ist eine sehr getragene Nummer die auch wieder einige asiatische Klänge zu bieten hat, allerdings durch die im Vordergrund stehende Trompete nicht wirklich asiatisches Feeling verströmt. Ein leicht pumpender Synthierhythmus liegt unter den ersten Klängen von „Sleep With Echoes“. Doch sobald der Rhythmus fetter wird und die Trompete einsetzt, entwickelt sich eine nächtliche Großstadtatmosphäre. Ich kann mir dies auch gut als Soundtrack vorstellen, bei der sich der Protagonist zu Fuß oder per Auto durch eine Neondurchflutete Großstadt bewegt.

In „Blue Fandango“ ergänzt Nils Petter seine Musik um Theremin-Sounds, die diesen typisch weinerlichen und ziehenden synthetischen Sound ausmachen. Das klingt im Zusammenhang mit der Trompete recht verträumt und melancholisch zugleich. Nichts für Leute, die kurz vor dem Suizid stehen. Und auch die restlichen beiden Stücke verströmen eine jazzlastige Mixtur.

Auf „Baboon Moon“ hat Nils Petter Molvaer - den ich bis dato nicht kannte - für mich bisher ungehörte Musik veröffentlicht. Durch die recht jazzlastigen Klänge wandelt die Musik auf „Baboon Moon“ jenseits der ausgetretenen Musikpfade. Ein Album für Grenzgänger oder Musikfreunde, die sich auf ungewöhnliche Klänge einlassen können. Auf mich übt die Musik jedenfalls eine ungewohnte Faszination aus, die ich nicht beschreiben kann.

Stephan Schelle, September 2011

   

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