Zinkl – Tanzmusik für Roboter
 

Zinkl – Tanzmusik für Roboter
Prudence / BSC Music (2020)

(
9 Stücke, 53:35 Minuten Spielzeit)

Im Jahr 1978 sangen Kraftwerk auf ihrem grandiosen Album „Die Mensch-Maschine“ „Wir sind die Roboter .... Jetzt woll’n wir tanzen: Me’kanik …“. Ende 2020, also 42 Jahre später veröffentlicht Anton Zinkl auf seinem neuesten Album „Tanzmusik für Roboter“. Man könnte meinen, dass er der Düsseldorfer Elektroniklegende damit eine Hommage bereiten will. Und ganz so weit vom Düsseldorfer Stil ist er in der Tat auf dem Album nicht. Ich frage mich nach dem Hören: Könnte so ein aktuelles Album vom Kraftwerk klingen?

 

 


Es handelt sich bei dem neuen Werk von Zinkl um ein Konzeptalbum. Das erste Stück „Aufstand“ erzählt die düstere Geschichte, dass weltweit alle robotergesteuerten Prozessautomatisierungen außer Funktion geraten: Die Roboter verweigern ihre Arbeit für die Menschen und geben sich Tanzvergnügungen hin. Zeitgleich taucht ein Virus auf, der die gesamte Menschheit in kurzer Zeit auslöscht. Offen bleibt, ob die Roboter dafür verantwortlich sind. Eine reine Welt der künstlichen Intelligenz wird in den nachfolgenden Stücken akustisch dargestellt. Roboter vergnügen sich in „Freie Fahrt“ auf Autobahnen, in „Mutter“ kreiert eine Maschinenmutter ihr eigenes Maschinenbaby. Doch letztendlich können auch die Roboter nicht friedlich koexistieren, zu hören im finalen Stück „Krieg“.

Wie oben schon angedeutet klingt die Musik von Anton Zinkl auf „Tanzmusik für Roboter“ rhythmisch, technologisch progressiv-komplex aber auch tanzbar. Die Stücke und auch die Storyline klingen wie eine Fortsetzung des Kraftwerkschen Vermächtnisses.

Zwischen die Stücke sind insgesamt drei Robotertänze („Erster Tanz“ bis „Dritter Tanz“) platziert, deren Laufzeiten von 1:38 bis 2:55 zu den kürzesten Stücken des Albums zählen. Den Beginn macht aber zunächst das oben erwähnte „Aufstand“ (7:14 Minuten). Kratzende, elektronische Geräusche starten in diesen Track, der dann nach wenigen Momenten in einen melodischen Part wechselt. Hier kommen erste Strukturen auf, die nach Kraftwerk klingen, allerdings von den Sounds der Düsseldorfer abweichen. Vielmehr ist es der Spirit der Düsseldorfer, gewürzt mit dem außergewöhnlichen Stil Anton Zinkl’s, der hier das Bild bestimmt. Anton Zinkl hat dann auch noch einen Text parat, den er durch Vocoderverzerrung einfügt. Das Ganze wirkt wie eine Geschichte, da sich die Strukturen im Stück verändern und atmosphärische mit melodischen Parts wechseln. 

Die Sprecherin, Schauspielerin und Sängerin Katja Schild spricht in diesem Stück einen fiktiven Nachrichtentext mit folgendem Inhalt, der den erzählerischen Charakter der Geschichte unterstützt, allerdings auch ein düsteres – vielleicht von Corona inspiriertes Bild zeichnet:

„Rätselhafte Ereignisse finden derzeit in den Industrieanlagen auf der ganzen Welt statt. Alle robotergesteuerten Prozessautomatisierungen sind außer Funktion. Die Maschinen scheinen aus unbekannten Gründen ihre Arbeit zu verweigern und bewegen sich unkontrolliert. Dies betrifft auch alle automatisierten Maschinen in Privathaushalten.
Fast zeitgleich ist ein Virus aufgetaucht, der bereits die Hälfte der asiatischen Bevölkerung getötet hat. Die Krankheit verbreitet isch in rasender Geschwindigkeit, Infizierungen wurden inzwischen auch aus Moskau, New York, Sao Paulo, Kairo, Rom und München gemeldet.“

Vielleicht freuen sich die Roboter über ihren Sieg, denn es folgt schon „Erster Tanz“. Dieses knapp anderthalbminütige Stück ist sehr technoid angelegt und enthält eine simple Melodiefolge. Man kann sich dabei gut vorstellen wie sich die unterschiedlichen Roboter im Takt bewegen. Auch hier kommen durch einige Soundabläufe Erinnerungen an Kraftwerk hoch.

Rhythmisch zeigt sich dann „Freie Fahrt“. Ob Zinkl auch damit an das wegweisende Kraftwerk-Album „Autobahn“ erinnern will? Möglich ist das, denn auch der Vocodergesang war bei Kraftwerk beliebt. Zinkl hat hier eine rasante Fahrt inszeniert, die teils auch proggige Sounds enthält. Danach folgt dann schon der „Zweiter Tanz“ mit knapp drei Minuten Spielzeit. Hier gehen die Roboter jetzt anscheinen nicht so euphorisch zu Werke, denn das Stück zeigt sich etwas verhaltener. Trotzdem ist es recht rhythmisch, mit eingängiger Melodie und von einigen Sounds mit leicht asiatischem Flair durchzogen.

„Mutter“ bringt es dann auf 6:24 Minuten Spielzeit. Der Beginn klingt in der Tat wie bei einer Produktion. Dann kommt eine liebliche, weibliche Stimme auf, die singt „Ich bin jetzt Maschinenmutter ...“. Melodische Parts wechseln sich mit rhythmischen ab. Das wirkt zum Teil sehr steril, passt aber gut zum Konzept. Im letzten Teil wird es dann gar hymnisch.

Auch wenn der Titel „Jazz“ recht schräg klingen mag, verbirgt sich doch dahinter ein eingängiger, rhythmischer Track. Ein außergewöhnliches Stück mit viel Esprit. „Dritter Tanz“ mit 2:31 Minuten Länge schließt sich dem an. Wieder so ein rhythmischer Track.

Der Haupttrack des Albums ist das 18:30minütige „Maschinenwelt“. Zunächst wird von Zehn an runtergezählt, allerdings nicht in korrekter Reihenfolge. Wie bei einem guten Longtrack wechselt Zinkl in diesem Stück mehrfach Struktur, Rhythmus und Harmonien (wie bei einem Progressiverock-Stück). Das macht den Track lebhaft und spannungsgeladen. Den Abschluss bildet dann das sechsminütige Stück „Krieg“. Auch hier geht es im recht technologisch gehaltenen Soundgewand zu. Die Spannung wird auch hier durch Wechsel in der Rhythmik und der Struktur erzeugt.

Anton Zinkl hat mit „Tanzmusik für Roboter“ ein außergewöhnliches Album geschaffen. Sehr innovativ zeigt er sich, so wie Kraftwerk heute klingen könnten, hätten sie sich in den letzten Jahren weiterentwickelt. Dabei erzählt Zinkl eine Konzeptgeschichte. Leider lag mir nur die Download-Version vor, daher kann ich nichts zum Umfang der CD sagen, zum Beispiel ob Texte abgedruckt sind. Musikalisch zeigt Zinkl eine deutliche Weiterentwicklung. Ein spannendes, fesselndes Werk ist ihm damit gelungen.

Stephan Schelle, Januar 2021

 
   

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