Zeitungsartikel vom 30.01.1976

 

Rock-Portrait

Warnung:
Diese
Rock-Gruppe
ist
gefährlich

Sogar Skorpione haben
vor Grobschnitt Angst

von REINHARD SIEMON

Augenzeugen, die trotz aller Sprengstoff-Anschläge und giftiger Nebelschwaden ein Grobschnitt-Konzert einigermaßen heil überstanden haben, konnten erst nach langer psychiatrischer Behandlung Kunde tun von den gar erschröcklichen Geschehnissen, die von einem zügellosen Haufen wilder Gesellen unter gar bedrohlichen Klängen vor den Augen eines erstarrten Publikums inszeniert wurde. Aus den zum Teil nur bruchstückhaften Erinnerungen der wenigen Überlebenden konnte Redakteur Reinhard S., der sofort nach diesem Bericht einen mehrwöchigen Erholungsurlaub antrat - postlagernd LKH Warstein -, eine annähernd detailgetreue Darstellung jenes Dramas erarbeiten, das sich am 10. Januar 1976 in der Mescheder Schützenhalle zutrug. An den mit + gekennzeichneten Stellen versagten ihm aber journalistische Ethik und anerzogene Furcht vor den Mächten des Bösen, näher auf die Dinge einzugehen.

Am Anfang stand das Nichts, oder genauer gesagt tiefe Finsternis, in der kleine rote Kontrollämpchen vom drohenden Unheil kündeten. Einem Unheil, das urplötzlich mit Donnern und Blitzen über das Publikum hereinbrach. Wie eine leibhaftige Ausgeburt der Hölle verhexte der letzte europäische, seinerzeit von der Inquisition vergessene Zaubermeister die Szene. Auf der Suche nach seinem letzten großen Erfolgserlebnis produzierte der etwas senile Magier nach mancherlei mutierten Fehlschlägen einen achtköpfigen Haufen abscheulicher Fabelwesen, die mit rhythmischen Bewegungen und einschläfernden Gesängen versuchten, das Publikum einzulullen.

Angstschreie zerrissen die rauchgeschwängerte Luft, als sich die wilden Gesellen mit gefährlich aussehenden Waffen unbekannter Baumuster ausrüsten und mit wenig hitparadengerechten Klängen die Trommelfelle des wehrlosen Publikums bearbeiteten. Wie eine kalte Wolke strahlte vor allem ein undefinierbares Monster, dessen herausragende Eigenschaft sein Stereo-+ war, die unsäglichen Gefahren eines höllischen Infernos aus. Das Chaos wurde komplettiert, als heimtückische, giftige Nebelschwaden über die Bühne in den Zuschauerraum zogen und die wilden Gesellen, begleitet von Lichteruptionen und gewaltigen Explosionen, einen schauerlichen Todeschoral anstimmten, der das Blut in den Adern gefrieren ließ. Ohne Gnade griff die wüste Horde weiter an, lästerliche + und vulgäre + trieben auch die Abgebrühtesten an den Rand des Wahnsinns. Lästige Skorpione besorgten dann den Rest

Grobschnitt-Live-Konzert, II. Teil

So weit, so gut, wer aber nun glaubt, ein Grobschnitt-Konzert sei kaum mehr als ein gut arrangierter Horror-Trip, sollte mal seine Ohren nachsehen lassen. Denn neben der wirklich umwerfenden Show produzieren die acht Herren, die in der nebenstehenden Fahndungsliste aufgeführt sind, auch noch hervorragende Musik die keinen Vergleich zu scheuen braucht. Sie machen dabei nicht den Fehler vieler Gruppen, sich selbst und ihre Musik tierisch ernst zu nehmen. Sie wollen nicht Intellekt um jeden Preis, sondern hochkarätige Unterhaltung. Dafür opfern sie jeden Pfennig. Darauf achtet schon Eroc, der Perfektionist. Einmalig auf der Welt wohl auch die vollkommene Integration der Roadies in der Gruppe. Nicht schief betrachtete Verstärkerschlepper, sondern vollwertige Mitglieder, ohne deren Zutun das Räder-werk "Grobschnitt" bei jedem Konzert zum Stehen kommen würde.

Aber wir waren bei der Musik. Eigentlich läßt sich die Musik der Gruppe nicht in ein starres Schema pressen. Die Jungs sind wahrhaft flexibel und verarbeiten in ihrer Musik fast alle Einflüsse, die von der Pop-Musik in den letzten 13 Jahren ausgegangen sind. Wohlgemerkt, sie verarbeiten sie, von Plagiaten und lieblosen Kopien kann keine Rede sein. Getragen wird der Sound der Gruppe von den Keyboards, die praktisch den Sound-Teppich auslegen, auf denen die Gitarren gleichsam spazieren gehen. Baß und Schlagzeug sorgen derweil für den rockigen Untergrund. Obendrauf thront dann der Gesang, oft zweistimmig vorgetragen. Aber Musik läßt sich nur schwer beschreiben. Am besten mal anhören, das sagt mehr als tausend Kritiker-Worte.

 

Aus der Fahndungsliste

"Lupo"

Bürgerlich Gerd O. Kühn und der Finanzstratege der Band. Von der Last der Gruppen-Gründung 1966 und dem hohen Alter - immerhin ist er mit 26 Jahren der Senior – gebeugt, ist er dennoch der Schönling der Gruppe, so eine Art Pop-Star. Doch damit noch längst nicht genug. Lupo ist darüber hinaus ein sensibler Vollblut-Musiker, der es versteht Thematik und Stimmung der Grobschnitt-Songs auf seiner Les Paul auszudrücken und zu beleben. Feeling und Wissen um musikalische Zusammenhänge helfen ihm dabei mehr als übertriebene Mätzchen und aufwendige. technische Spielereien. Wenn er seine sechs Saiten benutzt um sich dem Publikum mitzuteilen, kann er seine Stimmbänder beruhigt abstellen.

"Tony Moff Mollo"

Tony Moff Mollo, der "Kleinste Riese der Welt", hat seinen bürgerlichen Namen, Rainer Loskand, schon fast vergessen. Nach dem Motto "Ohne Licht sieht man euch nicht" ist der Schrecken der deutschen Rock-Szene als Light-Show-Experte der wichtigste Mann bei Grobschnitt und darüber hinaus treibende Kraft der Grobschnitt-Bühnen-Show. Angst ist für ihn -ein absolutes Fremdwort. Sein Lebensinhalt ist der Spaß und in der Ausübung desselben schreckt er werde vor Franz-Josef Strauß noch vor der Kirche zurück. Neben seinen Ideen und Späßen - so der geplanten, aber wegen Geldmangels noch nicht realisierten Rutschbahn vom Kölner Dom - wirken die Attraktionen des Disneylands wie billige Kirchweih-Belustigungen. Trotz seines aufreibenden Lebenswandels und des Kräfteverschleißes durch das Transportieren sperriger Gegenstände - Lichtmasten, Verstärker und Schlagzeuger - hat er mittlerweile das biblische Alter von 21 Jahren erreicht.

"Mist"

Irgendwann einmal hörte er auf den Namen Volker Kahrs. Bei Grobschnitt spielt der 24jährige gebürtige Norddeutsche seit 1972. Der Keyboardman bedient seit seinem zehnten Lebensjahr die verschiedensten Tasten. Mist ist eine echte Künstlernatur und produziert am laufenden Band hochwertig musikalische Ideen, von denen dann die Gruppe profitiert. Frustrationen baut er in nächtelangen Sitzungen in seinem Atelier ab, bei denen surrealistische Bilder entstehen, denen man allgemein eine bedrückende, eigentümlich suggestive Schönheit nachsagt. Auch auf seinen Tasteninstrumenten ist zaubert er solch surrealistische Gebilde, sofern ihm die Gruppe Zeit dazu läßt, und eben deswegen ist er ja frustriert.

"Eroc"

Er war nicht gemeint, als er bei einem Festival in Meschede davon sprach, daß die ganze Garderobe von Skorpionen wimmele, auch wenn er selbst einer ist - Sternzeichen versteht sich -. Die Liste seiner Tätigkeiten in den letzten zehn Jahren ist lang und reicht vom Chefroadie über den Chemielaboranten bis hin zum Elektroniker. Als eben solcher veröffentlichte Hans Joachim Ehring auch eine beachtenswerte Solo-LP und baute die Grobschnitt-Lichtanlage. Was er mit Worten, von denen er offensichtlich gar nicht soviel hält, nicht sagen kann, formuliert er mit Bandgeräten, Filtern und Oszillatoren. Bei der Gruppe ist er gefürchtet wegen seiner häufigen Anfälle, die auf die in der Rockszene so seltene Krankheit "Intelligencia" zurückzuführen sind. Dabei entstehen dann wesentliche Beiträge zur Grobschnitt-Kultur.

"Wildschwein"

Guter Klang braucht einen großen Resonanzkörper. Nach diesem Motto handelt auch der wohlbeleibte Stefan Danielak, der für die gesangliche Hauptarbeit zuständig ist. Versuche, ihn auf Diät zu setzen, schlugen samt und sonders fehl. Kein Wunder bei einem Mann, der Bier immer noch als bestes Öl für die Stimmbänder ansieht. In Regel ruhig und behäbig, wird er zum wilden Keiler, wenn es um die Gruppe geht. Wer ihn einmal in Action gesehen hat, kann sich kaum noch vorstellen, daß er einmal sein Brot - und das für Frau und Sohn - als Finanzbeamter verdient hat. Sein Traum: ein Wahnsinnsauftritt der Grobschnitt in Disco 76 mit Tony Moff Mollo als Ikarus. Armer Ilja Richter. (Wichtiger Hinweis des Grobschnitt-Managements: Die Statur des Herrn Wildschwein widerspricht in allen Punkten der finanziellen Situation der Gruppe).

"El Blindo"

Normalerweise würde der neunzehnjährige Ralf Büser zwar lieber auf einer Harley-Davidson durch die Lande brausen, aber am Steuer von "Frankenstein", dem Personentransportbus der Grobschnitt, fühlt er sich genau so wohl. Der Spezialist für die Elektrik liegt ständig mit irgendwelchen Hallen-Hausmeistern im Streit, die ihm nicht genug Saft für die umfangreiche Anlage zur Verfügung stellen wollen. Beim Aufbau des Equipments hört die ganze Crew auf sein donnerndes Organ, das ihm mittlerweile den Ehrentitel "Hochofen" einbrachte. Für seinen dritten Spitznamen sorgte Tony Moff Mollo. Aber wer pro Tag sechs Koteletts verdrückt, kann ja nun wirklich nur noch "Bolligruh" heißen.

"Ballermann"

Glaubt man den Statistikern beim Schulamt der Stadt Hagen, dann ist Uwe Giebler der deutsche Meister im Schuleschwänzen. Zusammen mit Tony und El Blindo bildet der die Antigruppe in der Gruppe mit dem ach so treffenden Namen "The Schmirgelfires". An der Theke liefert er sich mit Wildschwein die wildesten Saufduelle und scheint in seinen Bemühungen, auch dessen Körperformen zu erreichen, auf Erfolgskurs zu sein. Von seiner Funktion her ist er sicherlich der gefährlichste Mann der Crew, denn ihm untersteht das Dezernat Sprengstoff. Als Cheffeuerwerker hat er nicht nur schon oft dem Publikum eingeheizt.

"Pepe"

Wolfgang Jäger steht nur deshalb hier an letzter Stelle, weil er auch als letzter zur Gruppe gestoßen ist. Genau gesagt erst im April 1975. Dem Vernehmen nach hatte er zu jener Zeit vom Baßspielen soviel Ahnung wie ein Kamel vom Rollerfahren. Unbestätigten Gerüchten zur Folge soll er nur deshalb in die Grobschnitt-Gemeinschaft aufgenommen worden sein, weil er die für Baß-Leute unbedingt erforderliche Naivität mitbrachte. Der große "Grinser" wie er von respektlosen Zeitgenossen genannt wird, die den echten Wert seiner Frohnatur nicht zu schätzen wissen, ist ohne Frage ein Vollblutmusiker mit hohem Einfühlungsvermögen. Daß er nebenbei noch Flöhe in der Hose hat und als Reaktion auf die kleinen Kneifer keine Minute auf der Bühne ruhig stehen kann, kommt der Show nur zu gute. Für Grobschnitt, das jedenfalls ist meine feste Überzeugung, ist er eine echte Bereicherung.

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