Titel:

Erscheinungsjahr:

Grobschnitt 2010 live

2010

Bestellnr.:


CD: erhältlich über
www.music-and-merch.de
 

1.


Behind


2:42
  
   5.


Anywhere


4:11
2. Before 5:39          6. Stoney Dance 1:44
3. Ernie's Reise 12:15      7. Rockpommel's Land 21:25
4. Severity Town 10:05      8. Beyond   3:02
            61:03
 

Besetzung:

Willi Wildschwein Gesang, Akustikgitarre
Milla Kapolke Baß, Moog Taurus, Gesang
Toni Moff Mollo Gesang, Lichtmix
Rolf "Admiral" Möller Schlagzeug, Perkussion
Deva Tattva Tansteninstrumente
  Stefan "Nuki" Danielak E- und Akustikgitarre, Gesang
  Manu Kapolke E- und Akustikgitarre, Piano, Gesang
Demian Hache Schlagzeug, Perkussion, Keyboards

 

Meine Meinung zu der CD (offizielle Rezi, die ich für's Musikzirkus-Magazin geschrieben hab):

Die deutsche Band Grobschnitt ist wahrlich ein Phänomen. 1970 aus den beiden Bands Wutpickel und Charing Cross entstanden, feiert die Band im Jahr 2010 ihr 40jähriges Bestehen. Auch wenn es die Gruppe einige Jahre nicht mehr aktiv gegeben hat, so sorgten doch die Veröffentlichungen von Eroc und die Fans dafür, dass die Musik der Band und auch die Musiker selbst in diesem Zeitraum nicht vergessen wurden. Ganz im Gegenteil, denn die Liebe zu ihrer Musik wuchs stetig.

Im Jahr 2007 gab es dann in einer neuen Besetzung (der „Next Generation“) mit vier Originalmitgliedern (Willi Wildschwein, Toni Moff Mollo, Milla Kapolke und Admiral Top Sahne) sowie vier neuen Mitgliedern (Deva Tattva, Nuki Danielak, Manu Kapolke und Demian Hache), darunter drei Söhnen der Musiker, ein Wiedersehen auf den deutschen Bühnen. Der ungeahnte Erfolg, den die acht Musiker - und nicht zu vergessen die vielen helfenden Hände am Rande der Auftritte – seither haben, zeigt, wie zeitlos die Musik von Grobschnitt war und ist. Die Folge war im Jahr 2008 ein Livemitschnitt in Form einer CD unter dem Titel „Grobschnitt 2008 Live“.

Zum 40jährigen Jubiläum macht sich die Band und den Fans das große Geschenk einer weiteren Live-CD. Das im Mai 2010 erscheinende Album heißt „Grobschnitt 2010 Live“ und beinhaltet die Liveversion des kompletten Konzeptwerkes „Rockpommel’s Land“, das erstmals in 2009 bei Konzerten in Hückeswagen und Hannover aufgeführt und dort mitgeschnitten wurde. In dieser Form wird es auch bei den Jubiläumskonzerten in 2010 live aufgeführt.

Es gibt Alben, die man vom ersten Ton an liebt und solche, die man sich erst erarbeiten muss. Als die Studioversion von „Rockpommel’s Land“, dem Konzeptalbum der deutschen Rockgeschichte, 1977 herauskam, gehörte es sicher nicht zu den Alben bei denen Liebe auf den ersten Blick angesagt war. Spätestens aber bei den Konzerten entwickelte es seine ganze Faszination, was sicherlich auch daran liegt, dass Grobschnitt von je her eine Liveband ist. „Grobschnitt 2010 Live“ ist ein Album, das der Hörer aber sofort ins Herz schließen und das ihn so schnell nicht wieder loslassen wird. Und das, obwohl es „nur“ die moderne Liveeinspielung von „Rockpommel’s Land“ beinhaltet.

Das dieses Werk so zündet, liegt daran, dass die „Next Generation“ das einstige, maßgeblich von Volker „Myst“ Kahrs (verstorbener ex-Keyboarder der Band) komponierte Konzeptwerk durch eine leidenschaftliche und gefühlvolle Interpretation auf eine neue, faszinierende Ebene gehoben hat. Hatte das Original aus 1977 schon Suchtcharakter, so ist die Neueinspielung eine Offenbarung und bildet einen Meilenstein in der deutschen und auch internationalen Rockmusik.

Das ursprünglich 45minütige Werk wurde in der neuen Fassung auf 61 Minuten ausgeweitet. Neben einem komplett neuen Intro spendierte die Band dem Stück weitere neue Passagen und ein Outro und lässt einige Teile unter anderem durch Veränderung des Tempos der Musik härter oder auch weicher erklingen, als im Original. Das macht aus dem Klassiker der deutschen Rockmusik ein komplett neues Werk. Ganz so wie ein Oldtimer, der Jahrelang im Hinterhof gestanden hat und nicht bewegt wurde, einer Komplettüberholung unterzogen und auf Hochglanz poliert wurde, so erstrahlt auch „Rockpommel’s Land“ in neuem Glanz.

Viele Nuancen wurden hinzugefügt, wie ein fetterer Bass bei „Rockpommel’s Land“ oder die Klangfarbe der Akustikgitarre in „Anywhere“. Sie lassen die Stücke frischer den je erscheinen. Die Band ist dabei mit viel Liebe zum Detail und mit einer gehörigen Portion Akribie ans Werk gegangen. Sie hat die Musik nicht einfach live nachgespielt sondern in einer ganz eigenen Weise neu interpretiert. Das Ergebnis ist eine Hommage an die Fans, die ehemaligen sowie die derzeitigen Bandmitglieder und vor allem eine Verbeugung vor dem leider viel zu früh gestorbenen Volker „Myst“ Kahrs, auf dessen Konto der Hauptteil von Musik und Geschichte geht.

Großartig ist die soundtechnische Umsetzung des Konzertes, das sowohl die Zuschauerreaktionen wie auch die Musik perfekt miteinander verbindet, ohne dass Applaus oder Reaktionen störend wirken. Die Magie der Konzerte spiegelt sich somit perfekt auf der Aufnahme wider.

Mit Applaus des Publikums startet „Behind“, der erste, 2:43minütige Teil des Intro’s, in dem die Band eine Soundcollage auf den Hörer loslässt, bestehend aus Verkehrs- und Jahrmarktlärm die in Hubschraubergeräusche und einer Explosion oder Donner münden und die Hektik des Alltags widerspiegeln. In diesem „Lärm“ tauchen kleine Soundschnipsel auf, die der „Sinfonie“, „Illegal“ und „Wir wollen sterben“ entnommen wurden. Dann setzt ein frischer Regen ein und Wellenrauschen ist zu hören. Es entwickelt sich eine gewisse Stille und Zufriedenheit, die auf den Übergang in die Phantasiewelt von „Rockpommel’s Land“ vorbereitet. Der Geschichte vom kleinen Ernie, der nach einer verhunzten Mathearbeit auf einem Papierflieger in die Phantasiewelt von „Rockpommel’s Land“ reist und die Kinder und ihren väterlichen Freund Mr. Glee befreit.

Vogelgezwitscher und eine sanfte Melodie, die auf einer Akustikgitarre gespielt wird, zeichnen den zweiten Teil des neuen Intros mit dem Titel „Before“ aus. Grobschnitt entwickeln hier eine ähnliche Atmosphäre, wie man es von Frankie Goes To Hollywood in ihrem Stück „Welcome To The Pleasure Dome“ vollbrachten. Motive aus dem Album werden hier in sanfter Form vorgestellt und entwickeln sich - sobald Willy hochzählt -, zu einem Energie geladenen Eingangsopus, der die ganze Kraft des Grobschnittsounds in sich vereint. Ein mitreißender Beginn, der auf Fast sechs Minuten das Album schon mal in einer unglaublichen Frische zusammenfasst und beim Hörer eine Gänsehaut erzeugt, die sich auch die nächste Stunde des Öfteren einstellen wird.

Und dann geht es mit „Ernie’s Reise“ in das Monumentalwerk und die hypnotische Wirkung des Albums macht sich schlagartig breit. Vom ersten Ton an zeigt sich, welch zeitloses Werk die Hagener Band da in den 70’ern komponierten. Mit dem bekannten lieblichen Glockenspiel geht es dann in „Severity Town“ über. Und auch hier haben die Hagener an einigen Stellen Nuancen verändert, die das Stück ein neues Gesicht verleihen, ohne die Essenz und Seele des Werkes zu verändern. Und genau das liebe ich an Neu- bzw. Liveinterpretationen, bei denen das Original nicht einfach eins zu eins nachgespielt wird, sondern durch eigene Variationen ein lebendiges neues Stück entsteht. Im Mittelteil ist hier eine erweiterte Straßenszene zu hören, die mit reichlich Straßenlärm und einem Unfall noch mal die Hektik der Stadt zeigt. Wer schon das Vergnügen hatte, dies live erleben zu dürfen, sieht bei dieser Szene sofort die Autofahrer, den Schutzmann und die auf die Bühne fliegenden Reifen vor seinem geistigen Auge.

Es folgt die immer schon unter die Haut gehende Ballade „Anywhere“. In dieser Fassung wird sie aber noch mal um einiges hinreißender vorgetragen. Erwähnenswert ist hier die an eine Steelguitar erinnernde Akustikgitarre sowie Willy’s leidenschaftlicher Gesang. Dann kommt mit „Stoney Dance“ ein cooles Zwischenspiel, bei dem auf der Bühne die Steinmenschen einen Tanz vollführen. Das ganze ist äußerst rhythmisch, bombastisch und bedrohlich, aber auch zugleich humorvoll angelegt. Bei diesen Klängen kommen auch sofort wieder die Bilder der Liveshow in Erinnerung.

Nach dem Auftritt der Steinmenschen geht es dann in das große, fast 22minütige Finale von „Rockpommel’s Land“, bei dem die Band noch mal alle Register zieht. Sehr schön ist die neue Perkussion-Passage, bei der Demian auf einer Trommel über die Bühne marschiert. Eigentlich ist nach dem Finale Schluss, doch Grobschnitt haben sich noch ein Bonbon für den Schluss aufgehoben. Mit „Beyond“ platzieren sie ein dreiminütiges, traumhaftes Outro ans Ende des Albums, das noch einmal eine melancholische, herzzerreißende Atmosphäre aufbaut. Die Stimmung vom Anfang wird hier noch einmal aufgenommen und endet in einer Szenerie aus „Lärm“, Vogelzwitscher und Wellenrauschen, die den Hörer wieder sanft in die Realität zurücklässt. Die Geschichte ist erzählt, die Lieder gesungen und das Licht geht aus.

Grobschnitt haben mit der modernen Interpretation von „Rockpommel’s Land“ ein Meisterwerk der deutschen Rockgeschichte in ein neues Zeitalter transportiert. Die Besucher bei den beiden Aufführungen in Hückeswagen und Hannover waren begeistert, doch diese Aufnahme wird die Freude der Musikfreunde im In – und Ausland noch einmal toppen. Klanglich, wie auch musikalisch ist dieses Album ein Highlight geworden. Ich empfehle die CD einmal über eine Surroundanlage oder einen Kopfhörer anzuhören, denn dann entwickelt das Album eine ungeheure Transparenz und Räumlichkeit. Ergänzt wird diese CD durch ein liebevoll gestaltetes, sehr schönes 32seitiges Booklet, das Linernotes, die Geschichte, Songtexte und zahlreiche Livebilder enthält.

Für mich ist dieses Album das Beste, was ich in der letzten Zeit gehört habe. Die Band hat sich seit „Grobschnitt 2008 Live“ noch einmal gesteigert. Ausnahmslos alle Akteure sind noch mal über sich hinausgewachsen und setzen ihrem 77’er Konzeptwerk ein würdiges Denkmal. Auch nach dem zehnten Hören stellt sich noch eine Gänsehaut ein und man ist geneigt nach dem letzten Ton die Repeat-Taste zu drücken. Es gibt nur wenige Werke, die dieses schaffen, „Grobschnitt 2010 Live“ gehört zweifelsohne dazu.

Stephan Schelle, Mai 2010