Artikel aus der Zeitschrift Spotlight Nr. 12/1979

 

IN CONCERT

Grobschnitt

Es hat einmal eine Zeit gegeben, in der es keinen größeren Grobschnitt-Fan gab als mich, obwohl ich mir dieses Prädikat sicher mit vielen anderen teilen mußte. Ich kann mich noch gut an mein erstes Grobschnitt-Konzert erinnern. Das muß Ende 1975 gewesen sein. Draußen war es schon schweinekalt, und ich bin mit meiner Freundin Babsi mit Zug und Straßenbahn nach Essen gefahren - und das kam uns ziemlich weit vor damals -, nur um Grobschnitt zu erleben. Für uns war es dann das Erlebnis schlechthin. Eroc als Zauberer, grünschimmernde Flammen wilde Schießereien mit Toni Moff Mollo und vier Stunden den Hintern platt sitzen. Und dann habe ich mich mit ein paar Freunden zusammengetan, um selbst ein Grobschnitt-Konzert zu veranstalten, wir, weil wir die Band so toll fanden und es so wenig Grobschnitt-Konzerte gab. 600 Leute kamen dahin, wir waren alle sehr aufgeregt, aber es hat großen Spaß gemacht, und ein paar Mark fuffzich haben wir sogar dran verdient.

Mittlerweile habe ich keine andere Band so oft erlebt, insgesamt achtmal. Aber die Zeiten haben sich geändert. Ich veranstalte keine Konzerte mehr, und Grobschnitt braucht nicht mehr vor 600 Leuten aufzutreten. So war ich auch ein bißchen bang, unter so veränderten Umständen in die Düsseldorfer Philipshalle zu marschieren und mich zu 3000 Zuschauern zu gesellen. Es war mir ein bißchen so, wie es ist, wenn man einer alten Liebe begegnet und sich zwar über das Wiedersehen freut, aber nicht weiß, ob man sich überhaupt noch etwas zu sagen hat. Als ich nach zweieinhalb Stunden rauskam (vier Stunden spielt Grobschnitt heute auch nicht mehr, und das muß ja auch gar nicht sein), wußte ich, daß dieses Gefühl des Unbehagens nicht von ungefähr gekommen war, auch wenn um mich herum der Saal tobte vor Begeisterung. Trotzdem gönne ich kaum einer anderen Band den Erfolg so wie Grobschnitt, weil ich miterlebt habe, wie lange sie rumgekrebst sind, wie lange sie von den Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen gemieden wurden und wie lange sie jeden Tag woanders für schlechte Gagen gespielt haben, nur um ihren musikalischen und visuellen Ideen treu zu bleiben und sich nicht anpassen zu müssen. Und sie haben alle die in die Schranken verwiesen, die immer glaubten, Grobschnitt nicht für voll nehmen zu müssen.

Zur Musik ist nicht viel zu sagen. Im ersten Teil des Konzerts stellten sie den Großteil ihrer neuen Platte "Merry-go-round" vor. Außer einer gelegentlichen Adaption von Funk- und Discoeinflüssen, die nicht zum Grobschnitt-Stil passen, auch wenn's als Verarschung gemeint ist, gibt es da wenig Neues. Vor allem kranken die neuen Stücke an den Kompositionen. Es fehlen die guten Melodien, manches wirkt unhomogen, es fehlt die innere Geschlossenheit. Die Publikumsreaktion auf die neuen Stücke war durchaus wohlwollend, aber durchaus nicht frenetisch wie bei älterem Material. Desweiteren wurde ein Querschnitt - in der Unterhaltungsmusik pflegt man für selbiges auch den Ausdruck ‘Potpourri‘ zu verwenden, was nichts mit Kartoffelpüree zu tun haben soll - durch die Geschichte von Rockpommels Land zu Gehör gebracht, der in der ersten Hälfte ziemlich zerfahren und chaotisch wirkte. Gut gefallen haben mir zwei akustische Stücke, bei denen Erocs Schlagzeug und Mists Keyboardsammlung und damit meine Ohren mal Pause machen konnten. Der Ausklang - wie üblich - ‘Solar Music‘. Ohne das geht's nicht. Clever, clever Jungs! Ihr schafft es schon seit fast 10 Jahren, ständig neue Stücke zu machen und das den Leuten immer wieder als ‘Solar Music‘ zu verkaufen. So schützt man sich vor der totalen musikalischen Verarmung. Diesmal war es bis auf den Anfang wieder ganz etwas anderes als beim letztenmal. Klar, die langsame Steigerung und die anschwellenden monoton - hypnotischen Rhythmen (erinnerte mich stark an ‘Sultana‘ von Titanic) - das bleibt. Die neue Version war der musikalisch stärkste Teil des Abends. Erstmalig habe ich bei einem Grobschnitt-Konzert drei Zugaben erlebt, wobei auch das Uralt-Klamauk-Ding ‘Sahara‘ wieder entstaubt wurde und zu neuen Ehren gelangte.

So weit, so gut, denn die Musik war mir bei Grobschnitt nie das Wichtigste, nie das, was das Erlebnis ausmachte. Und da setzt auch meine recht herbe Kritik an. Früher konnte ich mich stundenlang über die Gags amüsieren, über den Feuerzauber auf der Bühne freuen. Die Band verfügte über eine geradezu charismatische Ausstrahlung in ihrem Verhältnis zum Publikum. Durch keine andere Gruppe konnte man sich persönlich als Mensch, und nicht als zahlender Gast, so stark angesprochen fühlen. Wir alle zusammen gegen die da draußen. Die meisten Leute in der Philipshalle schienen immer noch so zu fühlen, aber viele werden Grobschnitt von früher gar nicht kennen. Niemand sonst schafft es, nur einmal zu sagen: ‘Bitte, setzt Euch vorne hin, die anderen können nichts sehen‘; und sofort sitzen alle.

Viele fühlen sich angesprochen, ich nicht. Im Gegenteil, ich fühle mich oft sogar peinlich berührt. Langatmigkeit in den Ansagen und Zwischenszenen macht sich breit, die Gags wirken einstudiert und runtergenudelt, und wenn alles nicht hilft, haben die Witze billigstes Stammtischniveau. Beispiel: ‘Meine Alte ist häßlich, aber bei mir zählen die inneren Werte. Und meine Frau hat Würmer, die brauch‘ ich zum Angeln.‘ Das darf doch wohl nicht wahr sein, Leute! Auf der anderen Seite macht Ihr eurer Wut über einen Fast-Kanzler-Strauß, über Atomkraftwerke und unsinnige Naturzerstörung durch Autobahnen auf der Bühne Luft, und dann so eine Scheiße! Sprüche wie ‘Nur ein toter Village People ist ein guter Village People‘ oder eine Szene, in der ein Mädchen die Unterhose runterläßt und dann mit ‘nem Typ andeutungsweise einen abzieht (er ist natürlich voll bekleidet) sind Effekthascherei auf niedrigster Ebene. Mir kommen die Tränen, wenn ich das mit ansehe. Wie wart Ihr doch früher lustig!

Ihr werdet sagen, das sei doch nicht alles. Nein, nein, es gibt auch was Positives zu vermerken, aber das kann den bitteren Nachgeschmack nicht überdecken. Magnesiumblitze und Feuerwerk waren auf ein Minimum beschränkt, konsequenterweise, denn das gibt's zu oft bei anderen Gruppen zu sehen. Grobschnitt galt immer schon als Avantgarde in Sachen Lichteffekte. Darum jetzt was Neues. Bei ‘Solar Music‘ kamen zwei als Hochofenarbeiter verkleidete Gestalten auf die Bühne und entfachten mit einem Trennschleifgerät und etwas Stahl einen imposanten Funkenregen im Rhythmus der Musik. Danach zündeten sie mit dem E-Schweißgerät Magnesiumfackeln an. Das mag hier sehr banal klingen, ist aber tatsächlich unheimlich wirkungsvoll. Eine gute Idee, aber eine gute Idee ist zuwenig.

Hinterher war ich nicht sauer oder gelangweilt oder genervt. Ich war einfach traurig. War das noch schön, als wir - meine Freundin und ich - Arm in Arm mit leuchtenden Augen vor der Bühne sitzen konnten, uns mitreißen ließen und wie kleine Kinder über Grobschnitt freuten. Aber die Freundin gibt es ja auch schon lange nicht mehr.

hub

 Pressetexte-Menue