Artikel der Westfälischen Rundschau vom 30.03.2001


"Musik so machen, wie sie die Musiker gemacht hätten ..."          WR-Bilder: Bodo Goeke

Jungbrunnen für alte Popmusik

 

Von Jürgen Overkott

Erocs Arbeitszimmer wirkt karg wie eine Klosterzelle. Dabei will der Hohe Priester des guten Klangs das Gegenteil erreichen: Mit aufwendiger Technik poliert der ehemalige Schlagzeuger der Kultgruppe "Grobschnitt" zumeist angejahrte Popmusik auf, "damit sie das Herz erfreut".

Mit dunklem Schlabber-Shirt, sandfarbener Cordhose, Tennissocken und Gesundheitssandalen geht er, immer noch langhaarig wie einst in der Hippie-Ära, zu Werke. "Musik muss gemütlich sein", sagt Eroc, der bei der Arbeit stets Kaffee und Kekse in Griffnähe weiß. "Kaffee?"

Remastering heißt vor allem: Fehler korrigieren

Eroc, 1951 als Joachim Ehrig in Weimar geboren und in Hagen aufgewachsen, thront auf einem gelben Drehstuhl in einem funktional eingerichteten Dachstübchen. Mit einer schnellen Drehung kann er ein Mischpult mit einer verwirrenden Zahl von Reglern bedienen oder, wichtiger noch, die Computer-Maus auf der anderen Seite. Dieses unscheinbare Plastik-Ding benötigt der 49-Jährige für seine jetzige Hauptbeschäftigung: Am Rande einer kleinen Stadt im Ennepe-Ruhr-Kreis verwandelt er beispielsweise für die Oldie-Firma Repertoire Records Krach in Musik. "Remastering" nennt sich das. Vorteil für Musikfans: Sie bekommen ihre Lieblingsstücke in unerreicht guter Qualität. Vorteil für die Musikindustrie: Remasterte Alben auf den Markt zu werfen ist bedeutend billiger, als neue Produktionen mit ungewisser Erfolgsaussicht zu finanzieren.

"Kaffee?", unterbricht Eroc seinen Redeschwall. "Ich bin ins Schwätzen gekommen."


Am Computer entstehen alte Titel in superber Qualität neu.

Remastering bedeutet vor allem: Fehler korrigieren. "Rauschen, Knistern, Verstärker-Brummen, Azimuth-Fehler", doziert der gelernte Chemielaborant lustvoll. Azimuth-Fehler? "Wenn Tonköpfe bei den Bandmaschinen im Studio falsch eingestellt waren, fehlen Frequenzen. Mono hört man das." Aha.

"Kaffee?"

Eroc sieht den fragenden Blick und spielt ein Stück aus den 60er Jahren an. Original und Bearbeitung mit 24-Bit-Technik. Der Unterschied ist ohrenfällig. Und augenfällig. Dafür sorgen die an der Wand befestigten Flachmonitore, die Musik sichtbar machen. In Sägezahn-Profile und dreidimensionale Diagramme.

"Kaffee?"

Songs geraten zu Dateien, auf dem Bildschirm dargestellt als blaue Querbalken, die sich vergrößern lassen. "Kalt und rechteckig", sagt der technikbegeisterte Musiker. Doch genau so soll die aufpolierte Musik nicht klingen. "Da soll Pfund hinter sein", sagt Eroc. Deshalb bestimmt er, was die Technik macht. Nicht umgekehrt. Eroc spielt ein Stück der Pretty Things an, ein Stück aus einer Zeit, als Brit-Pop noch Beat hieß. Ein Schlagzeug-Part. Eins, zwei, drei - Eroc klopft mit sichtlichem Spaß den Beat per Fuß mit. Bei der Gelegenheit demonstriert er, wie sich Elemente aus einer Datei virtuell, also elektronisch herausschneiden lassen. "Früher musste man das mit ‘ner Schere machen", weiß der Ex-Krautrocker und deutet auf seine Studer-Bandmaschine vorm Fenster. "Ich hab‘ sogar noch eine hier.

Kaffee?"

Er fährt fort: "Ich will Musik so machen, wie sie die Musiker gemacht hätten, wenn ihnen damals die Technik von heute zur Verfügung gestanden hätte." Tatsächlich? Er kann sogar einen Beleg anführen. "Ich habe Stücke von Trevor Horn bearbeitet, der damals mit Frankie Goes To Hollywood klangliche Maßstäbe gesetzt hat. Und in mehreren Fachzeitschriften hat er sich sehr erfreut geäußert.

Kaffee?"

Auch einer Schweizer Konzertpianistin wurde Hilfe zuteil

Doch nicht nur Firmen wenden sich an ihn, verrät Eroc. "Bei mirr chat sich eine Frau Rrita Chaldemann gemeldet", blödelt er in Schweizer Dialekt. "Eine Konzerrtpianistin. Sie chat mirr ein Band mit einerr Chummelaufnahme geschickt, 1954 aufgenommen fürr den Schweizer Rrundfunkch. Tolle Aufnahme. Sie chknisterrte und rrauschte. Ich chab’s chkostenlos bearrbeitet und sie aufgeforrderrt, sich das Orriginal zu besorrgen. Sie chat’s - Chkaffee? - tatsächlich gefunden."

Und Eroc, endlich, hat seinen Traumjob gefunden. "1970", erinnert er sich "hab‘ ich das erste Mal professionell am Mischpult gesessen." Zu seinen ersten Kunden zählten durchaus keine rockenden Kollegen, sondern, ausgerechnet, die damalige Schalke-Elf mit Sympathisanten, die sich als Sängerknaben versuchten. Das größte Problem war keineswegs, die Herren zum Singen zu bringen - das funktionierte "nach zehn Kisten Bier" von ganz alleine. Wesentlich nerviger war es, die Erlaubnis zu bekommen, das Schalke-Logo aufs Cover zu pappen. Eroc: "Dafür war ein Vorstandsbeschluss nötig.

Kaffee?"

Jedenfalls machte er sich als Musiker immer rarer. 1983 stand er letztmalig auf der Bühne - für 15 Jahre. Vor drei Jahren tauchte der Sound-Tüftler unvermutet bei einem Festival in Schweden auf, um danach wieder abzutauchen. Stattdessen arbeitet Eroc als "Tonkutscher" und Produzent im Studio mit so unterschiedlichen Musikern wie Philip Boa und Tic-Tac-Toe. Zeitweilig betrieb Eroc mit Kumpel Siggi Bemm das Woodhouse-Studio. Dort entstanden, nach Erocs Weggang, die letzten Peter-Maffey-Scheiben.

Ob er Siggi Bemm beneide? Eroc lacht. "Im Gegenteil, Siggi Bemm beneidet mich. ‚Du sitzt unterm Dach und guckst bei der Arbeit ins Grüne, und ich muss mich mit besoffenen Musikern herumärgern.‘

Kaffee?"

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