Artikel aus der Zeitschrift Pop 1974

«Oh, wir sind total im Arsch. Wir können den Laden bald dichtmachen, wenn nicht endlich mal jemand was über uns schreibt!» klagt Grobschnitt-Gitarrist Gerd «Lupo» Kühn. Das Gejammer hat Hintergrund: Seit gut drei Jahren ziehen die sechs Hagener Musiker als Profis über deutsche Kleinstadt- und Clubbühnen, vor einem Jahr schon erschien auf «Brain» ihre erste LP, aber bis heute hat eigentlich weder Presse, Funk noch Fernsehen groß von Grobschnitt Notiz genommen. Und so was läßt verzweifeln.

Diese Nichtbeachtung ist um so verwunderlicher, als Grobschnitt sich von anderen deutschen Gruppen unterscheidet wie ein Nilpferd von einem Huhn. Grobschnitt ist anders und fällt voll aus dem Rahmen. Während andere Bands den Zeichen der Zeit folgen, sich die Wimpern und Backen tuschen, nimmt Grobschnitt je eine Handvoll Rock-Show, Theater, Pantomime, ZDF-Hitparade und Klapsmühle und fabriziert daraus eine monströse dreistündige Freak-Klamotte, die ihresgleichen sucht und die dem Publikum die Freudentränen in die Augen jagt.

Ein Grobschnitt-Konzert funktioniert ungefähr so: Dunkler Saal dunkle Bühne. Aus den Lautsprechertürmen tönt die Tagesschau-Fanfare allgemein-albernes Begrüßungsgeblödel (mehrsprachig), anschließend das Lied «Heut gehen wir zu Grobschnitt» und dann eindringlich und gewichtig die Durchsage: «Sie befinden sich auf einer Grobschnitt-Veranstaltung. Sie sind freiwillig hergekommen, niemand hat sie dazu gezwungen. Jetzt müssen sie die Konsequenzen tragen !»

Jetzt erst taucht auch jemand auf der Bühne auf: Tony, Roadie, «Stageman», Elektroniker, Statist für alles. Tony trägt einen weißen Kittel und eine Volksgasmaske, wirbelt ein wenig herum, dann kommt Achim Ehrig (hauptsächlich Schlagzeuger), trompetet ein schlimmes Solo und prügelt sich anschließend mit Gasmann Tony (Gitarrist Lupo: «Das ist der Kampf zwischen der elektronischen und der ,natürlichen‘ Musik»). Und wenn Tony dann geschlagen in die Garderobe abtritt, erscheint der Rest der Gruppe - Stefan «Wildschwein» Danielak (Gitarre, Gesang), Bernhard «Bär» Uhlemann (Bass, Flöte, Perkussionsinstrumente), im gelben Frack mit schwarzen Tupfen Lupo, der neue Organist, Volker Kahrst und der zweite «Stageman»: Porneaux - und das Konzert geht richtig los.

Was dann im einzelnen alles passiert, ist so immens und vielfältig, daß schon aus Platzgründen unmöglich alles hier aufgeführt werden kann. Jede Minute ein neuer Gag, stets geschieht etwas Unvorhergesehenes - Grobschnitt ist eine Gruppe, die man live sehen muß, und wer einmal wieder so richtig unterhalten werden und fürchterlich lachen will, für den gibt es kaum einen besseren Tip als Grobschnitt.

Höhepunkt einer jeden Grobschnitt-Veranstaltung ist stets das «erste deutsche Rock-Schauspiel» mit dem Titel «Am Ölberg». Basierend auf der biblischen Ölberg-Story haben die Hagener hier einen 20minütigen Einakter zusammengeschrieben, der ihnen trotz des klerikalen Themas wohl kaum den Segen des Papstes einbringen wird.

Aus der Kulisse betreten drei «Jünger» und ein Stoffhund auf Rädern ,die Bühne, um dort am - Ölberg - auf Gott zu warten und mal mit ihm ein ernstes Wort zu reden, denn überall herrscht Krieg, Hunger, und außerdem hat man auch noch kalte Füße. Die Jahre gehen ins Land, aber sie harren aus und warten weiter. Da, endlich: Rauchwolken, Blitze, Donner, aus dem Nebel tritt Tony mit würdiger Langhaarperücke und Wallgewand.

«Ei, gucke mal da», sächselt er, doch die Jünger haben inzwischen ihren Humor verloren und wollen, bevor sie nun das Jüngste Gericht beginnen, erst mal was zu essen, schließlich haben sie lange genug gewartet. Der Herr will auch was besorgen und tritt wieder ab, aber er läßt sich Zeit. So warten die Jünger wieder einmal, bis es ihnen zu bunt wird und sie verschwinden.

Kaum ist die Bühne leer, kommt Gottvater wieder an, unterm Arm einen Pappfisch für seine hungernden Fans. Aber die sind jetzt weg, und während sich der Herr noch ratlos an der Perücke kratzt, tönt vom Tonband her der Kommentar «Jetzt werden dem Herrn die Füße kalt - die Jünger sind im Wienerwald!»


Kurzmeldung

»Grobschnitt« aus Hagen versuchen einen neuen Weg im »Krautrock«. Sie verbinden ihre heiße Musik mit Theater, bauen eine gute Bühnenshow auf. Von ihrer neuen Langrille »Ballermann« verkauften sie in zwei Wochen mehr als 2.000 Stück.

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