Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der es keinen größeren
Grobschnitt-Fan gab als mich, obwohl ich mir dieses Prädikat sicher mit vielen anderen
teilen mußte. Ich kann mich noch gut an mein erstes Grobschnitt-Konzert erinnern. Das
muß Ende 1975 gewesen sein. Draußen war es schon schweinekalt, und ich bin mit meiner
Freundin Babsi mit Zug und Straßenbahn nach Essen gefahren - und das kam uns ziemlich
weit vor damals -, nur um Grobschnitt zu erleben. Für uns war es dann das Erlebnis
schlechthin. Eroc als Zauberer, grünschimmernde Flammen wilde Schießereien mit Toni Moff
Mollo und vier Stunden den Hintern platt sitzen. Und dann habe ich mich mit ein paar
Freunden zusammengetan, um selbst ein Grobschnitt-Konzert zu veranstalten, wir, weil wir
die Band so toll fanden und es so wenig Grobschnitt-Konzerte gab. 600 Leute kamen dahin,
wir waren alle sehr aufgeregt, aber es hat großen Spaß gemacht, und ein paar Mark
fuffzich haben wir sogar dran verdient.
Mittlerweile habe ich keine andere Band so oft erlebt, insgesamt
achtmal. Aber die Zeiten haben sich geändert. Ich veranstalte keine Konzerte mehr, und
Grobschnitt braucht nicht mehr vor 600 Leuten aufzutreten. So war ich auch ein bißchen
bang, unter so veränderten Umständen in die Düsseldorfer Philipshalle zu marschieren
und mich zu 3000 Zuschauern zu gesellen. Es war mir ein bißchen so, wie es ist, wenn man
einer alten Liebe begegnet und sich zwar über das Wiedersehen freut, aber nicht weiß, ob
man sich überhaupt noch etwas zu sagen hat. Als ich nach zweieinhalb Stunden rauskam
(vier Stunden spielt Grobschnitt heute auch nicht mehr, und das muß ja auch gar nicht
sein), wußte ich, daß dieses Gefühl des Unbehagens nicht von ungefähr gekommen war,
auch wenn um mich herum der Saal tobte vor Begeisterung. Trotzdem gönne ich kaum einer
anderen Band den Erfolg so wie Grobschnitt, weil ich miterlebt habe, wie lange sie
rumgekrebst sind, wie lange sie von den Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen gemieden wurden
und wie lange sie jeden Tag woanders für schlechte Gagen gespielt haben, nur um ihren
musikalischen und visuellen Ideen treu zu bleiben und sich nicht anpassen zu müssen. Und
sie haben alle die in die Schranken verwiesen, die immer glaubten, Grobschnitt nicht für
voll nehmen zu müssen.
Zur Musik ist nicht viel zu sagen. Im ersten Teil des Konzerts stellten
sie den Großteil ihrer neuen Platte "Merry-go-round" vor. Außer einer
gelegentlichen Adaption von Funk- und Discoeinflüssen, die nicht zum Grobschnitt-Stil
passen, auch wenn's als Verarschung gemeint ist, gibt es da wenig Neues. Vor allem kranken
die neuen Stücke an den Kompositionen. Es fehlen die guten Melodien, manches wirkt
unhomogen, es fehlt die innere Geschlossenheit. Die Publikumsreaktion auf die neuen
Stücke war durchaus wohlwollend, aber durchaus nicht frenetisch wie bei älterem
Material. Desweiteren wurde ein Querschnitt - in der Unterhaltungsmusik pflegt man für
selbiges auch den Ausdruck Potpourri zu verwenden, was nichts mit
Kartoffelpüree zu tun haben soll - durch die Geschichte von Rockpommels Land zu Gehör
gebracht, der in der ersten Hälfte ziemlich zerfahren und chaotisch wirkte. Gut gefallen
haben mir zwei akustische Stücke, bei denen Erocs Schlagzeug und Mists Keyboardsammlung
und damit meine Ohren mal Pause machen konnten. Der Ausklang - wie üblich - Solar
Music. Ohne das geht's nicht. Clever, clever Jungs! Ihr schafft es schon seit fast
10 Jahren, ständig neue Stücke zu machen und das den Leuten immer wieder als Solar
Music zu verkaufen. So schützt man sich vor der totalen musikalischen Verarmung.
Diesmal war es bis auf den Anfang wieder ganz etwas anderes als beim letztenmal. Klar, die
langsame Steigerung und die anschwellenden monoton - hypnotischen Rhythmen (erinnerte mich
stark an Sultana von Titanic) - das bleibt. Die neue Version war der
musikalisch stärkste Teil des Abends. Erstmalig habe ich bei einem Grobschnitt-Konzert
drei Zugaben erlebt, wobei auch das Uralt-Klamauk-Ding Sahara wieder entstaubt
wurde und zu neuen Ehren gelangte.
So weit, so gut, denn die Musik war mir bei Grobschnitt nie das
Wichtigste, nie das, was das Erlebnis ausmachte. Und da setzt auch meine recht herbe
Kritik an. Früher konnte ich mich stundenlang über die Gags amüsieren, über den
Feuerzauber auf der Bühne freuen. Die Band verfügte über eine geradezu charismatische
Ausstrahlung in ihrem Verhältnis zum Publikum. Durch keine andere Gruppe konnte man sich
persönlich als Mensch, und nicht als zahlender Gast, so stark angesprochen fühlen. Wir
alle zusammen gegen die da draußen. Die meisten Leute in der Philipshalle schienen immer
noch so zu fühlen, aber viele werden Grobschnitt von früher gar nicht kennen. Niemand
sonst schafft es, nur einmal zu sagen: Bitte, setzt Euch vorne hin, die anderen
können nichts sehen; und sofort sitzen alle.
Viele fühlen sich angesprochen, ich nicht. Im Gegenteil, ich fühle
mich oft sogar peinlich berührt. Langatmigkeit in den Ansagen und Zwischenszenen macht
sich breit, die Gags wirken einstudiert und runtergenudelt, und wenn alles nicht hilft,
haben die Witze billigstes Stammtischniveau. Beispiel: Meine Alte ist häßlich,
aber bei mir zählen die inneren Werte. Und meine Frau hat Würmer, die brauch ich
zum Angeln. Das darf doch wohl nicht wahr sein, Leute! Auf der anderen Seite macht
Ihr eurer Wut über einen Fast-Kanzler-Strauß, über Atomkraftwerke und unsinnige
Naturzerstörung durch Autobahnen auf der Bühne Luft, und dann so eine Scheiße! Sprüche
wie Nur ein toter Village People ist ein guter Village People oder eine Szene,
in der ein Mädchen die Unterhose runterläßt und dann mit nem Typ andeutungsweise
einen abzieht (er ist natürlich voll bekleidet) sind Effekthascherei auf niedrigster
Ebene. Mir kommen die Tränen, wenn ich das mit ansehe. Wie wart Ihr doch früher lustig!
Ihr werdet sagen, das sei doch nicht alles. Nein, nein, es gibt auch
was Positives zu vermerken, aber das kann den bitteren Nachgeschmack nicht überdecken.
Magnesiumblitze und Feuerwerk waren auf ein Minimum beschränkt, konsequenterweise, denn
das gibt's zu oft bei anderen Gruppen zu sehen. Grobschnitt galt immer schon als
Avantgarde in Sachen Lichteffekte. Darum jetzt was Neues. Bei Solar Music
kamen zwei als Hochofenarbeiter verkleidete Gestalten auf die Bühne und entfachten mit
einem Trennschleifgerät und etwas Stahl einen imposanten Funkenregen im Rhythmus der
Musik. Danach zündeten sie mit dem E-Schweißgerät Magnesiumfackeln an. Das mag hier
sehr banal klingen, ist aber tatsächlich unheimlich wirkungsvoll. Eine gute Idee, aber
eine gute Idee ist zuwenig.
Hinterher war ich nicht sauer oder gelangweilt oder genervt. Ich war
einfach traurig. War das noch schön, als wir - meine Freundin und ich - Arm in Arm mit
leuchtenden Augen vor der Bühne sitzen konnten, uns mitreißen ließen und wie kleine
Kinder über Grobschnitt freuten. Aber die Freundin gibt es ja auch schon lange nicht
mehr.
hub