Gert Emmens – The Day After
 

Gert Emmens – The Day After
Groove Unlimited (2013)
(7 Stücke, 71:48 Minuten Spielzeit)

Der niederländische Elektronikmusiker Gert Emmens gehört seit Jahren zu den besten der Szene, was er durch zahlreiche Album-Veröffentlichungen und Konzerte belegen kann. Ob mit Ruud Heij, Cadenced Haven oder Solo, er ist nicht mehr aus der Szenen wegzudenken. Der neueste Output, den er als Solowerk im Sommer 2013 veröffentlicht, nennt sich „The Day After“. Wer kennt nicht den amerikanischen Film „The Day After – Der Tag danach“ aus dem Jahr 1983, bei dem es um einen Atombombeneinschlag in der Nähe des amerikanischen Ortes Kansas City geht?

 


Hat Gert sich diesem Endzeitthema gewidmet? Nein. Sieht man in das Booklet zur CD, dann wird schnell deutlich, dass es hier um zwischenmenschliche Beziehungen geht. Die Geschichte hinter dem Album ist die einer Frau, die die beste Zeit neben der Liebe ihres Lebens verbringt. Alles scheint perfekt zu sein. Dann aber wacht sie eines Morgens alleine auf. Statt ihren Partner, findet sie nur ein in spanischer Sprache verfasstes Gedicht, das er ihr hinterlassen hat. Sie kann den Hintergrund und die Bedeutung des Textes und des Verlassenseins nicht begreifen. Und so durchläuft sie die unterschiedlichsten Gefühle wie Verständnislosigkeit, Verzweiflung, Trauer, Hoffnungslosigkeit, Wut und auch Hoffnung. Sie fragt sich was passiert ist und stellt die Frage nach dem Warum. Wird sie jemals die Antwort finden?

Diese hoch emotionalen Gefühlsschwankungen hat Gert versucht in Klänge zu verwandeln. Bei Instrumentalstücken ist es ja bekanntlich nicht leicht einer Geschichte zu folgen oder sich den Gedanken des Komponisten anzuschließen und so ist das auch bei Gert Emmens Werk, das man - würde man die Hintergründe nicht kennen - auch anders interpretieren kann. Die ersten sechs Stücke liegen alle um die zehn bis zwölf Minuten und der letzte Titel bringt es dann noch auf knapp vier Minuten.

Gestartet wird mit dem Stück „Waking Up“. Langsam beginnt das Stück und man hat das Gefühl langsam zu erwachen. Nach knapp zwei Minuten schälen sich dann die typischen Emmens-Melodien und Soundmuster heraus und noch ein recht positives Bild wird gezeichnet. Ich kann mir bei dieser Musik gut vorstellen, wie die Protagonistin wach wird und anfängt ihren Liebsten zu suchen, der nicht an ihrer Seite liegt. Raum für Raum durchsucht sie, doch die Suche beleibt erfolglos. Das hört man auch in den Zwischentönen bzw. -sequenzen. Am Ende erstirbt der Rhythmus und die Erkenntnis des Verlassenseins macht sich wie ein Schatten breit.

Es folgt „Cry Out“. Zunächst mystisch beginnend und eine gewisse Melancholie ausdrückend starten nach gut einer Minute die Sequenzer und die Rhythmik zeigt schon einen etwas hektischeren Gemütszustand. Im Mittelteil wird es dann noch rhythmischer und steigert sich, so dass ich mir den Ausschrei vorstellen kann, auf den Ernüchterung folgt. Dies drückt Gert durch die Sounds und die aufkommende Melancholie gut aus. Auch Matzumi’s (Kathrin Manz) Gesang am Ende des Stückes drückt die Trauer der Person sehr gut aus.

Im Stück „Hope Fades Away“ kann man als Hörer ebenfalls gut nachvollziehen, wie die Hoffnung bei der Protagonistin schwindet. Hier ist Gert Emmens auch wieder in seinem Element, denn für ihn typische Sounds und Melodiebögen umgeben den Hörer in der ersten Hälfte. Im Mittelteil wird es dann ganz düster, denn nun regieren Sounds, die einen mental in die Tiefe ziehen. Im letzten Drittel erhellt sich dann die Stimmung wieder und der typische Emmens mit Melodien zum Dahinfließen kommt wieder zum Vorschein.

Das Stück „Silencio Eterno (Eternal Silence)“ beschreibt, wie unsere Figur den Brief mit dem Gedicht entdeckt. Es ist in spanischer Sprache gehalten und wird von Natxo Asenjo Férnandez gesprochen. Darunter hat Gert eine zarte Melodie gelegt. Sobald das Gedicht vorgetragen ist, starten wieder die Sequenzerrhythmen und Gert bewegt sich hymnisch voran. Mit einem Rhythmus hat Gerd das Stück unterlegt, der ein wenig an Jean Michel Jarre erinnert. Zum Ende des Stückes greift Matzumi wieder zum Mikrophon und verleiht dem Track eine sehr melancholische Note, die unter die Haut geht.

Im nächsten Stück „Searching For Answers“ hat Gert die Suche nach Antworten musikalisch umgesetzt. Warum ist er gegangen? Was ist der Grund dafür? Und, und, und ... Sehr schöne Melodiebögen setzen das Thema um und man stellt sich beim Hören die gleichen Fragen. Es folgt „Contemplation“ und mit „How To Move On From Here“ wird die Frage aufgeworfen, wie es weitergehen soll. Letzteres wirkt eher experimentell / hymnisch und bedrohlich. Man kann nur hoffen, dass die Protagonistin sich positiv dem weiteren Leben gewidmet hat.

Mit „The Day After“ hat sich Gert Emmens einem Thema gewidmet, dass die meisten Menschen von uns schon erlebt haben, nämlich von einem Menschen, den man liebt, verlassen worden zu sein. Das ist mal ein anderes Thema als ständig mit den elektronischen Klängen in den Weltraum zu reisen. Ich finde Gert hat das Thema gut umgesetzt, da man sich beim Hören in die Gemütslage der Hauptperson versetzen kann. Ansonsten ist es wieder eine gute, typische Emmens-Veröffentlichung, die den Freunden seiner Musik sehr gut munden wird.

Stephan Schelle, August 2013

 
   

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