Thorsten Quaeschning - AMA
 

Thorsten Quaeschning - AMA
Protanopia (2021)

(
7 Stücke, 75:58 Minuten Spielzeit)

Thorsten Quaeschning (Tangerine Dream, Picture Palace Music) veröffentlicht unter seinem Namen am 23.07.2021 ein neues Soloalbum. Es trägt den Titel „AMA“ und wurde von Thorsten für die zeitgenössische Tanztheaterproduktion „AMA“, die von Yoriko Maeno choreografiert wird, komponiert. Bei den Kompositionen ist Thorsten so experimentierfreudig wie lange nicht mehr vorgegangen. Dabei scheint ihn auch die Zusammenarbeit mit anderen Musikern während der „Behind Closed Door“-Sessions, inspiriert zu haben.

 

 


Im Booklet ist zu lesen: „AMA“ - eine weibliche Taucherin - taucht in den Ozean, um Muscheln ohne Taucherbrille zu finden. Diese Arbeit konzentriert sich auf die Gegenwart und die Geschichte der AMA-Kultur, die seit 3.000 Jahren existiert, aber jetzt durch Verschmutzung und Klimawandel bedroht ist. „AMA-Perlentaucher“ thematisiert die Beziehung zwischen Natur und Mensch und die Freude am Leben mit fließenden Bewegungen.

Auf den sieben Tracks, von denen bis auf „Den ganzen Tag: Schönwetterwolken“ (er ist in Zusammenarbeit mit Yoriko Maeno entstanden) alles aus Thorstens Feder stammt, bietet er eine Mischung aus „Berliner Schule“ im Stile von Tangerine Dream, Picture Palace Music, Ambient und experimenteller Musik. Mal hat er wieder hinreißende Melodien geschaffen, dann treten wiederum musikalische Stimmungsbilder in den Vordergrund.

Die CD, die im vierseitigen Papersleeve daherkommt, startet mit dem 14:21minütigen Stück „Der Leuchtturm in der schwarzen Strömung“. Dieser beginnt mit bedrohlich klingenden Soundscapes. Das klingt sehr mysteriös und zeichnet in dieser Phase Stimmungsbilder. Nach gut zweieinhalb Minuten kommt ein Schlagzeugrhythmus, gefolgt von Sequenzerläufen, die sich zunächst in diese Wall Of Sounds einfügen, auf. Ab ca. Minute Vier erlöschen die bedrohlichen Klänge und es entwickelt sich nun ein herrlicher, treibender Track, der einen hohen Spannungsbogen aufweist. Dahinein webt Thorsten einige Harmonien. Thorsten spielt auch mit der Dynamik und lässt so ab dem Mittelteil eine wahre Rhythmuskaskade auf die Hörer los. Ein druckvoller Track, bei dem Thorsten neue Wege beschreitet.

Nahtlos geht es dann in den nächsten Track, das 5:26minütige „Blauer Horizont, blaues Meer“ über. Hier kommen anfangs repetitive Klangformen auf, die ein bisschen an Ash Ra erinnern. Dann transformiert sich dieser Track nach wenigen Momenten aber in einen verträumten Part, der die Hörer in eine Sonnendurchflutete Strandidylle beamt. Einfach wundervoll.

„Jetzt und Hier“ bringt es auf 8:28 Minuten Spielzeit und bietet zu Beginn einige asiatisch anmutende, rhythmische Klänge. Dazu treffen perlende Klangmotive auf Synthflächen. Der Track schwebt dahin während Thorsten einige Dissonanzen eingebaut hat, die vom Abheben abhalten. Eingewoben sind sehr schöne Harmonien, die einige Male an Picture Palace Music denken lassen.

Ein weiterer Longtrack mit dem Titel „Nieselregentropfen“ folgt mit 11:47 Minuten Spielzeit. Ambiente Soundstrukturen starten in diesen Track, der nach einer Minute dann einige außergewöhnliche rhythmische Elemente und Effekte bekommt. Daraus entwickelt sich nach etwa vier Minuten eine sehr schöne Passage, die aus flächigen Sounds und tollen Rhythmusmustern besteht. Damit hat sich Thorsten erneut aus seiner Komfortzone gewagt und entdeckt einen neuen Soundkosmos. Zum Ende hin wird der Track dann immer dynamischer.

„Den ganzen Tag: Schönwetterwolken“, den Thorsten mit Jürgen Maeno komponiert hat, zeigt sich von einer recht rockigen Variante, in der Thorsten wieder dem Stil seines Projektes Picture Palace Music sehr nahe kommt. Ein klasse Track.

Mit 15:08 Minuten Spielzeit ist „Nachttauchgang am ‘Verheirateten Felsen’“ der längste Titel des Albums. Das Stück wirkt streckenweise sehr hymnisch und zeigt sich von einer abwechslungsreichen Form, da Thorsten hier Struktur-, Rhythmus- und Dynamikwechsel eingebaut hat. Auch kommen einige Memotronpassagen auf, die an Tangerine Dream erinnern. Den Abschluss bildet dann das 14:34minütige „Aus der Stille in das Licht“. Dieser Track schwebt förmlich durch Raum und Zeit. Thorsten geht hier sehr ambient ans Werk und lässt Gänsehaut artige Klangformationen und herrliche Melodiebögen durch den Raum ziehen. Da kommt Gänsehaut auf. Was für ein Abschluss!

„AMA“ ist ein Album von Thorsten Quaeschning, das ich in dieser Form nicht von ihm erwartet hätte. Er verlässt ein ums andere Mal seine Komfortzone und experimentiert mit neuen Klängen und unbekannten Strukturen und vermischt sie mit seiner eigenen Handschrift. Das ist beeindruckend und fesselnd.

Stephan Schelle, Juli 2021

 
   

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