Aus "Rock in Deutschalnd" Ausgabe 1984

 

Grobschnitt

Rainer Loskant, Gesang (27.9.1953), Stefan Danielak, Gesang, Gitarre (25.5.1951), Gerd Otto Kühn, Lead-Gitarre (2.10.1949), Jürgen Cramer, Keyboards (26.4.1957), Michael Kapolke, Bass, Gitarre, Gesang (26.10.1952), Peter Jureit, Schlagzeug

Einer der ersten deutschen Bands, die schon vor Jahren mit einer nennenswerten Bühnen-Show operierten, war die im Jahre 1966 gegründete "Crew", die aus Stefan Danielak, Gerd Otto Kühn, Joachim H. Ehrig, Peter Classen und Edgar Höber bestand. Das westfälische Quintett trennte sich 1969. Zwei Folgegruppen entstanden: Zur einen, Charing Cross, gehörten der Gitarrist Gerd Otto Kühn, der Bassist Bernhard Uhlemann und der Schlagzeuger Axel Harlos, zur anderen (die ohne Namen und öffentlichen Auftritt blieb) zählten der Sänger und Gitarrist Stefan Danielak, der Schlagzeuger Joachim H. Ehrig und diverse Mitmusiker.

Nach einer neunmonatigen Trennung verschmolzen beide Formationen im Februar 1970 zu Grobschnitt. Zu Kühn, Uhlemann, Harlos, Danielak und Ehrig stieß auch noch der Organist Hermann Quetting (vormals - Chris Braun Band). Dieses Sextett (mit zwei Schlagzeugern, aber ohne regulären Bassisten!) trat unverändert bis Mitte 1972 auf und ist auch auf der ersten Langspielplatte zu hören. Die LP, von der Gruppe als "Klassik-Rock" eingestuft, hatte viel "einfallslose Stellen" und war nicht mehr als "ein interessanter Ansatz" (MUSIK EXPRESS). Als schließlich Bernhard Uhlemann, Axel Harlos und Hermann Quetting die Band im Sommer 1972 verließen, löste sich Grobschnitt kurzfristig auf, wurde aber im September des gleichen Jahres wieder aktiv. Dazu kam es, als sich das Trio Danielak, Kühn, Ehrig durch den Bremer Organisten Volker Kahrs verstärken konnte. Etwa ab Januar 1973 profilierte sich Grobschnitt durch ein Bühnen-Spektakel, "eine monströse, dreistündige Freak-Klamotte, die ihresgleichen sucht und durch Rock-Show, Theater, Pantomime, ZDF-Hitparade und Klapsmühle dem Publikum Freudentränen in die Augen jagt" (POP). Vorgefertigte Tonbandkollagen, Schminke und schloddrige Anti-Kostüme gehörten ebenso zum Bühnen-Bild wie die Aktionen der früheren Rowdies und jetzigen ,,Schauspieler" Ralf "John McPorneaux" Gräber und Rainer "Toni Moff Mollo" Loskant.

Kernstück des ersten Grobschnitt-Programms war das 20-Minuten-Schauspiel "Am Ölberg", in dem auch Gott auftrat. Dazu legten sich die Musiker mit "Eroc, Lupo, Wildschwein und Mist" adäquate Namen zu. Als fünftes Mitglied kam im September 1973 aufs neue Bernhard "Bär" Uhlemann hinzu. Auch ihre zweite Vinyl-Pressung, das Doppelalbum "Bauermann", wurde mit Eigenkompositionen bestückt, ausschließlich in englisch besungen und von dem Rattles-Gitarristen Frank Mille produziert. Der auf weit ausladenden Instrumental-Passagen basierende Space-Rock gipfelt dabei in der 33-Minuten-Version "Solar-Music". "Zwar fehlt es den Westdeutschen nicht am Können (und schon gar nicht an Ideen)", schrieb STEREO, "aber ihr auf der Bühne witziger und origineller Klamauk-Rock läßt sich eben schwer in Platten-Masse pressen."

Ohne Bernhard Uhlemann, der die Band im Frühjahr 1975 verließ, aber mit dem neuen Bassisten Wolfgang "Popo" Jäger brachte Grobschnitt das "Sahara"-Programm auf die deutschen Rock-Bühnen. Zwischen Träumerei und Wirklichkeit, Gag und Slapstick, Beduinenkleidern und Zaubererkostümen, Tagesschaufanfare und Marschmusik zelebrierte Grobschnitt ein Show-Programm, das - weltweit - seinesgleichen sucht. Die dazu eingeblendeten Klangcollagen und elektronischen Effekte sind Ideen des Schlagzeugers Joachim "Eroc" Ehrig, die - im Heimstudio erzeugt - fast komplett auf seinen Solo-Alben "Eroc" und "Eroc II" wiederzufinden sind. Ihr drittes Album "Jumbo", das zuerst in englischer Sprache veröffentlicht wurde, kam fünf Monate später bei gleicher Ausstattung noch einmal mit deutschen Texten in die Läden. "Ein Meisterwerk" (MUSIK JOKER), "dessen Sound sich erfreulich vom bedeutungsschweren Brimborium vieler deutscher Gruppen abhebt" (NÜRNBERGER NACHRICHTEN). Das Folge-Album "Rockpommel‘s Land" trägt die Züge eines Konzept-Albums. Über zwei Plattenseiten wird die Geschichte des Jungen Ernie erzählt, der träumend dem grauen Alltag entflieht und sich mit Hilfe eines Marabus auf eine abenteuerliche Reise begibt, bis er sein Glück im Rockpommel-Land findet. "Ihre beste LP bis dato" (HÖR ZU), "erinnert", so der RECORD MIRROR< "in ihren Klang-Strukturen stark an Yes." Tatsächlich stand und steht Grobschnitts musikalisches Konzept, einschließlich der raum- und zeitentrückten Texte, in keinem Verhältnis zum Bühnen-Klamauk der Gruppe. Daß trotz dieser Diskrepanz ihre Konzerte "wie eine Offenbarung" (WZ) empfunden wurden, wiedersprach gängigen Vorstellungen.

Anfang 1978 inszenierte die Band eine "Söldner-Show", in deren Mittelpunkt eine deutsche Truppe steht, die eine Brauerei vor den anrückenden Franzosen abschirmen muß. Die Truppe sieht ihre Aufgabe darin, jeden Tropfen vor dem Anrücken des Feindes zu "vernichten". In einer weiteren Blende wird auf der Bühne (mit Bett und Plumpsklo) ein Besuch der Alten Kameraden beim Hauptmann Elias Grobschnitt dargestellt. Mit solcherlei Nonsens und einer bis zu vierstündigen Non-Stop-Show etablierte sich die Gruppe zu einem der gefragtesten Live-Acts Deutschlands. Im Februar 1978 waren 5000 Besucher nach einem Konzert in der Halle Münsterland "schier aus dem Häuschen" (POP). Das Kernstück eines jeden Grob-schnitt-Programms, das einstündige Opus "Solar Music", füllt das fünfte Album der Band. Live in Mühlheim mitgeschnitten, offenbart die LP über 53 Minuten (!) ausgezeichnetes Rock-Handwerk und - natürlich - ihren Humor: Der LP-Titel "Food Sicore" sollte rückwärts gelesen werden.

Am 22.9.1978 wurde Grobschnitt in der ZDF-Sendung "Aspekte" vorgestellt. Anschließend ging die Gruppe auf Herbsttournee in große Konzerthallen, wo sie mit "einer Mischung aus sauberer Rockmusik, Spielszenen, viel Rauch, Magnesiumblitzen und einer eingespielten Lichtanlage" aufwarteten und "in Deutschland eine einmalige Größenordnung" (WESERKURIER) erreichten.

Ein Auftritt beim "Sounds & Musik Festival ,78" in der Dortmunder Westfalenhalle wurde vom WDR mitgeschnitten und zum Jahresende als "Rockpalast"-Beitrag gesendet. Nach der Ausstrahlung von 15 Beiträgen deutscher und ausländischer Gruppen ermittelte der WDR eine Zuschauer-Hitparade. Dabei wurde Grobschnitt auf Platz 1 gewählt. Daß sich die Band innerhalb von acht Jahren zur beliebtesten Live-Gruppe entwickelte, belegten zudem die 78er Poll-Ergebnisse: Der MUSIK EXPRESS führte Grobschnitt auf Platz 1 der besten deutschen Gruppen, SOUNDS auf Platz 1 in den Bereichen "Bestes Konzert" und "Unterbewertete Gruppe".

Im Alleingang komponierte, spielte und produzierte Joachim H. Ehrig als "Eroc" seine dritte Langspielplatte, für die er u. a. Experimentierwerke aus den Jahren 1970-1979 verwendete. Das bereits als Grobschnitt-Show-Eröffnung eingesetzte Stück "Wolkenreise" wurde von der Plattenfirma Metronome als Single ausgekoppelt. Der musikalische Ohrwurm erhielt starken Funk-Einsatz und landete schließlich auf Platz 32 der Single-Charts.

Auch das Grobschnitt-Album "Merry-Go-Round" fand - wie fast alle Vorgänger - wenig Medien-Anerkennung. Daß die Gruppe trotzdem rund 60.000 Alben absetzen konnte, mag durch ihre äußert erfolgreiche 40-Städte-Konzertreise begründet sein, die sie im Oktober/November 1979 absolvierten. 130.000 Besucher erfreuten sich an "neoromantischen Genesis-Zügen, spät-psychedelischen Improvisationen á la Pink Floyd und einem Schuß heimischer Folklore" (Kinsler) in einer "phantastischen Bühnenshow" (TAGESSPIEGEL) und "begeisterten sich an den musikalischen Leckerbissen" (WAZ). Konzert-Mitschnitte aus sieben Stationen fanden für das Live-Album "Volle Molle" Verwendung.

Ende 1979 verließ der Bassist Wolfgang "Popo" Jäger die Band. Für ihn wurde Michael "Milla" Kapolke neues Grobschnitt-Mitglied.

Im eigenen Übungsraum produzierten die Hagener "Rockzauberer" (Selbstdarstellung) das Album "Illegal", das bereits deutlich die Handschrift Kapolkes trug. Textlich und musikalisch präsentierte sich Grobschnitt etwas ruppiger. denn "fast jedes Stück hat - im weitesten Sinne - mit Illegalität zu tun. Ob es nun um die Legalisierung von Marihuana oder die Anti-Atomkraft-Bewegung geht" (Kapolke). Offensichtlich "gelang es der Band nicht, die Action der Bühnenshow in vergleichbarer Qualität auf Platte zu bringen" (MUSIK-INFORMATIONEN) und verlor sich so in "totaler Gesichtslosigkeit" (MUSIK EXPRESS). Von Februar bis Juni 1981 war Grobschnitt mit einer 3-Stunden-Show auf einer vielumjubelten Mammut-Tournee in 45 Städten. Die Medien-Beachtung war allerdings dürftig. Nicht ohne Grund stellte Gerd Kühn fest, daß "die Politik des Fernsehens eine Verleugnung der deutschen Gruppen ist."

Ohne Volker Kahrs, aber mit dem jetzt als Sänger integrierten Rainer Loskant ("Tony Moff Mollo") entstand "Razzia", auf der sie erstmals (nach der Zweit-Version des "Jumbo"-Albums) in deutscher Sprache singen. Zudem "haben Entwicklungen durch die Neue Welle stattgefunden, die uns beeinflußt haben und die man auf dieser Platte finden kann" (Kapolke).

Jürgen Cramer beteiligte sich als neuer Keyboard-Spieler an einem "Musikladen Extra"-Auftritt (21.8.) und der Herbsttournee 1982. Nach weiteren Konzerten im Frühjahr 1983 trennte sich Joachim H. Ehrig von der Gruppe. Bereits 1982 stellte er als "Eroc 4" ein weiteres Solo-Album vor, das wohlklingende Instrumentalmusik und eine brillante Persiflage auf den seinerzeitigen Musik-Trend enthält ("Hagener Wellenreiter").

Der ehemalige - Conditors-Schlagzeuger Peter Jureit komplettierte Grobschnitt im Juni 1983. Eine der erfolgreichsten deutschen Rockgruppen (mit 700.000 verkauften Langspielplatten) war zur Jahreswende 1983/84 wieder im Studio. Der Titel ihres neuen Albums: "Kinder und Narren".

 

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