Tangerine Dream - Stratosfear
 

Tangerine Dream - Stratosfear
Virgin (1976)
(4 Stücke, 35:28 Minuten Spielzeit)

Dies ist das letzte Studioalbum der klassischen Besetzung Froese/Franke/Baumann - und in meinen Augen deren beste Platte (wenn nicht sogar die beste von TD). Das war's!

Nein, es folgt noch eine Begründung:

Nach den ersten vier Alben, die noch ziemlich experimentell waren, festigte sich die Band und das oben genannte klassische Trio blieb für einige Jahre die TD-Besetzung. Weitere Neuerung war, das sie erstens zum damals jungen Virgin-Label wechselten und sich von ihren alten Instrumenten trennten und ein paar Synthesizer anschafften (darunter, wenn ich es richtig im Kopf hatte, auch den MOOG Series III, den sich die Stones hatten aufschwatzen lassen).

 

 


Musikalisch wurde die Musik etwas „vorhersehbarer“. Die LPs „Phaedra“ oder „Rubycon“ (die ich alle ebenfalls sehr mag) beginnen immer mit einem „Soundgeplänkel“, aus dem sich langsam ein Sequenzerrhythmus schält, der bis kurz vor Ende der Plattenseite anhält, um dann wieder in Soundmalereien zu enden. Darüber legen sie dann eher einfache Melodien. Der Reiz entsteht im Wesentlichen aus den verwendeten Stimmen und Instrumenten, die für damalige Zeiten neu waren.

Nicht so diese LP/CD. Sie klingt zum ersten Mal durchkomponiert, enthält so etwas wie Songs, die trotzdem (im Gegensatz zu späteren Versuchen) eine Einheit ergeben. Und interessanterweise denke ich bei dieser CD immer an Holzinstrumente, was stark an den Sequenzerklangfarben liegt, die mich an Xylophone/Vibraphone aus der Schulzeit erinnern.

Der eröffnende Titeltrack „Stratosfear“ erinnert noch an das alte Konzept. Die ersten Takte sind sehr ruhig und werden wohl von einer stark hallenden Akustikgitarre dominiert. Dann kommen die für TD typischen Sequenzer mit einem sehr rhythmischen Part und darüber gibt es sanfte Mellotronbögen und andere Instrumente. Neu ist aber, dass sie hier die Sequenzen variieren, sie je nach Erfordernis im Sound und Tempo modellieren und sie sogar als Leadstimme nutzen. Dazu und dazwischen gibt Froese ab und an kurze, aber prägnante Riffs an der E-Gitarre oder bläserartige Klänge. Mit sanften Gitarren- und Synthieklängen schwingt dieser Titel wieder aus. Der Titel ist gleichzeitig auch Programm: Lautmalerisch lässt er einen an die klare, kalte Luft der Stratosphäre denken, aber das Wörtchen „Fear“ steht nicht umsonst an dieser Stelle. In allen Titeln erzeugen sie eine Stimmung zwischen genau diesen Polen.

„The Big Sleep In Search Of Hades“ verleitet einen zum Schlafen, sanfte Cembaloklänge und lyrische Flöten versetzen einen ins Traumland, aber im Hintergrund lauert schon die drohende Gefahr mit Streichersounds aus dem Mellotron, die an Kubricks „2001“ denken lassen. Die Stimmeffekte tauchen hier übrigens auch auf. Dieses Wechselbad zwischen musikalischer Entspannung und Bedrohung lassen sie einen den ganzen Titel hindurch hören, bis ein sanftes „PLINK“ („Echoes“, sag ich nur), flirrende Klänge und eine einsam dahin gespielte Mundharmonika den Hörer in den Westen und in tiefste Entspannung versetzt. So beginnt dann der dritte Titel „3 Am At The Border Of The Marsh From Okefenokee“ der CD. Aber auch hier holen bedrohlich anschwellende Streicher den Hörer zurück, und tiefe Bassklänge unterlegen die Streicher- und Flöten der Mellotrone. Daraus schält sich wieder ein Sequenzermuster, und zum Abschluss wieder dieser einsame Mundharmonikaspieler nachts in der Prärie, von Fledermäusen umflogen. Witzig ist bei diesem Track ein kurzer Schafherdensound, der durch die Gegend zieht.

„Invisible Limits“ nimmt diese ruhige Stimmung per Flötensound und eher langsamen Grundmustern am Sequenzer auf. Sie beschleunigen das Ganze dann etwas, bleiben aber im wohligen entspannten Zustand, bis sie einem mit voller Lautstärke eine Kirchenglocke um die Ohren hauen. Im Kopfhörer zucke ich an der Stelle jedes Mal zusammen. So abrupt kommt dieser Lautstärkewechsel. Danach machen sie kurz so weiter wie vorher, und dann geht der Sequenzer auf eine hohe Schlagzahl und Froese soliert an der E-Gitarre. Am Ende gibt es dann wieder kosmische Sounds aus fernen Galaxien, wie man sie von den TD-Alben „Atem“ oder „Alpha Centauri“ kannte, bis Klavier und Flöte mit melancholischen Tönen diesen Track und die CD beenden.

Für mich die abwechslungsreichste CD der Band, dabei wirklich auf den Punkt gespielt und nicht mit Sounds und Schichten überfrachtet. Außerdem mit den besten elektronischen Sounds ausgestattet, die ich bis dato (und darüber hinaus) kenne. Selten klangen Synthesizer oder Sequenzer so organisch, obwohl klar erkennbar elektronisch.

Für mich neben „Mirage“ von Klaus Schulze die Referenzplatte der deutschen Elektronikszene. Und wer diese Platte mag, sollte sich unbedingt mal Peter Baumanns erste Soloplatte „Romance ’76“ anhören, bis in die Sounds hinein klingt sie wie „Stratosfear 2“.

Andreas Plaeschke, 2008

 
   

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