Marillion – Sounds That Can’t Be Made

Marillion – Sounds That Can’t Be Made
earMUSIC / Edel (2012)
(8 Stücke, 74:21 Minuten Spielzeit)

Im September 2012 erscheint das nunmehr 17. Album der britischen Artrockband Marillion. Es ist erstaunlich, wie sich die Band über die Jahre hinweg immer wieder neu erfunden hat und kaum ein Album dem anderen gleicht. Drei Jahre ist es her, dass mit „Less Is More“ das letzte Studioalbum erschienen ist. Auf ihm befand sich kein neues Material, sondern Akustikversionen von älteren Songs. Dies hatten die Briten aber in sehr anspruchsvoller Form aufbereitet. Ein Jahr zuvor, im Jahr 2008,  hatten sie mit den beiden CDs „Happiness Is The Road“ zuletzt neues Material veröffentlicht.


Der neue Silberling nennt sich vollmundig „Sounds That Cant’t Be Made“. Sind es wirklich Sounds, die nicht machbar sind, die auf dem neuen Werk zu finden sind? Wie haben sich die fünf Briten in den letzten weiterentwickelt, frage ich mich da. Die Antwort gibt zunächst der Opener, ein 17minütiger Longtrack mit dem Titel „Gaza“, der es in sich hat. Schon das Thema ist bedrückend, kennen wir doch die Stadt vor allem durch ihren Standort, den Gazastreifen, durch die Auseinandersetzungen zwischen Israeliten und Palästinensern. Dieser Thematik haben sich Steve Hogarth & Co. Gewidmet. So klingen in diesem Song auch arabisch/orientalische Klänge, die einen sofort in dieses Gebiet transportieren. Aber zuerst kommen einige entfernte Stimmen aus dem Off, zu denen sich in weiter Ferne Geräusche mischen, die bedrohlich klingen. Steve Hogarth’s Gesang wirkt ein wenig wehmütig, anklagend, verzweifelt und der Stimmung angepasst. Und dann kommen nach gut zwei Minuten die ersten heftigen Soundstürme auf den Hörer zu. Rothery sägt teilweise ao an seiner Gitarre rum, das einem Hören und Sehen vergeht. Das ist so hart, wie Marillion noch nie zuvor geklungen haben. Der Song wandelt immer wieder zwischen diese zarten, sanften und den absolut kraftvollen und heftigen Passagen hin und her. Mit „Gaza“ überraschen die Briten die Musikgemeinde ungemein und das auf sehr positive Weise. Ich muss gestehen, dass ich beim ersten Hördurchlauf von diesem Song etwas überfordert war. Doch mit jedem weiteren Durchgang bohrt er sich immer tiefer in die Hirnwindungen ein.

Ich kann es hier schon Mal vorwegnehmen, „Gaza“ ist der härteste Song des Albums, der Rest ist wieder eher in sanfter und eindringlicher Form eingespielt worden. Mit „Gaza“ haben sich Marillion nicht nur neu erfunden, sondern bereiten den Weg in das neue Werk, das sieben wunderbare melodische Perlen bereithält.

Der siebenminütige Titelsong ist ein typischer Marillion-Song der h-Aera. Streicher, wunderbare Gitarren und Keyboards unterlegen den eingängigen Gesang von h und münden in herrlichen Soli. Ein Song, in den man sich fallen lassen kann und der in einer eigenartigen Form luftig und leicht klingt.

Das Keyboard zu Beginn von „Pour My Love“ klingt zunächst nach Supertramp, bekommt aber schnell eine eigene Note. Der melodiöse Song ist eine verträumte Midtemponummer. Die Melodie geht sehr schnell ins Ohr und schmeichelt sich unbemerkt ein. In der zweiten Hälfte zieht die Band dann das Tempo an und verstärkt den Rhythmus. Das ist klasse gemacht. Fast schon in Popgefilden wandeln Marillion dann in „Power“, das vor allem durch die atmosphärischen Gitarrenpassagen Rothery’s und die Keyboardsounds von Kelly dieses Flair verströmen. Und Trewavas Bassspiel zeigt eine ganz markante Note, die besonders heraussticht. Ein klasse Song, der sofort gefangen nimmt.

Mit „Montreal“ folgt ein weiterer Longtrack, der es auf 14 Minuten bringt. Der Track ist sehr stimmungsvoll und enthält einige Melodie- und Strukturwechsel. Auch wenn man den Text nicht verfolgt, so hat man doch bei der Musik das Gefühl auf einer Reise zu sein (er handelt von einem Trip durch Kanada, den Hogarth gemacht hat). Mit „Invisible Ink“ ist dann noch so ein intensiver Song (durch h’s akzentuiert angelegten Gesang und die teilweise zeitlupenartige Struktur) auf dem Album, der hypnotische Wirkung erzeugt. Nach gut der Hälfte lassen die Jungs dann aber die Zügel los und der Song erhält eine kraftvolle Rhythmik und geht ordentlich ab.

Nach dem eingängigen und rockigen „Lucky Man“ kommt dann der letzte Song „The Sky Abouve The Rain“, der mit zehn Minuten wieder zum Longtrack ausartet. Auch hier spielt die Band mit zarten, verträumten und rockigen, rhythmischen Passagen. Die Melodie ist wieder hinreißend und sehnsuchtsvoll. Ein toller Abschluss eines herausragenden Albums.

Mit „Sounds That Can’t Be Made“ haben Marillion ihr bestes Studioalbum seit zig Jahren auf den Markt gebracht. Lange habe ich die Band nicht mehr in solch bestechender Form gehört. Es gibt keinen Ausfall auf diesem faszinierenden neuen Werk. Allein schon „Gaza“ ist der Kauf dieses Albums wert. Marillion’s neuester Output ist ein Pflichtkauf für jeden Art- und Progfan.

Stephan Schelle, September 2012

   

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