Kontroll-Raum - Check In
 

Kontroll-Raum - Check In
Manikin Records (2021)
(
7 Stücke, 73:11 Minuten Spielzeit)

Mit Kontroll-Raum betritt eine neue Formation, bestehend aus altbekannten Elektronikmusikern die Bühne. Bas Broekhuis und Mario Schönwälder, zwei Drittel des seit vielen Jahren beliebten und erfolgreichen Trios B,K&S sowie Frank Rothe, der zusammen mit Mario Schönwälder das Duo Filter-Kaffee darstellt, haben sich zusammengeschlossen um das faszinierende synthetische, polyrhythmische Album „Check In“ mit zahlreichen Einflüssen aus den verschiedensten Spielweisen der elektronischen und psychodelischen Musik einzuspielen. 

 

 


Das Album ist unter schwierigen Bedingungen entstanden, konnten sich die drei Protagonisten doch im Jahr 2020 nicht direkt zu den Aufnahmen treffen. Vielmehr sind die Stücke aufgrund der räumlichen Trennung durch intensives Zusenden von Dateien mit einzelnen Spuren und Fragmenten untereinander sowie zahllosen Videotelefonaten entstanden.

Sieben Tracks mit Laufzeiten von 7:12 bis 12:50 Minuten Spielzeit sind in dieser Zeit entstanden, die es auf das Album gebracht haben. Sobald man den Kontroll-Raum betreten hat, startet das Trio mit dem 7:12minütigen Stück „Gentlemen, Start Your Engines!“. Und in der Tat starten die Jungs noch recht gemächlich mit leicht wellenförmigen und dann maschinell klingenden Sounds. Das wirkt zunächst sehr psychedelisch und wird dann von monumental klingenden Klängen nach etwa anderthalb Minuten abgelöst. Die von Bas gespielte Percussion wird dezent platziert und unterstreicht den psychedelischen und sehr hypnotischen Charakter. Harmonische Flächen, die von rhythmischen Elementen unterlegt sind, bestimmen das Bild dieses ersten Tracks, der so gar nicht nach B,K&S oder die „Berliner Schule“ klingt. Mit diesem Opener beschreiten die Drei neues Terrain.

Der zweite Track nennt sich „Escape 38“. Aber keine Angst, der 11:36minütige Track ist kein Grund für eine Flucht aus dem Album. Mystische Sounds eröffnen diesen Longtrack, bei dem man sich in einem Science Fiction-Soundtrack wähnt. Nach gut einer Minute kommt dann ein Sequenzerrhythmus auf und 40 Sekunden später gesellen sich dann herrliche Flächen und Soundskulpturen hinzu, die in dieser Form nun an Klaus Schulze’s Musik erinnern, wobei hier auch Elemente aus verschiedenen Schaffensphasen des Elektronikpioniers auftauchen. Für Freunde Sequenzer orientierter Musik von Schulze ein Fest. Kontroll-Raum kopieren den Stil aber nicht einfach sondern nutzen ihn in ihrer ganz eigenen Art und Weise, in dem sie weitere Sounds und Klangfarben (was auch mal loungig anmutet) hinzufügen und mit der Dynamik spielen. Ein klasse Track, bei dem man bei jedem Hördurchgang weitere Elemente heraushört.

Auf 11:17 Minuten bringt es das Stück „Raum 23“, das technologisch/futuristisch startet. Da sind zunächst kaum Harmonien auszumachen, da die erste Phase aus rhythmischen Elementen besteht. Erst nach mehr als anderthalb Minuten kommen dann harmonische Strukturen auf, die allerdings erneut recht psychedelisch wirken. Der Rhythmus ist dabei recht repetitiv gehalten. Und doch machen die Sounds Spaß und fesseln auf eine ganz eigenwillige Art. Es schimmern durch Gitarren ähnliche Sounds sogar leicht rockige Klänge, die allerdings nie den Charakter der elektronischen Musik verfälschen. Das ist erneut außergewöhnlich und bedeutet für die Drei ein neues musikalisch Spielfeld bis dann nach gut viereinhalb Minuten ein Synthierhythmus mit Flächensounds verbunden wird, der einen wieder gefangen nimmt.

„Pour Alain“ nennt sich das vierte, neunminütige Stück. Hier kommen herrliche Flächen und ein schöner, sanfter Sequenzerrhythmus anfangs zum Einsatz. Nach 2:24 Minuten spendiert das Trio diesem Track einen unterkühlten Rhythmus, der dem Stück nun ein wenig mehr Drive verleiht. Das Ganze baut sich recht langsam auf und erinnert ab ca. dreieinhalb Minuten Spielzeit durch Sound und Percussion wieder etwas an Klaus Schulze. Durch weitere Aufschichtung von Sounds und einige Synthsoli entwickelt sich dieser Track zu einem spannenden Stück Musik.

Die nächsten drei Stücke, beginnend mit dem fast elfminütigen „For A Roadmovie“ knacken nun die Zehn-Minuten-Marke. Der Beginn des Stückes erinnert zunächst ein wenig an den Schulze-Stil, bekommt aber durch die Harmonie- und Melodielinien ab Minute 1:35 eine andere Richtung. Ein Stück (trotz des rhythmischen Unterbodens) zum Abheben, das sich ebenfalls im weiteren Verlauf entwickelt. Nach sechs Minuten kommen dann Gänsehaut treibende flächige Harmonien auf.

Mit 12:50 Minuten Spielzeit ist „C9 05-05“ der längste Track des Albums. Spacige Klangformationen führen in diesen Longtrack hinein und wechseln dann nach nicht ganz zwei Minuten in weite Flächen. Ein Szenario von einem Weltraumtrip macht sich vor meinem geistigen Auge breit bis dann nach etwa Minute Drei ein treibender Rhythmus aufkommt, dem ab Minute 4:22 eine Melodielinie spendiert wird. Auch hier bewegen sich die Drei nun im Umfeld der „Berliner Schule“, allerdings mit einem eigenen Akzent.

Den Abschluss bildet dann der passende Titel „Check Out“, der mit 10:07 Minuten zu Buche schlägt. Hier starten die Drei noch mal recht psychedelisch und lassen nach wenigen Momenten einen Part folgen, der von hymnischen und spacigen Klängen bestimmt wird. Es dauert gut 2:45 Minuten bis sich dann ein pulsierender, druckvoller Rhythmus herauskristallisiert. Die Klangmotive und Rhythmen sind hochgradig spannend gehalten und werden nach etwas mehr als dreieinhalb Minuten von einer sich wiederholenden, melodischen Klangfolge verziert. Flächen werden eingebaut und die Dynamik variiert. Wieder so ein faszinierender Track mit hohem Spannungsbogen, der im weiteren Verlauf auch sehr melodische und sogar leicht rockige Passagen beinhaltet.

Auch wenn die Stücke des Albums nur durch das hin- und herschicken von Dateien und Fragmenten entstanden sind, so wirken sie doch sehr homogen und zeigen, dass sich Broekhuis, Rothe und Schönwälder ein ums andere Mal aus ihrer Komfortzone bewegt haben. Ein Album und Sound, den ich so streckenweise nicht erwartet hätte. Qualitativ sind die Stücke hochwertig was Aufbau, Sound und Produktion angeht. Ein tolles Album, das viele Elektronikfreunde überraschen wird, die Filter-Kaffee und B,K&S kennen. Weiter so.

Stephan Schelle, April 2021

 
   

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