Ermes / Harms - Fingerhut Ermes / Harms ist ein neues Duo im Bereich der Elektronikmusik. „Fingerhut“, das am 18.09.2020 erscheint, stellt das Debütalbum der beiden Elektroniker dar. Allerdings ist es wohl ein Novum, dass die Erstellung des Albums gut 30 Jahre gedauert hat. Axel Ermes und Hauke Harms haben sich viel Zeit gelassen um ihre Klanglandschaften zu finalisieren. Dem sechsseitigen Papersleeve ist zu entnehmen, das die einzelnen Stücke zwischen 1989 und 2019 entstanden sind. |
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Geistige
und kompositorische Vorbilder sind sicherlich Klaus Schulze, Cluster, Can
und einige weitere Protagonisten des 70er Jahre Krautrocks, aber auch
modernere Produktionen wie Autechre oder Emptyset zählen mittlerweile zu
ihren Einflüssen. Außerdem sind es Komponisten wie Steve Reich oder John
Cage gewesen, die Ohren und Seele der beiden Hamburger für ungewöhnliche
Klangcollagen geöffnet haben. In
den 90er Jahren waren es zumeist endlos lange Sessions in verschiedenen
Studios oder Proberäumen in und um Hamburg, seit den 2000ern sind es
vermehrt ausgewählte exotische Locations (ehemaliges Wasserwerk in
Billbrook, das (Weltkulturerbe) Bergwerk Rammelsberg in Goslar (Harz), etwa
500 m tief unter der Erde, oder ein leerstehendes Getreidesilo in der
Nordheide um nur einige der interessantesten Plätze zu nennen, wo sich die
beiden Soundtüftler getroffen haben um ihre Klangcollagen zu erstellen). Melodien
sind nicht wirklich in den Stücken von Ermes / Harms zu finden.
Gelegentlich blitzen mal Harmonien auf. Allerdings verströmen die meisten
Klanggebilde und Rhythmusmuster eine merkwürdige Anziehungs- und Sogkraft,
aus der man sich kaum befreien kann. Am besten kommen die Stücke der beiden
CDs (Warum eigentlich zwei, wo die Stücke doch auch auf einen Silberling
gepasst hätten?) wenn man sie laut über die Stereoanlage oder per Kopfhörer
auf sich wirken lässt. Beim
die erste CD eröffnenden, knapp unter fünf Minuten liegenden „Farbe
Rot“ lassen die beiden ihre elektronischen Geräte ganz schön zischen und
wabern. Dann kommen einige Flächen auf, die sich unter die wabernden
Klanggebilde legen und es entsteht hier schon eine harmonische Stimmung, die
voluminös klingt. Dem folgt dann das sechsminütige „Farbe Sand“. Die
Sounds, die hier aus den Boxen kommen, bestehen aus einer Grundfläche, auf
denen die beiden dann einige elektronische Effekte platzieren. Trotz
fehlender Harmoniebögen, strahlt der Track doch eine gewisse Faszination
aus. Mit
17:07 Minuten ist „Farbe 23“ der längste Track des Albums. Ein
einzelner Ton bestimmt die erste Minute. Dann kommen Flächen auf, die eine
relaxte Atmo erzeugen. Nach nicht ganz drei Minuten ändert sich das Bild
und es wird leicht avantgardistisch. Undefinierbare Klänge, gefolgt von
perlenden Synthiesounds, die an Kraftwerk erinnern, kommen auf. Das Ganze
klingt aber alles andere als nach Kraftwerk, vielmehr wirkt der Track recht
experimentell. Die beiden legen hier den Fokus auf Klangerzeugung und
Stereoeffekte. Es dauert fast sieben Minuten bis dumpfe Rhythmusmuster und
Harmonien aufziehen. Jetzt entfaltet das Stück seine Strahlkraft. Die
beiden verändern und variieren die Sounds und den Rhythmus leicht bis hin
zu einem stoischen, hypnotischen Tribalpart. Das
3:34minütige „Zahl Null“ besteht fast nur aus rauschenden
Synthiesounds, die aufeinander gestapelt und von akzentuiert gesetzten Klängen
verziert werden. „Zahl Eins“, das die CD 1 beendet, besitzt zwar hellere
Klangfarben und enthält auch einige zarte Harmonieansätze, zieht aber
trotzdem recht stoisch durch den Raum. Die
zweite CD beginnt mit dem 3:42minütige Stück „Märchen 1“. Pulsierende
Synthiesounds und ein stoischer, an Electropop erinnernder Rhythmus (Depeche
Mode kommen mir hier in den Sinn), der im Hintergrund liegt, sind der
Unterbau dieses Stückes. Hierauf platzieren die beiden zirpende
Klanggebilde. Aus irgendeinem Grunde wirkt das Ganze jedoch harmonisch. Dem
schließt dich das 6:36minütige „Märchen 2“ an. Treibende Rhythmen
sind nun zu hören. Darauf finden sich teils bedrohlich wirkende
Synthieeinschübe. Es wirkt allerdings auch so als würde man zum Beispiel
einem schnellen Radfahrer zusehen. Das ist Kopfkino pur. In
„Echos“ wird der Grundrhythmus noch einmal angezogen. Der Rhythmus hört
sich an, wie ein Automotor. Dem setzten sie dann fliegende, wehende und im
weiteren Verlauf auch leicht verzerrte Synthsounds entgegen. Ein sehr
experimentelles Stück. Bedrohlich wirken auch die Sounds, die zu Beginn des
6:40minütigen „Reise nach Digitalis 1“ aufkommen. Dann kommt aber ein
Rhythmus auf, der sich irgendwie ethnisch anhört (wie bei einem
afrikanischen Stammestanz), aber elektronisch erzeugt zu sein scheint. Das
geht dann die Ganze Zeit so weiter und wird nur von Klangskulpturen, die
eingefügt werden, unterbrochen. „Reise
Nach Digitalis 2“ bringt es auf acht Minuten und zeigt sich zunächst von
einer rhythmisch, harmonischen Seite. Aber auch hier bestimmt der
Grundrhythmus den Track, auf den dann einzelne Klänge, die recht harmonisch
wirken, platziert werden. Das 7:18minütige „Tief im Berg“, bei dem Geräusche
eingebaut sind, die nach Vogelgezwitscher klingen und das
melodisch/rhythmische „Margeriten am Bach“ beschließen dann das Album. Der
Hörer wird von Ermes / Harms auf ihrem Album „Fingerhut“ auf eine
spannende Klangreise durch ihre akribisch umgesetzten akustischen Phantasien
und teilweise aber auch zufällig entstandenen Klangereignisse wie Feedbacks
oder elektronische Störungen mitgenommen. Das ist oft recht experimentell
und stoisch und es finden sich weitestgehend auch keine Harmonien in den Stücken.
Klanglich macht das aber eine Menge her und zieht den Hörer so in einen
Malstrom aus Klängen. Meine Empfehlung: Unbedingt laut oder über Kopfhörer
wahrnehmen. Stephan Schelle, September 2020 |
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