MusikSzene live 3 / 1986

 

Grobschnitt

Für die Liebhaber von Live-Konzerten sind sie sicherlich wieder einer der Höhepunkte der diesjährigen "Frühjahrssaison" wer sich allerdings ausschließlich in der Hitparade auskennt, verwechselt sie schon mal mit Pfeifentabak: Grobschnitt ist wieder unterwegs. Die Hagener Band ist ein Phänomen in der deutschen Rockszene: gehört sie live zu den Top Acts und zieht die Zuschauer scharenweise in die Säle, so ist sie in den Charts noch nie gesichtet worden. Unverständlich, die Musik ist nämlch gut, allerdings: auf Kommerzialität wird keinen Wert gelegt. Aber als Liveband ist sie etwas ganz Besonderes: anders als alle anderen. Da gibt's Slapsticks, Kabaretteinlagen, Persiflagen und Nonsens, Chaos und Klamauk, Lichteffekte, psychedelisches Feuerwerk, Bühnenbilder wie aus Tolkiens Fantasy-Romanen: Show total. 3 ½ Stunden (!) soll das Rockspektakel diesmal dauern, 80 Konzerte will man machen, auch in kleinen Clubs spielen, jeden Abend Mammutprogramm, totale Verausgabung, die Leute sollen was sehen für's Geld. Da müssen selbst die Roadies ran und in Kostüme schlüpfen, um als Monster, Schwertkämpfer Drache, Ölscheich oder Cowboy zu agieren. Und sogar der Mann am Saalmischpult, der obskure "Geheimrat Günstig" wird zum Piraten und entfacht Kanonendonner. Die Musik steht natürlich trotz allem im Vordergrund; und sie ist genauso bunt und schillernd wie das ganze Programm: geradliniger Rock, verträumte Melodien auf Akustikgitarren, kritische Songs, zwanzigminütige Epen wie "Rockpommels Land" oder noch längere Stücke wie das legendäre "Solar Music", das gerade in völlig neuer Gestalt unter dem Titel "Sonnentanz" als LP veröffentlicht wurde und somit sowohl Kern- als auch Höhepunkt eines jeden Konzertes werden soll. Zum Konzept der diesjährigen Tour erklärte Gitarrist Lupo: "Wir haben in den letzten Jahren ab und an etwas experimentiert, weniger Show gemacht, kürzer gespielt, auf Gags zugunsten der Musik verzichtet, aber wir haben an der Reaktion gemerkt, daß die Leute uns nur auf eine Art haben wollen: lange Konzerte, viel Show und viele Überraschungen. Und in diesem Jahr wollen wir wieder mal voll aus der Tasche kommen. Am genauen Ablauf arbeiten wir noch, aber wenn Ende Februar endlich der Startschuß fällt, wird einiges passieren. Die Vorbereitungen machen riesigen Spaß, und wir haben fast schon zu viele Ideen. Musikalisch haben wir diesmal auch wieder viele ältere Sachen ins Programm genommen, es ist unheimlich interessant, die Kompositionen mit den technischen Möglichkeiten von heute zu interpretieren. Aber wir spielen natürlich auch ganz neue Titel, die erst auf unserer nächsten Studio-LP, die wir im Sommer aufnehmen werden, zu hören sind. Mittelpunkt der diesjährigen Tour ist allerdings unsere aktuelle LP "Sonnentanz", das erklärte Lieblingsstück der Band. Bei über 3 Std. Programm wird sicherlich jeder auf seine Kosten kommen."

Zwei Monate lang bereitet sich die Band äußerst sorgfältig auf so eine Tournee vor, plant den Ablauf, macht Soundcollagen, bastelt die Kostüme oder entwirft Bühnenbilder. Auch das gesamte Tourmanagement liegt in den Händen der Gruppe. Wo und unter welchen Bedingungen gespielt wird, alles bestimmen die Musiker selbst. Dabei ist ihnen besonders wichtig, daß trotz des enormen Aufwandes die Eintrittspreise so niedrig wie möglich bleiben können. Einen Manager gibt es nicht, und so ist ein 16-Stunden-Tag vor der Tournee das Übliche. "Da sind dann die Auftritte schon fast wie Urlaub", meint Lupo. Ganz unrecht scheint er damit nicht zu haben, denn die Atmosphäre und Ausgelassenheit auf der Bühne können einen schon an Urlaubsstimmung erinnern.

Udo Wehr

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