Pressestimmen zur "Last-Party-Tour" 1989

 

Nach 20 Jahren soll endgültig Schluß sein, die Szene Hagen verliert ihr letztes Glanzlicht - Grobschnitt geht nach der ,,Last Party"-Tour in Pension. Große Charterfolge hatten sie nie, doch dank unzähliger Tourneen kennt fast jeder die pompösen ,,Krautrocker".

 

Grobschnitt:

Rock im einstweiligen Ruhestand

 

Wie ein Haufen schrulliger Rumpelstilzchen sahen sie meistens aus. Die Bühne schienen sie mit dem Hinterhof zu verwechseln, rüde Worte und satter westfälischer Slang schlugen den Konzertbesuchern entgegen. Doch die wußten in der Regel, welch phantastisches Rocktheater sich hinter den abenteuerlichen Figuren verbarg. Die meisten Zuschauer waren Wiederholungstäter - einmal Grobschnitt, immer Grobschnitt. Damit ist es nun, nach 20 Jahren. endgültig aus. Die beständigste Band, die je aus der Talentschmiede Hagen hervorging, schloß am Montag die Akte Grobschnitt mit einem pompösen letzten Kapitel in der Hagener Stadthalle.

Die sechs Musiker können auf eine lange Karriere zurückblicken. Nie waren sie ganz oben in den Charts wie etwa Kollegin Nena. Doch Anhänger haben die Hagener auf der ganzen Welt, so zum Beispiel einen Fanclub in Brasilien. Der Erfolg war konstant und ist es bis heute. 13 Alben in 19 Jahren - trotz der LP-Flut war Grobschnitt immer eine Live-Band. Ihre Auftritte sprengten regelmäßig den Rahmen kleiner Veranstaltungszentren, Streit mit der örtlichen Feuerwehr war vorprogrammiert.

Eine Grobschnitt-Show dauerte mindestens drei Stunden. Heiß her ging es jedesmal wieder, besonders beim Sonnentanz, Kernstuck einer jeden Grobschnitt-Show. Mit dem Rhythmus des Herzschlags wurde ein Kampf zwischen zwei grauenerregenden Monstern eingeläutet, die mit glühenden Schwertern aufeinander losgingen. Explosionen gaben den Sieger bekannt - den Sonnenkönig. Pyromanen haben ihre helle Freude gehabt.

Untrennbar mit Grobschnitt verbunden ist auch das Märchen Rockpommelsland. Erfunden hat es der ehemalige Baßmann Volker Mist im Jahre 1973. Der kleine Junge Ernie geht in dieser Geschichte mit einem großen Vogel auf Traumreise in ein gelobtes Land - eben das Rockpommelsland. Wunderschöne leise Töne und sehr phantasievolle Lvrik nahmen die Menschen jedesmal wieder mit auf die Reise. Viel Zeitkritisches findet sich in den Texten von Grobschnitt. Songs wie "Wir wollen leben" richteten sich schon früh gegen Umweltzerstörung und Größenwahn. Dennoch: "Unsere Musik sollte Anregung sein, nicht Revolution, so die Selbsteinschätzung.

Die große Zeit der "Groben" waren die 70er: "Damals waren die Jugendlichen nicht so ungeduldig wie heute", erinnert sich Gitarrist und Grobschnitt-Gründer Gerd Kühn-Scholz, besser bekannt als Lupo. "Das waren noch echte Happenings" schwärmt Lupo. Die Leute rückten mit Schlafsäcken und Verpflegung schon lange vor dem Konzert an. Doch auch die 80er Jahre brachten für Grobschnitt noch volle Säle.

Man mag anmerken, daß der Grobschnitt-Sound zu dem gehört, was früher etwas abfällig als Krautrock bezeichnet wurde. Doch dagegen ist zu halten, daß es jahrelang in der Bundesrepublik nichts gab, was annähernd mit Grobschnitt hätte konkurrieren können.

Als Grobschnitt entstand, war die Zeit der Beatles vorbei, Genesis oder Yes waren noch Insider-Tips. In der deutschen Musikszene tat sich so tut wie gar nichts - ideale Startbedingungen für eine junge Band mit außergewöhnlichen Ideen.

Es war nicht immer alles rosig. Zwei wichtige Ereignisse waren das Ausscheiden des Drummers Joachim Ehrig alias Eroc und der Umzug von Baßmann Milla Kapolke 1988 nach Portugal. "Wir sind im Lauf der Zeit eine große Familie geworden", sagt Lupo. Und warum sollte sich die Familie nicht irgendwann wieder treffen: oder?

Text: Cordula Kohl


Mit "Rockpommels Land" hat Grobschnitt eine Kult-LP geschaffen. Ihre Live-Show wurde von den Zuschauern des WDR-Rockpalast zur besten gewählt – vor der von "Pink Floyd". 1,5 Millionen Alben haben die "Väter der Hagener Szene" verkauft. 3500 Stunden stand die Gruppe auf der Bühne. 19 Jahre dauerte die Geschichte der Band. Inzwischen kommen drei Generationen zu ihren Konzerten. Und nun ist Schluß: Grobschnitt löst sich auf. Die Band bereitet sich auf die letzte Tour vor: "The Last Party".

Nachbetrachtungen von Klaus Bröking

,,The Last Party":

Auf Wiedersehen

,,Grobschnitt"

 ,,Wir haben mit Grobschnitt erreicht, was wir erreichen konnten. Man soll aufhören, wenn man noch nicht am Boden liegt", erläuterte Gitarrist ,,Lupo" Kühn die Grunde dafür, daß "seine" Band nun die Segel streichen wird ,,19 Jahre sind für eine Rockgruppe eine lange Zeit. Das hat eine Menge Kraft gekostet, "Nie haben die Hagener einen Produzenten oder einen Manager gebraucht.

Der einst so wilde "Lupo" residiert heute mit Frau und Sohn in einem schmucken Eigenheim in Schalksmühle. Während Papa in einer Ecke die Gitarre traktiert, bearbeitet Sohnemann in der anderen sein Schlagzeug zu solchen Titeln wie ,,Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei". ,,Ich bin der letzte, der ihm das verbieten könnte, ich habe mir ja selbst alles erlaubt", erklärt Lupo. Und damit - alles Erlaubte oder Nichterlaubte zu tun - begann die Geschichte von Grobschnitt.

Man schrieb anno 1970 als die Hagener Band ,,The Crew" beschloß, nicht mehr Hits nachzuspielen, sondern eigene Songs zu schreiben. Dafür brauchten Eroc. Wildschwein, Toni Moff Mollo und Lupo einen neuen Namen: Grobschnitt. Und bald waren sie bekannt wie ein bunter Hund ,,Die Wilden kommen", hieß es. Bei Konzerten fegten Mehlsäcke durchs Publikum, Wassereimer wurden üher die erhitzten Zuschauer ausgeschüttet - und wenn das nicht half, kam man mit dem Gartenschlauch. Als Höhepunkt ein Feuerwerk in der Halle - dann rückte meist die Feuerwehr an

Aus diesen ,,wilden Zeiten" entwickelte Grobschnitt eine Bühnenshow, die der Gruppe in den Rocklexika den Titel "beste deutsche Live-Band" einbrachte. Eine Mischung aus Showelementen, Rocktheater, Underground-Sketchen, spontanen Ideen und handwerklich hervorragendem Gitarrenrock. Die Umsetzung ihrer Musik in ein Bühnenbild war es, die die Sauerländer zu einem unverwechselbaren Element in der Szene machte.

Die Mannen von Grobschnitt fühlten sich nie als Stars. Ihre Mammutkonzerte - mindestens drei Stunden lang - führte Publikum und Musiker zusammen. Es war auch in Grobschnitts größten Tagen immer so, als wenn sich in einer intimen Atmosphäre ein paar tausend Menschen zu einer Party trafen Das Puiblikum war die ganzen Jahre über ein Teil von Grobschnitt.

"Vielleicht sind wir so lange zusammengeblieben, weil wir nie einen Hit hatten" überlegt Lupo laut. Nie lastete der Druck auf ihnen, einen Bestseller den nächsten folgen zu lassen. Zwar wurde "Wir wollen leben" ein Hit in der Anti-Kriegs-Bewegung, "Silent Movie" kletterte an die Spitze unzähliger Rundfunk-Hitparaden, aber in Verkaufszahlen drückte sich das nie gigantisch aus. Als Ex-Schlagzeuger Eroc, der heute Mitinhaber eines Dortmunder Studios ist, 1980 mit "Wolkenreise" einen Treffer landete, war es ihm fast peinlich.

1988 legte die Band eine Kunstpause ein. Gelegenheit für die Profi-Musiker, sich zu überlegen, was sie später machen. Nicht einfach: 19 Jahre war Grobschnitt der Arbeitgeber für Lupo, Wildschwein und Toni, die von Anfang an dabei waren. ,,Kann sein, daß ich ein zweites Projekt starten werde", meint Lupo, ,,eine Band. bei der ich mich nur auf meine Gitarre konzentrieren kann. Aber erst gehen wir noch mal auf Tournee. Es wird ein Querschnitt aus 19 Jahren Grobschnitt, und es werden wieder 70 Konzerte". Neben den Ur-Grobschnitts Lupo, Wildschwein und Toni sind noch Rolf Möller (Schlagzeug), Harald Eller (Baß) sowie Sugar Lindemann (Keyboards) dabei.


Grobschnitt: Abschied mit Pomp und Stil

Der Saal der kleinen Dorfkneipe im niederbayerischen Örtchen Dingolfing platzt fast aus allen Nähten. Jugendliche aus der ganzen Umgebung drängen sich in dem stickigen Raum. Sie tragen Jeans, Parkas und lange Haare. Rucksäcke mit Verpflegung und Getränken - den wichtigsten Utensilien für ein überlanges Rockkonzert und eine Nacht außer Haus - haben sie fast alle bei sich. Sie warten an diesem Tag im Jahre 1977 auf die deutsche Live-Band: auf Grobschnitt aus dem westfälischen Hagen. Und sie werden nicht enttäuscht. Ein vierstündiger Auftritt reißt sie alle mit, trotzdem bleibt viel Raum zum versunkenen Zuhören. An diesem Tag feiern Eroc (Schlagzeug), Lupo (Gitarre), Wildschwein (Gitarre und Gesang), Popo (Baß) und Mist (Keyboards) eine besondere Premiere: Das phantastische Rockmärchen "Rockpommels Land" wird zum ersten Mal dem Publikum vorgestellt - und mit riesigem Jubel von den Fans gefeiert.

Grobschnitt-Gründungsmitglied Lupo, alias Gerd Kühn-Scholz erinnert sich im Februar 1989 gern an Ereignisse wie dieses. Nach insgesamt 19 Jahren Grobschnitt lädt die Band nun zur "Last Partv" ein, zu ihrer allerletzten gemeinsamen Tournee. Über 50mal wird die Wahnsinns-Abschieds-Show allein bis zum Sommer zu sehen sein, weitere Auftritte folgen im Herbst. "Aufhören sollte man dann, wenn es am schönsten ist. Die Fans sollen sich gern an uns erinnern", meint Lupo. Ein Abgang mit Pomp und Stil soll es werden, "Jeder von uns wird noch einmal sein Bestes geben". Wer Grobschnitt kennt, hat daran keinen Zweifel.

"Wir haben alles erreicht, was eine Band erreichen kann", meint Lupo Kühn. 13 Langspielplatten in 19 Jahren und jedes Jahr eine Mammut-Tour durch die ganze Republik - eine stolze Leistung. Es sind nicht etwa Altersgründe, die die sechs Phantasten den Deckel der Akte Grobschnitt schließen lassen. Das wäre auch verwunderlich in einer Zeit, in der alte Rock'n'Roll-Helden wieder ganz oben sind und der Blues seine Renaissance erlebt.

"Rockpommels Land" ist einer der Höhepunkte in der Grobschnitt-Historie. Volker Mist aus Bremen, der 1973 als Kevboarder zur Band stieß, hatte die Idee. Das MärchenAlbum erzählt die Geschichte des kleinen Jungen Ernie. Er entflieht dem Alltag durch seine Träume. Mit Hilfe eines großen Vogels geht er auf die Reise in Richtung Glückseligkeit. Ernee findet das Glück -im Rockpommels Land.

"Zwischen 1979 und 1980 war die Hoch-Zeit für extrem lange, poetische Stücke und abgehobene Kompositionen. Die Leute gingen zu Happenings, nicht zu simplen Rockkonzerten. Die Atmosphäre war freier und ungezwungener als heute, es wurde viel intensiver zugehört. Damals waren die Jugendlichen noch nicht so ungeduldig.". So erklärt sich Gitarrist Lupo die ungeheure Attraktivität der Hagener Band in den siebziger Jahren. Grobschnitt wurde zur Kult-Gruppe auf deutschen Bühnen und 1978 zur beliebtesten Band des TVRockpalastes ernannt.

Doch auch in den 80er Jahren büßten die "Groben" nichts von ihrer Beliebtheit ein, Der Baader-Meinhof-Prozeß und die Terroristenfahndungen jener Tage gingen an Eroc, verantwortlich für die meisten Texte, und der Gruppe nicht vorbei. Nachdem sie in der Schweiz von schwerbewaffneten Polizisten angehalten und ohne Verhör mitgenommen wurden, weil ihr \Vagen einem gesuchten Terroristen-Fahrzeug glich, entstand die LP ,,Razzia".

Aktuelle Themen kamen von Beginn an in GrobschnittTexten zur Sprache. Aufmerksamkeit, keine Revolution sollte erregt werden. Daß dies gelang, zeigte 1983 "Wir wollen leben", ein Song gegen die Vernichtung der Natur. Wochenlang rangierte der Titel in den Hitlisten ganz oben.

Bis heute demonstrieren die Hagener Musiker eine geschlossene Mannschaft, die trotz zahlreicher personeller Wechsel und heftiger Auseinandersetzungen auch hinter den Kulissen zusammenhält. Jeder hat seine Aufgabe, die Band managte sich stets selbst. Toni Moff Mollo sorgt noch heute für die ausgezeichnete Light-Show. Drummer Rolf Möller, der seit 1985 mit vollem Einsatz für Grobschnitt trommelt, kümmert sich um die Instandhaltung von Kostümen. Willi Wildschwein besorgt die Buchhaltung. Mit Sugar Lindemann an den Tasteninstrumenten und Harald El1er am Baß hat Grobschnitt für die ,,Last Party" brillante Musiker engagiert.

Wer auf dem letzten Fest noch einmal nach Herzenslust tanzen, feiern und lachen will, der hat dazu ausreichend Gelegenheit. Nachdem bereits gestern zum Auftakt in der Schützenhalle Menden-Hüingsen gerockt wurde, spielt Grobschnitt morgen, Sonntag, im Stadtsaal Wetter.

Weitere Termine in Nordrhein-Westfalen; 28. Februar Bochum. Zeche; 1. März Erndtebrück, Haus Wittgenstein; 2. März Düsseldorf, Tor 3; 3. März Gevelsberg, Aula Alte Gebr; 17. März Bergisch-Gladbach, Bergischer Löwe; 10. April Münster, Jovel; 14. April Krefeld. Kulturfabrik; 15. April Lüdenscheid; Schillerbad, 28. April Dortmund, Piano. Im Herbst geht die Tour nach kurzer Pause weiter. Daten stehen noch nicht fest.

Legendäre Relikte denkwürdiger Auftritte - wie die Kunst-Glatze von Eroc - sind vom 9. März bis zum 7. Mai in der Ausstellung "Land der Krise - Land der Hoffnung: Jugendkulturen im Ruhrgebiet 1900 bis 1987" im Hagener Museum für Stadt- und Heimatgeschichte zu bewundern. Ein Besuch lohnt sich nicht nur für Fans.

Cordula Kohl


Grobschnitts letzter Tanz auf dem Vulkan

Hagener Formation beendet ihre Karriere

Hagen. (coko) Ein Kapitel der deutscher Rockmusik ist abgeschlossen. Gestern abend hatte die Gruppe Grobschnitt, seit 19 Jahren ein fester Bestandteil der deutschen Musikszene, zur ,,Last Partv"' in die Hagener Stadthalle eingeladen. Nach zwei Jahrzehnten wurde dieser 4. Dezember der krönende Abschluß einer langen Karriere.

"Was die ,,Groben" aus Hagen versprochen hatten, hatte Fans aus der ganzen Bundesrepublik angelockt. Sogar aus Neuseeland brachte ein Musik-Freund persönliche Abschiedsgrüße an die Volme. Die Erwartungen der meisten Konzertbesucher wurden jedoch weit übertroffen.

Es war ein musikalischer und visueller Querschnitt durch 19 Jahre Leben und Arbeit mit allen Höhen und Tiefen. Noch einmal ein Tanz auf dem Vulkan, noch einmal eine Traumreise ins Rockpommelsland.

Ganz ihrem Ruf als die deutsche Live-Band schlechthin, rockten die Hagener noch einmal stundenlang mit aller Kraft. Junge und Junggebliebene nahmen Abschied von einer Epoche - viele wehmütige Gesichter waren an diesem Abend in der Hagener Stadthalle zu sehen.

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