Broekhuis, Keller & Schönwälder – The Vlagtwedde Tapes
 

Broekhuis, Keller & Schönwälder – The Vlagtwedde Tapes
Manikin Records (2022)

(5 Stücke, 71:44 Minuten Spielzeit)

Das Elektroniktrio Bas Broekhuis, Detlef Keller und Mario Schönwälder hatte sich für ihre neueste Produktion im Herbst 2021 in das niederländische Örtchen Vlagtwedde begeben um dort in aller Ruhe neue Stücke einzuspielen. Das Ergebnis ist auf dem im Herbst 2022 veröffentlichten „The Vlagtwedde Tapes“ - zwei Jahre nach ihrem letzten Album „Purple“ - zu hören, auf dem sich vier Tracks, die dort aufgenommen wurden, befinden. Der fünfte Track wurde in Detlef Kellers Studio ebenfalls im Herbst 2021 während einer Session eingespielt.

 

 


Das Cover des Albums ziert eine weitläufige, flache Landschaft, die wahrscheinlich in der Gegend aufgenommnen wurde, in der die Stücke entstanden. Fünf Longtracks jenseits der Neun-Minuten-Marke finden sich auf dem Silberling, der in einem sechsseitigen Digipak steckt.

Los geht es mit dem 9:49minütigen „Witte Wieven“. Der Name ist auf eine niederländische Mythologie bzw. Legende zurückzuführen. Dabei handelt es sich um Geister von „weisen Frauen“ oder auch Elfenwesen. Die Witte Wieven waren die Geister weiser Frauen, die im späten 19. Jahrhundert die Sumpfige Heide und den Hohen Wald in der niederländischen Provinz Noord-Brabant bewachten und Menschen, die sich dorthin begaben, in die Tiefe zerrten. Aus diesem Grund wurden die Witte Wieven von den Bewohnern der angrenzenden Siedlung gefürchtet. Das klingt ähnlich wie die Geschichten über Sirenen oder der Loreley.

Ganz so düster wie die Legenden ist der Track aber nicht, vielmehr zeigt er sich sphärisch und liegt in der Nähe von Klaus Schulzes frühen Werken. Da fließen und plätschern die Klänge und Flächen förmlich atmosphärisch durch den Raum und verändern im Verlauf darüber hinaus Struktur, Klangfarbe und Rhythmik. Ein sehr schöner Track, in den man sich verlieren kann.

Das Titelgebende „Vlagtwedde Tape 2“ (gibt es da noch weitere Tracks, die veröffentlicht werden oder war „Witte Wieven“ die erste Aufnahme?) folgt mit seinen 17:32 Minuten Spielzeit an zweiter Position. Ein sehr schönes Rhythmusmuster und mysteriös wirkende Klänge eröffnen dann dieses längste Stück des Albums. Auf repetitive, sich wiederholende Klang- und Rhythmusmuster legt das Trio dann herrliche Flächenharmonien, was mystisch und geheimnisvoll wirkt. Der Track entwickelt sich weiter und kombiniert sakral wirkende Synthchöre mit Gitarrenähnlichen Sounds und einfühlsamen Harmoniebögen. Dann kommen Mellotronsounds hinzu und im weiteren Verlauf werden Trompetenhafte Klänge hinzuaddiert. Diese Art von Klang- und Musikzusammenstellung bekommen nur BK&S hin und ziehen die Hörer damit in einen hypnotischen Strudel.

Auf 14:27 Minuten Spielzeit bringt es dann das Stück „Raindrops On The Rooftop“. Hier klingen die ersten Töne allerdings wieder recht sakral und Mellotronmäßig. Nach einigen Momenten kommt dann ein Sequenzerrhythmus auf, der ein wenig kantig klingt. Nach etwa fünf Minuten dreht das Trio die Dynamik hoch, was am Sound und den Percussion von Bas liegt. Und dann geht das Ganze in Richtung Tangerine Dream der Endsiebziger Jahre. Ein wahrer Genuss.

Das 15:50minütige „Westerwolde Triple“ ist nicht etwa an die deutsche Region des Westerwaldes angelehnt, vielmehr handelt es sich bei Westerwolde um eine Gemeinde in der niederländischen Provinz Groningen, die nur knapp 3 Kilometer von Vlagtwedde entfernt liegt. Dieser Track beginnt ebenfalls recht mysteriös und zeigt in den ersten Minuten lediglich Stimmungsbilder, die aber danach in eine sanfte Melodielinie übergehen, die sich in die mysteriösen Klänge mischt. Das hat so ein bisschen was von einem Soundtrack.

Der letzte Track „Am Großen Baum“ wurde im Herbst 2021 in Detlef Kellers Studio eingespielt. Hier jammen die drei Musiker im gleichen Stil wie die in Vlagtwedde aufgenommenen Stücke, ohne das ein Bruch im Album entsteht. Sehr melodisch mit perlenden Klängen und weiteren Klangtupfern starten die Drei in diesen Abschlusstrack. Nach etwas mehr als einer Minute kommen dann erste Harmonien auf, die dann weiter ausgebaut und im weiteren Verlauf mit einem sanften Sequenzerrhythmus unterlegt werden. Ein sehr schöner Abschluss mit Gänsehautfaktor.

Es hat zwar zwei Jahre gedauert, bis das Trio Broekhuis, Keller & Schönwälder ein neues Studioalbum vorlegt. Das ist sicherlich auch der Corona-Epidemie geschuldet, da die drei in unterschiedlichen Regionen zu Hause sind. Das Warten hat sich aber gelohnt, denn auf „The Vlagtwedde Tapes“ befinden sich wieder tolle Stücke, die im typischen BK&S-Stil mit Referenzen an die Musik der „Berliner Schule“ (Klaus Schulze und Tangerine Dream) gehalten sind.

Stephan Schelle, Dezember 2022

 
   

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