Jethro Tull – A Passion Play (An Extended Performance)
Chrysalis / Warner Music Entertainment (1973 / 2014)

(30 Stücke, 105:26 Minuten Spielzeit)

Nach den grandiosen Alben „Aqualung“ und „Thick As A Brick“ veröffentlichten Jethro Tull im Jahr 1973 mit ihrem sechsten Studioalbum ein sehr ambitioniertes Werk, das nicht einfach zu konsumieren ist, sind doch neben den Jethro Tull typischen Elementen auch progressive und jazzige Passagen sowie skurrile Einschübe wie zum Beispiel „The Story Of The Hare Who Lost His Spectacles“ enthalten. Auch entstand das Album unter widrigen Umständen, die die Veröffentlichung fast zum Scheitern gebracht hätten. Nach etwas mehr als 40 Jahren erscheint dieses Werk nun in remasterter Form als Extendend Performance-Edition. Am 11.07.2014 erscheint dieses tolle Paket.


Die Band fragte sich was sie nach einem so opulenten Konzept-Album wie „Thick As A Brick“, bei dem das Album nur aus einem einzigen Stück bestand, machen sollte. Nicht etwa ein Album mit einzelnen Songs, sondern erneut ein Konzeptwerk, in dem sich die britische Band neu erfand, war das Ergebnis.

In diesem Jahr gingen Jethro Tull zum ersten Mal in ihrer fünfjährigen Karriere mit unverändertem Line-Up ins Studio -  und wieder mit klarer Aufgabenverteilung. Gründungsmitglied und Bandleader Ian Anderson schrieb seine Songs auf akustischer Gitarre, Flöte und diesmal auch Saxophon, und Gitarrist Martin Barre, Bassmann Jeffrey Hammond-Hammond, Drummer Barriemore Barlow und Keyboarder John Evans sorgten für das perfekte Umfeld für Andersons Kompositionen. Die nächste Frage lautete also: In welches Studio sollte man gehen? Zwei Kriterien standen im Vordergrund: Zum Einen sollte das Studio sich auf dem Festland befinden – schon aus steuerlichen Gründen. Zum Anderen musste es ein Studio mit einem guten Ruf sein und der Band ein bequemes Umfeld liefern. Das Château d’Hérouville bei Paris schien auf den ersten Blick perfekt zu sein: Elton John hatte hier sein Album „Honky Château“ aufgenommen, Pink Floyd spielten hier ihren Film-Soundtrack „Obscured By Clouds“ ein. Es gab einen Wohnbereich und das Studio war sehr gut ausgerüstet – offenbar die perfekte Wahl. Was sollte also noch schiefgehen? Alles.

Die Aufnahmen endeten in einem Desaster. Zunächst gab es technische Probleme mit dem Studio. Dann gab es da den Wohnbereich… die Band musste sich einen gemeinsamen Schlafraum teilen, der sehr spärlich ausgerüstet war. Das wäre noch tolerierbar gewesen, wenn sie die einzigen Bewohner gewesen wären. Unglücklicherweise mussten sie sich die Betten mit einer Vielzahl von einheimischen Bettwanzen teilen. Und um das Fass zum Überlaufen zu bringen, zogen sich alle Bandmitglieder eine üble Nahrungsmittelvergiftung zu, die eine Folge des Inhouse-Caterings war. Es überrascht nicht, dass sie sich entschieden, wieder nach Hause zu fahren und das bis dahin aufgenommenes Material von ungefähr einer Stunde Länge links liegen zu lassen. Jethro Tull fingen von vorn an und schrieben ein komplett neues Album, anstatt irgendwie zu versuchen, die Begeisterung wiederzubeleben und die Band auf etwas einzuschwören, was bereits gescheitert war.

So entstand schließlich „A Passion Play“, ein Album, das sich zu einem 45-minütigem Prog-Rock-Monument mit komplizierten Rhythmen, komplizierten Texten und – nun ja – kompliziertem Allem entwickelte. Bis zum nächsten Tourstart blieben noch neun Tage Zeit, und so musste es schnell gehen. Thema des Albums ist ein Zyklus um Wiedergeburt und ewiges Leben, die Erkenntnis, dass die Entscheidungen des Lebens bis in das Nachleben reichen – die alte Geschichte von Gut gegen Böse, Gott gegen den Teufel. Und – es wurde eines der beeindruckendsten Alben von Jethro Tull: heiß diskutiert unter den Fans und auf Anhieb platziert auf Position 1 der US-Charts.

Das Set mit zwei CDs und zwei DVDs im Buchformat ist wirklich opulent ausgefallen, genau wie die Special Collector’s Edition von „Thick As A Brick“. Auf den beiden CDs finden sich die neuen Remixe des Albums „A Passion Play“ und der „The Chateau D’Herouville Sessions“, die von keinem geringeren als Steven Wilson erstellt wurden. Letzte CD umfasst die Session, bei der Jethro Tull in dem französischen Gebäude aus dem Jahr 1740, nahe Paris, Material für ihr Album „A Passion Play“ einspielen wollten. Hier sind einige Fassungen in anderen Versionen zu finden und auch die auf der später veröffentlichten „War Child“ herausgekommenen „Only Solitaire“ und „Skating Away On The Thin Ice Of The New Day“ wurden schon zu diesem Zeitpunkt komponiert. Sie kommen den späteren Originalen sehr nahe. Aber vor allem die weiteren Stücke und veränderten Parts machen diese CD aus.

Das Material der beiden CDs liegt daneben in verschiedenen Formaten auf den beiden DVDs vor. Vor allem der Dolby Surround- bzw. DTS-Sound besticht durch sein räumliches Klangformat. Hierdurch bekommen die Stücke noch mehr Tiefe und Transparenz. Der Mix von Steven Wilson ist perfekt gelungen und so kitzelte der Soundmagier unglaubliches aus den Aufnahmen heraus. Es ist ein wahrer Ohrenschmaus, der sich hier auftut und der das Album in neuem Licht und Glanz erstrahlen lässt.

Jethro Tull’s „A Passion Play – An Extended Performance“ ist eine grandiose Umsetzung dieses Konzeptwerkes aus den frühen 70’ern. Der neue Mix (vor allem im DTS-Format) zeigt, welch herausragendes Album die Briten seinerzeit auf ihr Meisterwerk „Thick As A Brick“ hatten folgen lassen. Hohe Empfehlungsstufe.

Stephan Schelle, Juni 2014

   

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