Bericht aus dem Sauerländer "Szene"-Heft aus 1994

 

Ganz Legal

Die Grobschnitt-Story im Digital-Remix

Die Band brachte den Rock ‘n‘ Roll ins Sauerland. Grobschnitt-Konzerte in den 70ern und den frühen 80ern waren Happenings, bei denen nicht nur die Musiker manchmal in Flammen standen sondern auch die Schützenhallen. Nahezu dreinhalbtausend Zuschauer drohten 1982 die Mescheder Schützenhalle zu sprengen. Als die Vorreiter des Krautrock und Wegbereiter der Neuen Deutschen Welle 1989 ihr endgültig letztes Konzert gaben, standen den Zuschauern die Tränen in den Augen. Fünf Jahre lang hat Grobschnitt-Drummer und Klangtüftler Eroc seitdem an der Grobschnitt-Story gebastelt, deren erster Teil nun auf dem Markt ist.

"Fast wie im Sauerland, nicht wahr?", kommentiert Eroc unseren wohlwollenden Blick durch seine komfortable Mehrfamilienhaus-Wohnung in einer Neubausiedlung eine halbe Autostunde von Hagen gelegen. Nach seinem Ausstieg aus Grobschnitt 1983 und einer erfolgreichen Solokarriere beschränkt sich der selbsternannte "Klangperfektionist" auf’s Produzieren. Seine erste Arbeit war 1983 das "Sauerland"-Album von Zoff. Vor sieben Jahren entdeckte er Philipp Boa, verhalf in seinem damaligen Woodhouse-Studio in Dortmund zu seinem typischen Sound und hatte maßgeblich am Erfolg des Comeback-Albums "Boaphenia" teil. Heute verzieht sich sein Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse beim Thema Boa, der ihm von seinem Domizil auf Malta urplötzlich die Freundschaft und sämtliche Verträge gekündigt hat und seine Entscheidung lediglich in Form von Totenkopf-Faxen begründet. "Völlig abgedreht", lautet Erocs lapidarer Kommentar, "jetzt sehen wir uns vor Gericht wieder. Immerhin habe ich noch eine Menge Rechte an seinem früheren Songs."

Doch der Blick zurück im Zorn liegt dem mittlerweile angegrauten Ex-Drummer nicht. Stattdessen kramt er aus einem riesigen Metallkoffer alte Singles heraus, darunter natürlich auch sein größter Solo-Hit, die "Wolkenreise", ein Stück, das bis 1983 eine Million mal über die Ladentheke ging. Das romantische Instrumental war ursprünglich Vormusik für eine Bühnenshow von Grobschnitt und fand den Weg in sämtliche Hitlisten. Überhaupt beschränkte sich Erocs Tätigkeit bei Grobschnitt nicht nur auf’s Trommeln. Der gelernte Chemie-Assistent baute bereits 1970 die ersten Bomben für die skurrilen Live-Gags der Deutschrocker, die ihnen nicht nur im Sauerland den Ruf sicherten, "beste Liveband Deutschlands" zu sein. "Unsere Stärke beruhte darauf, auf die Leute zuzugehen", bringt Eroc den Erfaolg Grobschnitts auf den Punkt. Wenn das Grobschnitt-Kollektiv vor den Schützenhallen anrückte, "warteten die Fans und örtlichen Nachwuchsmusiker bereits seit mittags auf uns. Beim Aufbau packten alle irgendwie mit an, zwischendurch war Zeit, Fragen zu beantworten und Autogrammwünsche zu erfüllen." Das schweißt zusammen. Die familiäre Atmosphäre bei Grobschnitt-Konzerten steht auf der Doppel-CD im Vordergrund. Neben Interview-Mitschnitten sind es die trockenen Moderationen Lupos, die Alten Fans Tränen der Rührung in die Augen treiben dürften. Drumherum die Musik, mit der die Band als "Dampflok des Deutschrock" in die Geschichte einging, das sieben Minuten lange "Razzia" bis hin zum 37minütigen "Solar Music" im "Powerplay".

"Wir hatten die Konzerte teilweise auf Kassettenrekordern mitgeschnitten", erinnert sich Eroc. Um die Bandchronik vom Rauschen zu befreien, mußte er seine ohnehin ausgefeilte Studio-Technik erheblich erweitern. "Um alles zu erhalten, was auf den Bändern war, habe ich teilweise Stecker aus Gold benutzt und eigene Analog-Maschinen gebaut", erklärt der Klangspezialist den jahrelangen Aufwand. "Razzia zum Beispiel habe ich sechs oder sieben Mal neu gemischt und mir immer wieder unter neuen Bedingungen angehört, mal im Auto, mal zu Hause, mal im Urlaub. Dabei habe ich immer wieder an dem Song gefeilt, bis er mir perfekt, das heißt authentisch erschien." Einzige Hilfe dabei: sein Erinnerungsvermögen: "Wir haben uns geliebt und gehaßt. Manchmal haben wir uns geprügelt wie die Besenbinder und uns dreimal in der Woche aufgelöst, dann wieder sind wir durch dick und dünn gegangen." Wie vor dem ersten Plattenvertrag mit der Metronome. "Da kamen wir ohne einen Pfennig in der Tasche nach Hamburg, und haben neben der Autobahn gezeltet. So verdreckt und völlig ausgehungert sind wir dann bei den Firmenchefs aufgelaufen. Die haben erst einmal eine Platte Kuchen für uns bestellt." Sowas verbindet. Das ist auch ein Grund, warum Eroc nach seinem Ausscheiden 1983 Grobschnitt nie verleugnet noch vergessen hat. Im Gegenteil zu Sänger Lupo. "Der sitzt jetzt in Arnsberg bei einer Light- und Soundfirma und will mit den alten Geschichten nichts mehr zu tun haben. Wenn bei ihm Fans von früher anrufen und nach dem "Sänger von Grobschnitt2 fragen, läßt er sich verleugnen", berichtet Eroc achselzuckend. Die Frage nach erneuten Live-Auftritten der Band verneint er prompt und entschieden. "Wir waren eine Kultband, und das soll auch so bleiben. In der Zwischenzeit sind wir alle zu unterschiedliche Wege gegangen. Das Gefühl von damals, das kriegst du nie wieder hin."

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