Electric Orange - Netto

Electric Orange - Netto
Sulatron Records / Cargo Records Distribution (2011)
(9 Stücke, 79:44 Minuten Spielzeit)

Electric Orange boten zuletzt im Jahr 2010 „Krautrock From Hell”, jetzt gibt es im September ein neues Album des deutschen Kraut-/Psychedelic/Jamrock-Projektes. Es trägt den Titel „Netto“. Seit fast 20 Jahren existiert Electric Orange bereits und seither entsteht das Material für ihre Stücke überwiegend während der Aufnahmearbeiten. Diese improvisationsartige Stimmung überträgt sich auch auf die Ergebnisse, sprich ihre Alben. Und so ist „Netto“, das am 23.09.2011 erscheint, auch wieder ein Album voller psychedelischer, improvisierter Sounds.


Die Band besteht aus Dirk Jan Müller (Tasteninstrumenten, Gitarre), Dirk Bittner (Gitarren, Perkussion), Georg Monheim (Schlagzeug) und Tom Rückwald (Bass). Diese vier toben sich auf neun Stücken, deren Laufzeiten zwischen 2:45 und 14:58 Minuten liegen (fünf alleine über der Zehn-Minuten-Marke), ordentlich aus und bereiten dem Hörer eine Menge Spaß.

Los geht es mit dem Stück „Polyzysten“ (wenn man sich die humorvollen Titel anschaut, scheint es sich hier um Polizisten zu handeln, die durch eine ungewöhnliche Schreibweise vom Sinn ablenken). Das Stück startet mit Geräuschen, wie von einer Fliege oder einem Insekt. Dann kommen nach wenigen Momenten sägende, psychedelische Gitarren, die mit entsprechenden Schlagzeugrhythmen, die recht disharmonisch - wie zum Ende der 60’er Jahre - klingen, hinzu. Daraus entwickeln Electric Orange dann langsam eine Struktur. Herrlich sind hier die Retro-Klänge der Hammondorgel, die sich perfekt in das Gesamtbild schmiegen. Dieser erste Track hat schon eine hypnotische Wirkung und entführt den Hörer in die 60’er bzw. 70’er Jahre, als Bands wie Pink Floyd noch ihrer psychedelischen Ausrichtung frönten.

Nahtlos mit tollen ethnischen Perkussion geht es in den nächsten Track „Basslochner“, der mit 2:45 Minuten auch der kürzeste Track ist. Dieser ist rein perkussiv und stellt die Brücke zum folgenden „Fluff“ dar. In diesem ersten mehr als zehnminütigen Stück geht es sehr harmonisch und hypnotisch zu, so dass man völlig in der musikalischen Welt von Electric Orange abtauchen kann.

Die Musik entwickelt sich ständig weiter und so finden wir uns im „Perpetuum Mobiliar“ für gut fünf Minuten in einer recht rhythmischen, pulsierenden Zwischenwelt wieder. Es folgt ein etwas harter Übergang zum Titelstück, das mich wieder sehr stark an die Musik der frühen Pink Floyd erinnert. Aber auch spacige Momente sind auf „Netto“ zu finden, wie etwa in „Supptruppen“, das elektronische Flächen mit experimentellen und psychedelischen Gitarrenmotiven verbindet. In diesem fast 13minütigen Stück wird man von den sich immer mehr steigernden psychedlischen Klängen, die ich nicht wirklich definieren kann, in einen hypnotischen Sog gezogen. Obwohl hier recht wenig zu passieren scheint, übt dieser Sound eine ungeheure Faszination aus. Es ist so, als würde man als Kaninchen vor einer Schlage erstarren. Völlig aus der Welt entrückt scheint „Zeitheiser“ in einer Mischung aus Psychedelic, Experimental und Jazz. Und im abschließenden „Raumschaf“ kommen noch mal alle Zutaten in einen Topf um einen wohlschmeckenden Nachtisch zu servieren.

Mit „Netto“ haben sich Electric Orange nicht etwa reduziert, sondern führen ihren psychedelisch/krautigen Stil, den sie auf Alben wie „Krautrock From Hell“ oder „Morbus“ zum Besten gaben, nahtlos fort. Das Album, dessen Stücke direkt ineinander übergehen, wirkt sehr kompakt und in sich geschlossen, so dass man es auch als einen Longtrack ansehen kann. Man betritt quasi bei „Polyzysten“ den psychedelischen Zug und steigt erst am Ende von „Raumschaf“ nach fast 80 Minuten Fahrtzeit wieder aus. Eine zeitlose Reise für den Geist, die den Hörer völlig aus der Realität katapultiert. Ein tolles Album!

Stephan Schelle, September 2011

   

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