Artikel aus der Zeitschrift Sticks aus 1994

 

Was macht eigentlich ... ? Rolf Möller von "Extrabreit"

Mit verbalen Attacken auf den Polizeiapparat und verunglimpfenden Worten über die Einrichtung "Schule" stach man punktgenau in ein Wespennest und traf den Zeitgeist der jungen 80er. Was industrieseits zur "Neuen Deutschen Welle" montiert wurde, war für die Autoren "Extrabreit" eine ernsthafte Auseinandersetzung mit aktuellen Zeitgeschehnissen mittels deutschsprachiger Songs. "Extrabreit" war Teil der Popkultur der Teenies, die sich in ihren Gedanken bestätigt und wohl auch angespornt fühlten. So wurden nicht ohne Grund Titel wie "Flieger", "Hurra, die Schule brennt" oder "Polizisten" zu Nr.-1-Erfolgen und bescherten den Hagener Rock’n’Rollern goldene Scheiben. Das alles ist nun weit über zehn Jahre her, doch scheint die Geschichte "Extrabreit" noch nicht zu Ende geschrieben. STICKS hat nachgefragt, was daraus geworden ist und was denn der Trommler Rolf Möller heute eigentlich macht ...

Gibt’s die Band Extrabreit denn noch?

Woll’n wir mal so sagen, bei "Extrabreit" machen wir alle paar Jahre immer so ein break. Ich bin 1985 ‘raus, da haben wir uns noch in die Haare gekriegt und der Restkörper der Band hat noch bis ’86 gehalten, aber dann war Feierabend. Und in der Zeit von ’85 bis ’89 bin ich in einem ganz anderen Thema fortgeschritten, nämlich "Grobschnitt". Ich hab‘ zeitweise den ganzen Krempel aufgenommen, wobei dann die Live-LP "Solar Music" (Anmerkung von mir: es ist die LP "Sonnentanz" gemeint, nicht zu verwechseln mit der 79‘er "Solar Music") entstand. Dann ergab es sich, daß der damalige Schlagzeuger Peter Jureit während einer Tournee eine Sehnenscheidenentzündung bekam. Und da lag es nahe, daß "Grobschnitt" mich fragte, als Drummer einzusteigen. Ich kam natürlich aus einer ganz anderen Ecke und dachte, meine Güte, so viel lernen und merken, es gab 45-Minuten-Stücke, da waren wir früher mit "Extrabreit" schon zu Ende mit unserem ganzen Programm, weißt du, "pief-paff-pief-paff" und da war der Fall erledigt.

Na ja, dann bin ich halt bei "Grobschnitt" eingestiegen, erstmal so als Mietkasper, aber dann schließlich fest. Das war ‘ne ganz tolle und fruchtbare Zeit. Aber ’89 war da auch Feierabend, denn nach zwanzig Jahren wollten die alten "Grobschnitter" dann doch nicht mehr. Die hatten irgendwie die Schnauze voll. Last not least hab‘ ich mich in mein Kämmerlein zurückgezogen und überlegt, was denn meine alten Ex-Kollegen von "Extrabreit" so machen. Die hab‘ ich dann alle zusammengerufen und so haben wir uns seit Jahren zum erstenmal wieder hier bei mir im Keller getroffen. Da hättest du ‘ne Stecknadel fallenlassen können, als die hier so alle reinschlichen. Man mußte sich erstmal beschnuppern, nachdem so manche Schlacht in den Jahren davor geschlagen wurde.

Hattet Ihr Euch denn so richtig verkracht?

Ach, was heißt verkracht? Da sind schon einige Dinger gelaufen. Und dann waren wir auch noch zu jung, um uns gegenseitig Fehler einzugestehen. Wir hatten natürlich auch einige falsche Berater und Manager, die auch viel in dunklen Kanälen gewirtschaftet haben. Das kam dann irgendwann mal an den Tag und dann rollten Köpfe. Wir haben es vorgezogen, uns aus dem Weg zu gehen. Besser eine Trennung, als ein langfristiges Dahinvegetieren. Es gibt ja Situationen, wo man vertraglich gebunden ist, aber dann wird’s schwierig, weil man nicht mehr miteinander kann. Das hat dann auch nichts mehr mit Musikmachen zu tun, es ist nur noch eine reine Joberfüllung.

Im Jahre ’89 gab’s also die Fortsetzung "Extrabreit".

Ja, wir wollten einfach mal wieder spielen und haben uns erstmal das alte Programm draufgeschafft. Dann ging’s los mit Auftritten. Wir waren in Hannover und dachten, na gut, da kommen vielleicht 200 oder 300 Leute. Denkste! Da waren auf einmal 4000 Kids. Wir saßen fast heulend hinter der Bühne und dachten, was wollen die den alle von uns? Wir hatten mit ein paar Altfans gerechnet. Aber da waren viertausend Leute, wie ’82! Ich dachte was ist denn los, wir haben doch ’90. Der Veranstalter hat natürlich ‘ne Riesenmark gemacht, wie wir von vornherein ‘ne Festgage vereinbart hatten und an Prozente erst gar nicht dachten. Von Gig zu Gig wurde das immer orgiastischer, es war ein Phänomen! Unsere alte Plattenfirma hatte damals einen "Extrabreit-Sampler" rausgebracht, "Ihre größten Erfolge". Das war ein Zusammenschnitt von den ersten drei Schallplatten und ich dachte, daß ist doch so’n alter Kappes, "Hurra", "Flieger", "Polizisten" usw., aber eine neue Generation hat das als völlig neues Ding entdeckt und alle schrien "Super!". Da waren die Firmen natürlich auch wieder motiviert und schmissen den ganzen "Summs" nochmal raus. Zu der Zeit hatten wir keinen festen Deal bei einer Plattenfirma und haben dann bei "East/West" unterschrieben und bei denen dann ein paar weitere Plättchen veröffentlicht. Das ist alles bis ’93 ganz gut gelaufen.

Ich erinnere mich an einen "Extrabreit"-Titel, das ist noch gar nicht lange her, den Hildegard Knef gesungen hat. Was war das denn?

Ja, das "Rote Rosen"-Dingen. Das war für uns kommerziell gesehen, mit 120.000 verkauften Singles sehr gut. Wir waren ja immer bekannt dafür, irgendwelche "Cover" zu machen, wie damals "Flieger, grüß mir die Sonne" von Hans Albers. Und da dachten wir es wäre an der Zeit, sich mal wieder so ein altes Schmankerl aus der Mottenkiste von Oppa und Omma rauszusuchen. Wir haben überlegt, wen wir denn da noch haben. Marlene war tot und jetzt so ‘ne alte Diva, das wär doch ein Kracher. So sind wir dann auf den alten Titel "Rote Rosen" von Hildegard gekommen. Wir haben das Ding nach alter "Extrabreit"-Manier dann im Studio zusammengeschraubt, ohne daß Hilde zu dem Zeitpunkt davon etwas wußte. Und jetzt ging’s darum, die Genehmigung überhaupt zu kriegen. Wir haben die Kassette also zu ihr hingeschickt mit einem freundlichen Anschreiben. "... sehr geehrte Frau sowieso, wir haben uns gedacht ...." undsoweiterundsofort. Aber da passierte erstmal nix. Vier Wochen nix. Ich dachte, die Alte kanzelt das bestimmt. Auf einmal kam ein Brief: "... sehr geehrte Herren "Extrabreit" ...", sie hatte sich sehr gefreut, daß mal so eine Band ihre Chansons spielt und legte Wert auf ein Treffen. Das wurde dann in Stuttgart, im feinsten Hotel organisiert. Wir saßen dann in der Hotellobby mit unseren Lederklamotten und waren eigentlich völlig fehl am Platz. Und dann ging plötzlich die Aufzugtür auf "baff" und gnädige Frau kam da mit Flitter und Glitter rausgeflogen und ging zielstrebig auf uns zu und sagte: "Hallo meine Lieben!" und Küßchen.

In der Lobby verstummte es, da war absolute Ruhe. Damals ging es uns auch darum, daß sie ein bißchen Pressearbeit mit featuret, denn mit dem Dingen haben wir ihr auch ‘ne Schüppe Sand unter den Kiel gelegt. Vorher war sie ja auch nicht mehr so ein Thema. Die Presse war dann richtig geil drauf, 'ne richtige lebende Diva, die letzte lebende, Hildegard die Sünderin von 1950 mit "Extrabreit". Das ist gut gelaufen.

Und das war’s dann auch wieder mal mit "Extrabreit"?

Du mußt Dir vorstellen, das ist wie bei einem alten Ehepaar. Im Laufe der Jahre kennt jeder über jeden alles. Und bevor wir uns dann wieder an die Köppe kriegen, haben wir Ruhe einkehren lassen. Sense. Das war bei uns kurz vor knapp. Wir hatten keinen Spaß mehr miteinander. Und dann läßt man besser die Finger davon. Vielleicht kommen wir wieder hin. Kommt Zeit, kommt "Extrabreit". Das Thema läuft uns ja nicht weg. Wir brauchen uns da draußen nicht mehr zu beweisen. "Extrabreit" kennen viele, es ist wie ein eingetragenes Warenzeichen. Es gibt ja auch Bands, die sich opfern. Deren Stellenwert wird immer kleiner, die klettern immer weiter runter, bis sie letztendlich in Bob’s Countrybunker an irgendeiner Bierbar enden und für’n Heiermann auf der Klampfe die alten Songs runterdudeln. Dann lieber Ruhe geben und sich genial zurückziehen.

Kannst Du Dich noch an den Anfang erinnern?

Also ich war mit Stefan Klein"krieg", dem "Extrabreit"-Gitarristen schon im Kindergarten. Tatsache! Dann haben wir die ersten vier Jahre Schulzeit miteinander verbracht und uns dann völlig auseinander entfernt. Im achten Schuljahr haben wir uns wiedergetroffen und wie das so ist, zusammen Musik gehört. "Led Zeppelin", "Stones" usw., wir standen mit dem Tennisschläger vor’m Spiegel und haben da abgerockt. Und dann hieß es, Mensch, wir machen ‘ne Band auf. Gesagt, getan, du spielst Gitarre und ich Schlagzeug. Dabei ist es dann auch geblieben. 1968 hatte ich dann meine erste Marschtrommel und anderes Zeug und dann haben wir angefangen mit Röhrenradios, irgendwo bei der Omma auf der Veranda. Und dann kam die Polizei und holte den ganzen Krempel ab, weil irgendwelche Nachbarn sich beschwert hatten. Hinterher haben wir dann als Schülerband gespielt, das war 1970. Dann haben wir uns wieder aus den Augen verloren und uns ’79 wiedergetroffen. Da kam ein Anruf von Stefan, der sagte, paß auf, "Extrabreit", wir brauchen einen Schlagzeuger. Zu der Zeit war ich aber gerade soweit, die Firma meines Vaters zu übernehmen, ich war gelernter Einzelhandelskaufmann und bin dann zu meinem Vater und hab‘ gesagt, hör mal zu, ich muß jetzt Musik machen. Und da hab’ ich für mich die Entscheidung getroffen, den Traum vom Musikmachen zu verwirklichen. Ich hab’ alles stehen, liegen und fallen lassen, sämtliche Verpflichtungen abgesagt. Dann kam erstmal ‘ne knüppelharte Zeit mit der Rumtingelei, mit dem VW-Bus, einem MM Mischpult und zwei Bose-Boxen hinten drin. In jedem Kaff haben wir gespielt. "Hart wie Marmelade" und "Hurra" und den ganzen Blödsinn. Wir sind nach Berlin gefahren, für 500 Mark. Die 500 Mark waren schon weg, bevor wir überhaupt ankamen! Aber wir mußten ja irgendwie wieder zurück, haben also ein Zusatzkonzert gemacht in irgendeiner Kneipe für 200 Mark, das ganze Gerümpel also da rein und volles Rohr gegeben. Das war ja auch noch so die Punk-Zeit. Da hingen dann die ganzen Kanalratten mit den Hahnenkämmen rum. Das war schon ‘ne tolle Zeit, die ich nicht missen möchte. Heute gibt es sowas ja gar nicht mehr. Wenn du irgendwo in einen Probenraum gehst, dann stehen da schon die Top-Anlagen, die Mama und Papa bezahlt haben. Ich kenne halt noch die ganzen "Roots".

Tja, und seit diesem besagten Anruf, mache ich professionell Musik. Und ich kann’s noch nicht sein lassen. Wie Keith Richards schon sagte, "Wir bestimmen das Alter, wann hier einer abzutreten hat!"

Du bist also froh darüber, diesen Weg gegangen zu sein?

Wenn ich die Zeit Revue passieren lasse, dann kann ich sagen, mein Traum ist in Erfüllung gegangen. Ich hab’ alles erlebt, was man in diesem Geschäft erleben kann. Ich habe in jeder großen Halle gespielt in Deutschland, in jedem Kleinpuff, in jedem Dingen, wo nur ‘ne Steckdose war. Ich kenn‘ das von fuffzig Mark Gage bis fuffzigtausen Mark am Abend. Die große Kunst ist ja das Level zu halten, immer reich und berühmt zu bleiben. Aber wir waren ja die Antwort auf die "Rolling Stones", alles was reinkam, wurde verknallt, verschniffen, versemmelt und sind dem Rock’n’Roll-Fehler so richtig auf den Leim gegangen, schnelle Autos, Weiber und Theater. Jetzt, wo wir alle ein bißchen älter geworden sind, sieht man das alles geruhsamer. Ein Hotelzimmer zerstören oder einen Fernseher aus dem dritten Stock zu schmeißen, macht einmal Spaß vielleicht, auch zweimal, aber beim drittenmal ist es auch schon langweilig. Und die ganzen Exzesse und so ...

... dann denkt man ein bißchen ja auch an seine eigene Gesundheit. Man läßt halt Federn.

Was machst Du heute?

Ich mach mit ein paar "Extrabreit"-Kollegen eine Cover-Band namens "Green". Wir spielen eine ganze Menge Auftritte, und das gute daran ist, daß man nicht so unter Zugzwang steht. Denn da gibt’s ja keinen Artikel zu vermarkten, bei dem dann auch wieder eine Tour nötig ist, ein Tormotto usw., wir haben einfach Spaß live zu spielen. Und dann habe ich noch mein Büro, eine kleine Agentur, und mache Konzertbuchungen für Hagener Bands und natürlich auch für "Green".

Hast Du Dir damals Gedanken gemacht, was Du tun könntest, wenn es mit "Extrabreit" nicht so gut funktioniert hätte?

Wenn du in diesem Metier drin bist, stellt sich diese Frage einfach nicht! Du kannst dich nicht ablegen und sagen ... so, jetzt werde ich wieder vernünftig! In den ganzen Jahren hast du immer über den Tellerrand hinausgeschaut, und das schüttelt man nicht so einfach ab und wird wieder ganz normal und unauffällig. Als Musiker ist man ja auch sein eigener Herr und ich genieße die Freiheit, mit 40 noch als Exot durch die Gegend streifen zu können. Wenn man einmal da drin war, läßt man nicht los, man ist besessen davon.

Bist Du auch schlagzeugbesessen?

Nein, überhaupt nicht! Ich bin der übungsfaulste Schlagzeuger, den es überhaupt gibt. Sicher habe ich mir früher Bands und Schlagzeuger angeguckt, aber nie gesagt, ich will der deutsche Simon Phillips werden. Mir war es auch immer wichtig, eine Eigenständigkeit zu entwickeln. Charlie Watts ist ein Charlie Watts, weil er wie Charlie Watts spielt. Bei den "Stones" könnte auch Gott weiß was für ein Trommelkönig spielen, aber irgendwas würde fehlen, Charlie würde das vorwärts und rückwärts immer noch besser machen. Wie der Mann spielt, wie er groovt, das kann eben nur einer. Das kann man nicht ersetzen. Und ich habe meinen Stil eben wie Rolf Möller Schlagzeug spielt. Schlagzeug spielen ist für mich auch ein Ausdruck körperlicher Tätigkeit und ich war immer ein Trommler, der sehr kraftvoll spielt. Als Schlagzeuger hast du den zentralen Mittelpunkt. Ohne dich läuft gar nichts, du bist der Motor, du bist der Rhythmus, du bist das Herz. Es ist zwar immer schade, daß der Schlagzeuger nach hinten verbannt wird, aber ohne ihn passiert gar nichts. Wenn der Schlagzeuger nicht groovt, groovt gar nichts, dann bricht vorne alles zusammen. Wenn von der Rhythmusbasis nichts kommt, dann kommt’s nicht aus dem Arsch. Ich bin ein Schlagzeuger, der gerne da oben steht, die Leute sollen mich sehen und in der Luft hab’ ich dann immer noch einen verplättet. Das macht Spaß!

Musiker sind alles Darstellungsarschlöcher und das ist natürlich auch ein Punkt, warum man Musiker sein will. Vielleicht wäre man in jedem anderen Beruf eine unbekannte Null und jetzt hast du die Möglichkeit, dich mit deiner Kunst auszudrücken. Und das ist nach wie vor das geilste, was es gibt. Du bist da oben und die Kiddies jubeln dir zu. Das hat mit business und Kohle dann nichts mehr zu tun. Das sind einfach unbezahlbare Momente, so nach dem Motto: Was würden Sie in Ihrem Leben noch mal alles falsch machen? Ich würde es genauso noch mal tun!

Interview : Tom Schäfer

Rolf Möller