Flying Circus - 1968 Die im Großraum Köln/Düsseldorf beheimatete Formation FLYING CIRCUS ist bekannt dafür, anspruchsvollen Progressive Rock mit leidenschaftlichem Hard Rock zu mischen und hat mittlerweile eine ganze Reihe international beachteter Alben veröffentlicht - zuletzt 2016 das Konzeptalbum „Starlight Clearing“, das eine durchgehende Geschichte erzählt. Bisher war mir diese Formation aber unbekannt (obwohl sie schon seit gut 30 Jahren aktiv ist und ca. sieben Alben veröffentlichte) und somit ist das Album „1968“ der erste Kontakt zu ihrer Musik, daher kann ich keine Vergleiche zu vorhergehenden Veröffentlichungen ziehen. |
||||
Das
Album „1968“ erscheint am 27.03.2020 und thematisiert das bekannt-berüchtigte
Jahr, in dem neben der Flowerpower-Bewegung auch Studentendemos,
verschiedene Attentate, ein Massaker im Vietnamkrieg oder auch die
Vorboten der „Troubles“ in Nordirland stattfanden. Diesen Themen
widmen sich Flying Circus auf ihrem Konzeptalbum, das allerdings keine
klare Storyline verbindet. Vielmehr beschäftigen sich die Songs auf dem
Album mit verschiedenen historischen Ereignissen dieses bedeutsamen Jahres
an den unterschiedlichsten Orten der Welt. So werden etwa Vorkommnisse in
Städten wie Paris, Prag, Berlin, Wien, Derry, My Lai (Vietnam), Memphis
und New York in gleichnamigen Tracks musikalisch beleuchtet. Die
Herausforderung, die komplexen Ereignisse von 1968 mit Mitteln der
Rockmusik umzusetzen, meistert die Band durch ihre große gestalterische
Kraft spielend und findet so adäquate, mitreißende und manchmal überraschende
musikalische Ausdrucksformen. Gestartet
wird die CD mit dem Song „Paris“, das die Studentenunruhen
thematisiert. Der rhythmische Beginn soll die marschierenden Studenten
darstellen. Ein eindringlicher Rocksong mit trockenem Klang, der
musikalisch den Spirit der 70’er atmet aber ganz im Hier und Jetzt
verortet ist. Leichtes
Deep Purple-Feeling kommt beim nächsten Song „New York“ auf, was vor
allem an der Orgel liegt. In diesem Song geht es um das Attentat auf Andy
Warhol. Nach diesen beiden Stücken wird schon deutlich, dass Michael
seine Stimme den jeweiligen Songs anpasst, denn er klingt hier anders als
im Opener. Das folgende „Prague“ weist proggige Elemente auf, was zu
Beginn ebenfalls durch die Keyboards erzeugt wird. Im ersten Strophenteil
wird Michael dann nur vom Piano begleitet, was dem ernsten Thema gerecht
wird. Ab dem Refrain prallen dann progressive mit leicht jazzigen
Elementen zusammen, was eine unwirkliche Stimmung erzeugt. Mit
dem 1:58minütigen „Derry“ kommt dann das erste Instrumental ins
Spiel. Dies klingt zunächst sehr nach irischem Folk und wird dann von
Akustikgitarre und Violine bestimmt. Aufgrund dieser Zusammensetzung
erinnert mich der Track an den Stil von Farfarello. Mit
dem rockigen „The Hopes We Had (In 1968)“, dessen einminütiges
Reprise das Album beschließt, geht es dann sehr melodiös weiter. Mit
„Mỹ Lai“ widmen sich Flying Circus dann dem Vietnamkrieg, in dem
sie das Massaker von Mỹ Lai, das an Zivilisten im Vietnamkrieg
begangen wurde, in den Vordergrund stellen. Im Song werden die Ereignisse
dann aus der Perspektive des Hubschrauberpiloten, der die Kriegsverbrechen
anschließend meldete, geschildert. Asiatische Klänge sorgen für die
musikalische Verortung in die Region. Daneben hat die Band Sounds von
Hubschrauberrotoren eingebaut, was den Bezug zum Piloten herstellt. Recht
düster wirkt der Song, da die Band neben melancholischen Klängen auch
einige Rhythmuswechsel eingebaut hat. Für
die schwarze Bevölkerung weltweit, aber vor allem in den USA war der Mord
an Martin Luther King eine Tragödie. Dieses Ereignis haben Flying Circus
dann in einem nachdenklichen, ruhigen Rocksong (mit eingestreuten Bläsersätzen)
umgesetzt. Das
zweiminütige „Vienna“ ist dann der zweite Instrumentaltrack, der hier
sehr elektronisch mit einigen Sprachsamples daherkommt. „Berlin“ und
„The Hopes We Had (Reprise)“ beenden dann das Konzeptalbum. Die
CD erscheint in einem vierseitigen Digipack mit 16seitigem Booklet in dem
sich alle Songtexte und Fotos der Band und ihrer Mitglieder befinden. Als
Fotograf für die Bandporträts im Album-Artwork wurde der ehemalige
„Rockpalast“-Hausfotograf Rainer Leigraf verpflichtet. Daneben ist
auch noch unter dem Titel „Timeline“ eine Liste von besonderen
Ereignissen des Jahres 1968 aufgeführt. Man
sollte sich nicht von dem Flowerpower-Design des Covers irritieren lassen,
denn es wird Progressive Rock mit einer Portion Hardrock serviert, der
nicht die glorifizierte Bewegung freier Liebe und Entfaltung thematisiert,
sondern mehr die historischen Ereignisse in den Vordergrund stellt. Das
Ganze wurde musikalisch komplex und fast in einer Art Rockoper umgesetzt.
Ein starkes Album. Stephan Schelle, März 2020 |
||||