L’Estate di San Martino - Kim
AMS Records (2022)
(10 Stücke, 59:09 Minuten Spielzeit)

L’Estate di San Martino ist eine italienische Band, die 1975 gegründet wurde. Zu den aktuellen Mitgliedern gehört der Multiinstrumentalist Marco Pentiricci (Bassgitarre, Basspedale), einer der Gründer der Band, die auf eine lange Geschichte zurückblicken kann. Daneben stellt sich das aktuelle LineUp wie folgt dar: Luca Castellani (E-Gitarre), Marco Pentiricci (Flöte, Kiowa-Flöte, Saxophon, Harfe), Andrea Pieroni (Leadgesang), Riccardo Regi (12-saitige akustische und elektrische Gitarre, E-Gitarre), Sergio Servadio (Schlagzeug) und Stefano Tofi (Tasteninstrumente). Als Gastmusiker war noch Mauro Formica am E-Bass bei zwei Stücken beteiligt.


Kim ist ein Konzeptalbum, das von einer wahren Geschichte inspiriert ist: dem Versuch, eine 23-jährige krebskranke Amerikanerin in einen Winterschlaf zu versetzen und sie in einer fernen Zukunft zu erwecken, in der sie endlich von einer Krankheit genesen könnte, die in vielen Fällen auch heute noch unheilbar ist.

Sieben Jahre nach dem Unplugged-Werk ist Kim eine elektrische Rückkehr, mit der L’Estate di San Martino Themen wie Darwinismus, Transhumanismus, den ewigen Gegensatz zwischen Religion und Wissenschaft und die ultimative Grenze, bis zu der letztere getrieben werden kann, anspricht. So hat die Band beschlossen, ihren Sound in Richtung eines modernen progressiven Rocks zu verändern, der fast ohne die akustischen Passagen der Vergangenheit auskommt, dafür aber voller elektronischer Elemente ist. Im Mittelpunkt dieser stilistischen Entwicklung steht Andrea Pieroni, der neue Sänger mit einem warmen und ausdrucksstarken Ton, der einem musikalisch tadellosen Album den letzten Schliff verleiht.

Erhältlich als schwarze 180gr-LP mit 4-seitigem Booklet (30x30cm) und als CD im Papersleeve mit drei Ghost Tracks. Die CD-Version hat 2 längere Stücke (Inanna und Libera) als die LP-Version. Der letzte Song Tewar, nur in der CD-Version, ist 11 Minuten lang (er enthält 3 Ghost Tracks). Die LP-Hülle enthält ein 4-seitiges Booklet/Poster mit der Geschichte Kim, geschrieben von Riccardo Regi. LP limitierte Auflage 300 Stück.

Zehn Stücke, die – bis auf die instrumentalen Stücke „Cretto“, „Il Ciclope“ und „Tewar“ – in italienischer Sprache vorgetragen werden, finden sich auf dem Album. Es beginnt mit dem 3:20minütigen „Cretto“, das durch eine sehr schöne atmosphärische Stimmung besticht, in der vor allem der sanfte Rhythmus und die Pianomelodie hervortreten. Das hat neben symphonisch/proggigen auch einige leicht funkige und jazzige Elemente. Markant zeigt sich im Sound von L’Estate di San Martino auch der Einsatz der Querflöte. „Cretto“ stellt somit einen gelungenen Prolog in das Album dar.

Der erste Song folgt dann mit dem 4:42minütigen „Sul prato“ das durch Gitarre und Querflöte recht stark im Stil der frühen Genesis gehalten ist. Diesen Stil ergänzen L’Estate di San Martino um weitere Elemente (z. B. funkige Gitarren, elektronische Bläsersounds), so dass sie nicht wie ein Genesis-Klon wirken, sondern sehr eigenständig klingen.

Mit einem Rhythmus, der auch an Gabriel-Produktionen erinnert, asiatischer Flöte sowie afrikanisch wirkenden Percussion wartet dann unter anderem das 5:45minütige Stück „Inanna + Coda Inanna“ zu Beginn auf. Dies wird dann in einen – erneut mit leicht funkiger Rhythmusgitarre und Tull-artiger Flöte - sehr melodischen Part überführt. Dann setzt der Gesang von Andrea Pieroni ein, der sich – wie auch in den anderen Stücken - recht gefühlvoll mit der jetzt proggigen Musik verbindet. Ein sehr schöner Track.

Sanfte Keyboardflächen und Flötenklänge eröffnen das 6:09minütige Stück „Gocce“, das wie eine warme Brise den Raum füllt. Andreas etwas rauchige Stimme sorgt ebenfalls für ein sehr angenehmes Wohlgefühl. Zwar wird das Stück im Verlauf etwas druckvoller – u.a. durch einen markanten Bass und etwas ausdrucksstärkeres Schlagwerk und Gesang – doch schwebt der Track immer noch luftig leicht durch den Raum.

Das 1:29minütige Zwischenspiel „Il Ciclope“ empfängt die Hörer dann zu Beginn mit einem Mellotron-Gedächtnis-Intro des Genesis-Klassikers „Watcher Of The Skies“, wechselt aber nach wenigen Momenten in einen anderen Stil, der trotzdem leichtes Genesis-Feeling verströmt.

Das 4:07minütige „Il monaco Pierre“ zeigt sich dann wieder von einer etwas rockigeren Seite, die an italienische Progbands erinnert. Balladesk kommt dann das 7:14minütige „Immaginami“ aus den Boxen, das hier auch eine Prise italienschen Pop versprüht. Nach etwas mehr als zwei Minuten kommen aber wieder proggigere Klänge zum Vorschein, die auch wieder an Genesis erinnern, was vor allem an der nach Hackett klingenden E-Gitarre auszumachen ist. Der Track besticht vor allem durch seinen ausufernden Instrumentalteil mit herrlichen Keyboardsoli.

Mit dem 9:31minütigen „Caleidoscopio“ ist dann ein weiterer Longtrack auf dem Album. Klänge wie aus einer Tropfsteinhöhle mit leichtem Vangelis-Touch starten in diesen Longtrack. Nach gut 0:45 Minuten wechselt dann aber die Stimmung und führt in einen treibenden Rocksong. Die Band wechselt in dem Track die Struktur, den Rhythmus und die Melodie sowie die Dynamik mehrfach, so dass sich vor den Hörern ein fesselndes, langes Stück ausbreitet. Gleiches gilt für den elfminütigen Rausschmeisser „Tewar“ (inkl. 3 Hidden Tracks), der mit einem Herzschlagrhythmusmuster beginnt. Dazu kommen chorartige Synthklänge und Effekte in den ersten zwei Minuten.

Dann macht die Band aber einen Fehler – wie ich finde – und legt eine fast einminütige Pause (Stille) ein. Ich bin einfach kein Freund diese stillen Pausen. Nun kommen drei Hidden Tracks, die nahtlos aneinander gefügt wurden. Zunächst wird rockig gejammt, ab Minute 4:38 kommt dann eine sanfte Flötenmelodie auf, die vom Piano untermalt wird. Weitere musikalische Teile schließen sich danach an und enden in einen himmlischen Part mit engelsgleicher Gesangsstimme (ohne Text).

L’Estate di San Martino ist mit „KIM“ ein sehr schönes proggiges Album gelungen, bei dem sich Freunde der frühen Genesis wohlfühlen werden. Die Band mischt aber auch einige funkige, jazzige sowie weitere Elemente in ihre Musik, so dass hier keine Langeweile oder eine Art Genesis-Klon aufkommt.

Stephan Schelle, Dezember 2022

   

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