Artikel des Tagesspiegel Berlin vom 05.10.1979

 

Eulenspiegels Rock-Phantasien

Grobschnitt in der Neuen Welt

Aufsteigender Nebel, in Mönchskutten gehüllte Gestalten, im Hintergrund die Umrisse einer überdimensionalen Plumpsklo-Tür mit dem unvermeidlichen Herzchen. Eine als prallbusige Frau verkleidete Figur wendet ihr nacktes Gesäß dem Publikum zu und verabschiedet sich Küsse mimend von ihm. Der phantastischen Bühnenshow von Grobschnitt aus dem bäuerlichen Westfalen haftet der schwere, derbe Humor des Spätmittelalters, haften die Späße Till Eulenspiegels auch dort an, wo zeitgenössische Motive - wie der Auftritt eines bebrillten amerikanischen Fabrikanten - in die Slapstick-Folge eingebaut werden. Die Bühnenpräsenz der fünf Musiker kommt bei virtuos eingesetzten Lichteffekten zur Geltung; zwei kostümierte Roadies und eine Ballerina sorgen für weitere Abwechslung. Grobschnitt gehört zu den ganz wenigen Rockgruppen in Deutschland, die professionell zu unterhalten wissen. Jedenfalls im optischen Bereich.

Die Musik - gespielt wurde vom Material der jüngsten LP sowie ein umfangreicher Querschnitt aus dem Konzertalbum "Rockpommel' Land" - besitzt eine in der Lautstärke wenig abgestufte Schwere, und insofern untermalt sie die Derbheit der Bühneneinfälle bestens. Doch neigt sie wiederum auch zu kulturbeflissenen Höhenflügen in Klang und Text, so daß mitunter der seltsame Eindruck entsteht, als säße man vor einem Stummfilm von Stan und Ollie und hörte dazu eine symphonisch atmende Komposition von Yes oder Genesis. Dabei mag es an der Mikrophoneinstellung liegen, daß die schwerflüssige Klangmasse häufig zu einem undifferenzierten Klangbrei zu werden droht; die Einzelstimmen lassen sich auf den Studioplatten der Gruppe wesentlich genauer zergliedern. Schade, daß der Leadsänger der vorherrschenden Unart der meisten deutschen Rocksänger folgt und seine Töne durch ein unausgesetztes Gleiten (Portamento) und durch Vibrabto verunklart.

Ein Teil des Rockpublikums gleicht darin dem Schlagerhörer, daß er immer wieder das hören möchte, was er bereits kennt, statt sich unbefangen für die neueste Entwicklung eines Musikers zu interessieren. Der Schlagzeuger Joachim H. Ehrig, der intellektuelle "Clown" der Band (seine drei Eroc-Alben empfehlen sich jedem Grobschnitt-Kenner), wußte da zwischen aktuellem Spielmaterial und hartnäckigen Publikumswünschen diplomatisch zu vermitteln. Das lange, abwechslungsreiche und in der Hauptsache ungetrübte Konzert dürfte der sympathischen Gruppe aus Hagen neue Berliner Freunde gewonnen haben.

Tibor Kneif

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