"Musik so machen, wie sie die Musiker gemacht hätten ..."
WR-Bilder: Bodo Goeke
Jungbrunnen für alte Popmusik
Von Jürgen Overkott
Erocs Arbeitszimmer wirkt karg wie eine Klosterzelle. Dabei will der
Hohe Priester des guten Klangs das Gegenteil erreichen: Mit aufwendiger Technik poliert
der ehemalige Schlagzeuger der Kultgruppe "Grobschnitt" zumeist angejahrte
Popmusik auf, "damit sie das Herz erfreut".
Mit dunklem Schlabber-Shirt, sandfarbener Cordhose, Tennissocken und
Gesundheitssandalen geht er, immer noch langhaarig wie einst in der Hippie-Ära, zu Werke.
"Musik muss gemütlich sein", sagt Eroc, der bei der Arbeit stets Kaffee und
Kekse in Griffnähe weiß. "Kaffee?"
Remastering heißt vor allem: Fehler korrigieren
Eroc, 1951 als Joachim Ehrig in Weimar geboren und in Hagen
aufgewachsen, thront auf einem gelben Drehstuhl in einem funktional eingerichteten
Dachstübchen. Mit einer schnellen Drehung kann er ein Mischpult mit einer verwirrenden
Zahl von Reglern bedienen oder, wichtiger noch, die Computer-Maus auf der anderen Seite.
Dieses unscheinbare Plastik-Ding benötigt der 49-Jährige für seine jetzige
Hauptbeschäftigung: Am Rande einer kleinen Stadt im Ennepe-Ruhr-Kreis verwandelt er
beispielsweise für die Oldie-Firma Repertoire Records Krach in Musik.
"Remastering" nennt sich das. Vorteil für Musikfans: Sie bekommen ihre
Lieblingsstücke in unerreicht guter Qualität. Vorteil für die Musikindustrie:
Remasterte Alben auf den Markt zu werfen ist bedeutend billiger, als neue Produktionen mit
ungewisser Erfolgsaussicht zu finanzieren.
"Kaffee?", unterbricht Eroc seinen Redeschwall. "Ich bin
ins Schwätzen gekommen."
Am Computer entstehen alte Titel in superber Qualität neu.
Remastering bedeutet vor allem:
Fehler korrigieren. "Rauschen, Knistern, Verstärker-Brummen, Azimuth-Fehler",
doziert der gelernte Chemielaborant lustvoll. Azimuth-Fehler? "Wenn Tonköpfe bei den
Bandmaschinen im Studio falsch eingestellt waren, fehlen Frequenzen. Mono hört man
das." Aha.
"Kaffee?"
Eroc sieht den fragenden Blick und spielt ein Stück aus den 60er
Jahren an. Original und Bearbeitung mit 24-Bit-Technik. Der Unterschied ist ohrenfällig.
Und augenfällig. Dafür sorgen die an der Wand befestigten Flachmonitore, die Musik
sichtbar machen. In Sägezahn-Profile und dreidimensionale Diagramme.
"Kaffee?"
Songs geraten zu Dateien, auf dem Bildschirm dargestellt als blaue
Querbalken, die sich vergrößern lassen. "Kalt und rechteckig", sagt der
technikbegeisterte Musiker. Doch genau so soll die aufpolierte Musik nicht klingen.
"Da soll Pfund hinter sein", sagt Eroc. Deshalb bestimmt er, was die Technik
macht. Nicht umgekehrt. Eroc spielt ein Stück der Pretty Things an, ein Stück aus einer
Zeit, als Brit-Pop noch Beat hieß. Ein Schlagzeug-Part. Eins, zwei, drei - Eroc klopft
mit sichtlichem Spaß den Beat per Fuß mit. Bei der Gelegenheit demonstriert er, wie sich
Elemente aus einer Datei virtuell, also elektronisch herausschneiden lassen. "Früher
musste man das mit ner Schere machen", weiß der Ex-Krautrocker und deutet auf
seine Studer-Bandmaschine vorm Fenster. "Ich hab sogar noch eine hier.
Kaffee?"
Er fährt fort: "Ich will Musik so machen, wie sie die Musiker
gemacht hätten, wenn ihnen damals die Technik von heute zur Verfügung gestanden
hätte." Tatsächlich? Er kann sogar einen Beleg anführen. "Ich habe Stücke
von Trevor Horn bearbeitet, der damals mit Frankie Goes To Hollywood klangliche Maßstäbe
gesetzt hat. Und in mehreren Fachzeitschriften hat er sich sehr erfreut geäußert.
Kaffee?"
Auch einer Schweizer Konzertpianistin wurde Hilfe zuteil
Doch nicht nur Firmen wenden sich an ihn, verrät Eroc. "Bei mirr
chat sich eine Frau Rrita Chaldemann gemeldet", blödelt er in Schweizer Dialekt.
"Eine Konzerrtpianistin. Sie chat mirr ein Band mit einerr Chummelaufnahme geschickt,
1954 aufgenommen fürr den Schweizer Rrundfunkch. Tolle Aufnahme. Sie chknisterrte und
rrauschte. Ich chabs chkostenlos bearrbeitet und sie aufgeforrderrt, sich das
Orriginal zu besorrgen. Sie chats - Chkaffee? - tatsächlich gefunden."
Und Eroc, endlich, hat seinen Traumjob gefunden. "1970",
erinnert er sich "hab ich das erste Mal professionell am Mischpult
gesessen." Zu seinen ersten Kunden zählten durchaus keine rockenden Kollegen,
sondern, ausgerechnet, die damalige Schalke-Elf mit Sympathisanten, die sich als
Sängerknaben versuchten. Das größte Problem war keineswegs, die Herren zum Singen zu
bringen - das funktionierte "nach zehn Kisten Bier" von ganz alleine. Wesentlich
nerviger war es, die Erlaubnis zu bekommen, das Schalke-Logo aufs Cover zu pappen. Eroc:
"Dafür war ein Vorstandsbeschluss nötig.
Kaffee?"
Jedenfalls machte er sich als Musiker immer rarer. 1983 stand er
letztmalig auf der Bühne - für 15 Jahre. Vor drei Jahren tauchte der Sound-Tüftler
unvermutet bei einem Festival in Schweden auf, um danach wieder abzutauchen. Stattdessen
arbeitet Eroc als "Tonkutscher" und Produzent im Studio mit so unterschiedlichen
Musikern wie Philip Boa und Tic-Tac-Toe. Zeitweilig betrieb Eroc mit Kumpel Siggi Bemm das
Woodhouse-Studio. Dort entstanden, nach Erocs Weggang, die letzten Peter-Maffey-Scheiben.
Ob er Siggi Bemm beneide? Eroc lacht. "Im Gegenteil, Siggi Bemm
beneidet mich. Du sitzt unterm Dach und guckst bei der Arbeit ins Grüne, und ich
muss mich mit besoffenen Musikern herumärgern.
Kaffee?"
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