Flying Circus - 1968
Fastball Music / BOB-MEDIA (2020)

(10 Stück, 48:15 Minuten Spielzeit)

Die im Großraum Köln/Düsseldorf beheimatete Formation FLYING CIRCUS ist bekannt dafür, anspruchsvollen Progressive Rock mit leidenschaftlichem Hard Rock zu mischen und hat mittlerweile eine ganze Reihe international beachteter Alben veröffentlicht - zuletzt 2016 das Konzeptalbum „Starlight Clearing“, das eine durchgehende Geschichte erzählt. Bisher war mir diese Formation aber unbekannt (obwohl sie schon seit gut 30 Jahren aktiv ist und ca. sieben Alben veröffentlichte) und somit ist das Album „1968“ der erste Kontakt zu ihrer Musik, daher kann ich keine Vergleiche zu vorhergehenden Veröffentlichungen ziehen.


Die Band Flying Circus besteht aus den Musikern Michael Dorp (Gesang), Michael Rick (Gitarre), Rüdiger Blömer (Keyboards und Geige), Roger Weitz (Bass) und Ande Roderigo (Schlagzeug). Die einzelnen Mitglieder haben ihre Idole vor allem in den großen Bands der 70’er Jahre und das hört man auch an einigen Stellen auf dem neuen Album heraus. Aufgenommen wurde das Album in den legendären „Dierks Studios“ in Pulheim-Stommeln, wo schon Weltstars wie Ike & Tina Turner, Rory Gallagher, die Scorpions oder Eric Burdon Songs eingespielt haben.

Das Album „1968“ erscheint am 27.03.2020 und thematisiert das bekannt-berüchtigte Jahr, in dem neben der Flowerpower-Bewegung auch Studentendemos, verschiedene Attentate, ein Massaker im Vietnamkrieg oder auch die Vorboten der „Troubles“ in Nordirland stattfanden. Diesen Themen widmen sich Flying Circus auf ihrem Konzeptalbum, das allerdings keine klare Storyline verbindet. Vielmehr beschäftigen sich die Songs auf dem Album mit verschiedenen historischen Ereignissen dieses bedeutsamen Jahres an den unterschiedlichsten Orten der Welt. So werden etwa Vorkommnisse in Städten wie Paris, Prag, Berlin, Wien, Derry, My Lai (Vietnam), Memphis und New York in gleichnamigen Tracks musikalisch beleuchtet. Die Herausforderung, die komplexen Ereignisse von 1968 mit Mitteln der Rockmusik umzusetzen, meistert die Band durch ihre große gestalterische Kraft spielend und findet so adäquate, mitreißende und manchmal überraschende musikalische Ausdrucksformen.

Gestartet wird die CD mit dem Song „Paris“, das die Studentenunruhen thematisiert. Der rhythmische Beginn soll die marschierenden Studenten darstellen. Ein eindringlicher Rocksong mit trockenem Klang, der musikalisch den Spirit der 70’er atmet aber ganz im Hier und Jetzt verortet ist.

Leichtes Deep Purple-Feeling kommt beim nächsten Song „New York“ auf, was vor allem an der Orgel liegt. In diesem Song geht es um das Attentat auf Andy Warhol. Nach diesen beiden Stücken wird schon deutlich, dass Michael seine Stimme den jeweiligen Songs anpasst, denn er klingt hier anders als im Opener. Das folgende „Prague“ weist proggige Elemente auf, was zu Beginn ebenfalls durch die Keyboards erzeugt wird. Im ersten Strophenteil wird Michael dann nur vom Piano begleitet, was dem ernsten Thema gerecht wird. Ab dem Refrain prallen dann progressive mit leicht jazzigen Elementen zusammen, was eine unwirkliche Stimmung erzeugt.

Mit dem 1:58minütigen „Derry“ kommt dann das erste Instrumental ins Spiel. Dies klingt zunächst sehr nach irischem Folk und wird dann von Akustikgitarre und Violine bestimmt. Aufgrund dieser Zusammensetzung erinnert mich der Track an den Stil von Farfarello.

Mit dem rockigen „The Hopes We Had (In 1968)“, dessen einminütiges Reprise das Album beschließt, geht es dann sehr melodiös weiter. Mit „Mỹ Lai“ widmen sich Flying Circus dann dem Vietnamkrieg, in dem sie das Massaker von Mỹ Lai, das an Zivilisten im Vietnamkrieg begangen wurde, in den Vordergrund stellen. Im Song werden die Ereignisse dann aus der Perspektive des Hubschrauberpiloten, der die Kriegsverbrechen anschließend meldete, geschildert. Asiatische Klänge sorgen für die musikalische Verortung in die Region. Daneben hat die Band Sounds von Hubschrauberrotoren eingebaut, was den Bezug zum Piloten herstellt. Recht düster wirkt der Song, da die Band neben melancholischen Klängen auch einige Rhythmuswechsel eingebaut hat.

Für die schwarze Bevölkerung weltweit, aber vor allem in den USA war der Mord an Martin Luther King eine Tragödie. Dieses Ereignis haben Flying Circus dann in einem nachdenklichen, ruhigen Rocksong (mit eingestreuten Bläsersätzen) umgesetzt.

Das zweiminütige „Vienna“ ist dann der zweite Instrumentaltrack, der hier sehr elektronisch mit einigen Sprachsamples daherkommt. „Berlin“ und „The Hopes We Had (Reprise)“ beenden dann das Konzeptalbum.

Die CD erscheint in einem vierseitigen Digipack mit 16seitigem Booklet in dem sich alle Songtexte und Fotos der Band und ihrer Mitglieder befinden. Als Fotograf für die Bandporträts im Album-Artwork wurde der ehemalige „Rockpalast“-Hausfotograf Rainer Leigraf verpflichtet. Daneben ist auch noch unter dem Titel „Timeline“ eine Liste von besonderen Ereignissen des Jahres 1968 aufgeführt.

Man sollte sich nicht von dem Flowerpower-Design des Covers irritieren lassen, denn es wird Progressive Rock mit einer Portion Hardrock serviert, der nicht die glorifizierte Bewegung freier Liebe und Entfaltung thematisiert, sondern mehr die historischen Ereignisse in den Vordergrund stellt. Das Ganze wurde musikalisch komplex und fast in einer Art Rockoper umgesetzt. Ein starkes Album.

Stephan Schelle, März 2020

   

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