"Auch wenn die Macht in Reih' und Glied
marschiert"
Musikalisches Gütesiegel: Grobschnitt
Als die sogenannte Neue Deutsche Welle noch nicht hochschwappte und
Hagen noch nicht zum Mekka der Ruhrgebiets-Rock-Szene hochstilisiert war, da bot die Stadt
an der Volme bereits ein rockiges Aushängeschild: Grobschnitt musikalisches
Gütesiegel für einfallsreiche Stories phantasievoller Klangwelten.
Mit dem Album "Razzia" knüpfen die Hagener zwar an ihre
eigene Tradition an, verharren aber keineswegs dumpf im Gestern. Und wenn man glaubt,
Töne der Neuen Deutschen Welle bei "Razzia" herauszuhören, liegt man nicht
völlig falsch, aber ... Grobschnitt wären nicht Grobschnitt, würden sie auf einen Zug
aufspringen der längst abgefahren bereits seinem Zielbahnhof nahe ist. Was
sie in "Der alte Freund" (kurz: DAF) NDW-angehaucht von sich geben, ist
verhaltene Ironie und gekonnte Persiflage auf einen erfolgreichen Trend.
Witz, Phantasie, Ironie und Spaß bis zum Klamauk sind seit vielen
Jahren Qualitätsmerkmale bei Grobschnitt. Natürlich gibt es diese Elemente auch auf
"Razzia". "Schweine im Weltall" ist dafür ein Beispiel. Vor lauter
"oink" und "quiek" bekommt man fast die Geschichte um die
aussteigenden Borstenviecher nicht mit.
Aber "Razzia" dürfte nicht "Razzia" heißen,
wären da nicht ernstere Töne, die Erfahrungen mit "Vater Staat" ins Bild
setzen, der zum Durchsuchungsspiel bitten läßt. Schwere, baßbetonte Riffs machen
Bedrohlichkeit und Angst solcher Aktionen plastisch. Leicht und hymnisch dagegen, dennoch
nicht weniger ernst, "Wir wollen leben"; eindrucksvoll-atmosphärische
Schilderung des Gegensatzes von "5.000 Bäumen, die heut sterben
solln" und "10.000 Menschen, die das nicht mehr wolln"
auch wenn "die Macht in Reih und Glied marschiert".
Ihre handwerklichen Qualitäten haben die Musiker auf
"Razzia" erneut bewiesen, der Sound stimmt, nur die Verständlichkeit der Texte
macht hin und wieder Schwierigkeiten. Aber die Scheibe lohnt mehrfaches Hören.
Eberhard Einhoff |