Interview von Winfrid Trenkler mit Milla Kapolke Ende Mai / Anfang Juni 1987

 

Trenkler:

Gut, kommen wir zu euch. Diese Band, die gibt es allerdings nun auch schon fast 10 Jahre (Anmerkung von mir: es sind fast 20 Jahre), soweit reichen die Anfänge zurück. Und seit ’81 spielen sie in konstanter Besetzung. Seit wann ist denn eure letzte Besetzung konstant? Frage an meinen Studiogast Milla Kapolke von Grobschnitt.

Milla:

Ja, ohne Wechsel sind wir seit 1985 zusammen. Der letzte neue Mann bei uns ist der Rolf Möller, unser Schlagzeuger, der früher auch bei einer Hagener Gruppe, nämlich bei Extrabreit getrommelt hat. Und seit dem sind wir konstant. Wir haben allerdings auch einige Leute dabei, die wirklich schon seit 17 Jahren bei Grobschnitt mitmachen.

Trenkler:

Ich wollt’s gerade sagen. Ihr habt eine Bandgeschichte, die übertrifft die der meisten anderen Bands. Seit 17 Jahren zusammen und immer noch mit mehreren Gründungsmitgliedern, das ist phantastisch. Milla, Du heißt eigentlich Michael und aus dem Michael wird meistens Micha. Warum ist bei Dir denn ein Milla draus geworden? Gibt’s einen besonderen Grund, oder gar keinen?

Milla:

Eigentlich nicht. Das ist einfach so eine Verballhornung. Also es gibt keinen besonderen Grund dafür.

Trenkler:

Und in Verballhornungen sind ja nun die Grobschnittmusiker groß, wenngleich man also aus den Nachnamen oder den Vor- und Nachnamen nicht unbedingt ableiten kann, was dann für Künstlernamen draus geworden sind, wie Lupo und Wildschwein etc. Aber das ist sicherlich vielen Grobschnittkennern bekannt und den anderen sei es halt nur gesagt, ohne daß wir noch mal lang drauf eingehen wollen. Euer neues Album "Fantasten", ich spiel‘s jetzt erst mal an und dann reden wir hauptsächlich darüber. Die Musik kommt samt und sonders heute von eurem neuen Album "Fantasten", das so beginnt:

Es werden "Auf dem Seil" und "Fantasten" gespielt

Trenkler:

"Fantasten - sind wir sowieso hungrige Herzen, Träumer unterm Eis". Sicherlich doch auch autobiografisch gemeint. Richtig Milla?

Milla:

Ja, wir identifizieren uns schon mit diesem Titel, weil wir glauben, daß es sehr wichtig ist, wenn man heute noch Fantast ist oder gerade wenn man heute Fantast ist. Denn viele Leute neigen ja dazu, in der heutigen Zeit eher zu resignieren, und das kann natürlich auch leicht passieren, wenn man sich das so anguckt, wie es im Moment so um uns herum aussieht. Aber ich glaube, daß es sehr wichtig ist, daß man noch Träume weiterträumt und auch sehr positiv weiterträumt und weiterdenkt.

Trenkler:

Wobei die einen träumen wie sie die .... wie sie Schönes hinzufügen können zudem was es gibt. Wobei andere sicherlich träumen, ja mehr ihren Verstand anstrengen, innovativ sind. Ich will nicht sagen, daß der Fortschritt der Wissenschaft im Traum stattfindet. Allerdings soll ja der Benzolring mal geträumt worden sein. Ich meine das Innovationstempo, somit also auch Veränderung hat ja unglaublich zugenommen. Nun gehört Ihr eben halt zu denjenigen, die, wie soll ich sagen, schönes, unterhaltendes der Kultur, alldem was wir hören können an Musik, ständig hinzufügen. Sag mal, wir waren vorhin bei dem Thema Wetter und dann spielte ich das Livealbum von Simple Minds. Wie ist denn das, wenn ihr auf Tournee seid? Und ihr habt gerade eine Mammuttournee hinter euch. Und ihr seid ja überhaupt eine der aktivsten Livebands, nicht nur in Deutschland, vielleicht überhaupt unter den Rockbands. Wie seid ihr vom Wetter abhängig? Ist es schöner, spielt ihr viel besser, wenn ihr an einem warmen Sommerabend irgendwo ein schönes Open-Air spielt, oder wenn eine Halle im Winter richtig kocht? Ist das genau so gut für die Musik? Erzähl mal ein bißchen.

Milla:

Ja es kommt natürlich eigentlich so ein bißchen drauf an, weil das ist auch von Ort zu Ort verschieden. Es ist natürlich wahnsinnig toll, an einem warmen Sommertag draußen zu spielen. Das ist so mit das schönste, was es überhaupt gibt. Vor allen Dingen, weil wir dann richtig unser Feuerwerk einsetzen können, immer wenn wir draußen spielen. In den Hallen ist es ja nicht ganz ungefährlich, bei unseren Shows. Aber wenn das Publikum richtig drauf ist, ist natürlich ein richtig tolles Konzert im Februar bei Schnee genau so gut. Die Halle muß natürlich geheizt sein.

Trenkler:

Wie war’s denn auf der letzten Tournee? Wieviel Konzerte? Ihr habt sie ja gerade erst hinter euch gebracht und Du bist ja eigentlich dabei, dich ein bißchen zu erholen.

Milla:

Ja, wir sind noch nicht ganz fertig. Wir spielen noch ein bißchen im Juni und im Juli auch. Aber wir haben eigentlich mit der Haupttournee in der letzten Woche aufgehört. Ich hab mal genau gezählt, es sind exakt 50 Konzerte gewesen. Die haben wir so seit Mitte März gemacht. Wir sind natürlich durch ganz Deutschland getourt. Und es war richtig viel Arbeit. Man muß auch dabei bedenken, daß ein Grobschnittkonzert nicht unbedingt vergleichbar mit so einem normalen Rockkonzert ist, wo ‘ne Band gerade mal die neueste LP vorstellt, sondern wir machen ja immerhin 3 ½-Stunden-Shows. Jeden Abend. Und das haut natürlich ganz schön rein.

Trenkler:

Wie lang ist denn "Solar Music" im Augenblick?

Milla:

Ja, das ist unterschiedlich. Aber es ist so zwischen 35 und 40 Minuten.

Trenkler:

Viele Grobschnittfans, nein, alle werden wissen, das "Solar Music" ein zentrales Stück ist, das sich im Laufe der Jahre verändert hat. Das sogar auch schon Mal als eigene LP herausgebracht wurde. Wir wollen es heute nicht spielen, sondern uns auf das neue Album "Fantasten" beschränken. Kannst Du etwas über den nächsten Titel "Film im Kopf" sagen ? Den Du ja im übrigen singst. Ja, sagte ich das schon, seit ’79 bist Du dabei, bist der Baßgitarrist und auch Sänger. Wildschwein ist der eine Sänger, der angestammte Sänger. Du bist, ohne daraus eine Rangfolge zu machen, der zweite Sänger.

Milla:

Ja, "Film im Kopf" ist einer der Titel der LP, bei dem wir uns so ein bißchen austoben konnten und ausgetobt haben. Er ist einer der längeren Titel, er dauert so über acht Minuten. Und da haben wir besonders unsere Phantasie spielen lassen und keine Rücksicht auf irgendwelche Strukturen genommen.

Es wird "Film im Kopf" gespielt

Trenkler:

"Film im Kopf" von Grobschnitt, gesungen von unserem Studiogast Milla Kapolke. Das ist ein Stück das eigentlich mehr den traditionellen Merkmalen von Grobschnitt entspricht, nämlich erzählend, Geschichten erzählend, ein bißchen träumerisch, ein bißchen verspielt zu sein. Ansonsten ist nämlich in den letzten Jahren, und besonders deutlich auf dem jüngsten Album - wie ich finde -, ein neues Element hinzugekommen, nämlich einfach bündigere Songs zu machen. Wenn man das mit einem Wort vielleicht so charakterisieren möchte. Ich weiß nicht, ob Du dem zustimmst Milla.

Milla:

Ja das kann man sagen. Wir haben in den letzten Jahren angefangen mehr songhafte Strukturen aufzunehmen. Das ist schon durchaus richtig.

Trenkler:

Warum hat es drei Jahre gedauert, daß ihr eine neue Studioplatte herausgebracht habt? Ihr habt ja das Livealbum, das war "Solar Music Live" .... das kam wann heraus? Im vorigen Jahr?

Milla:

Das war 1985.

Trenkler:

’85 schon. Aber studiomäßig habt ihr Abstinenz geübt. Warum?

Milla:

Ja es hat zwei Gründe gehabt. Zum einen wollten wir die Live-LP herausbringen und zum anderen hat es zwei Wechsel gegeben. Wir haben einen neuen Schlagzeuger und einen neuen Keyboarder dabei gehabt. Und wir geben uns mit der Einarbeitung dieser Leute immer sehr viel Mühe. Das heißt, sie kommen da nicht in so ein fertiges Konzept rein, wie es vielleicht bei anderen Bands der Fall ist, sondern die werden voll musikalisch aufgenommen und die können sich dann auch voll innerhalb der Band verwirklichen. Zum anderen haben wir sehr, sehr viel getourt in den letzten Jahren. Also noch mehr als in den Jahren davor, als wir nur relativ wenige Konzerte in großen Hallen gemacht haben, sind in den letzten Jahren auch wieder richtig über die Dörfer gegangen und haben eigentlich überall gespielt. Wir haben neue Titel komponiert. Zum Teil konnten wir uns entscheiden, sollen wir ins Studio gehen oder sollen wir weiter live spielen. Und wir haben dann einfach weiter live gespielt und haben die neuen Titel zum großen Teil mit in unser Liveprogramm genommen und haben die den Leuten dann präsentiert, ohne das sie die überhaupt gekannt haben. Wir haben so ein richtig tolles Auswahlsystem gehabt. Also es sind nicht alle Titel auch auf die LP gekommen. Und ich hab richtig gemerkt, wie die Titel wachsen, wenn man sie live spielt. Ich hab das gerade auch noch mal an dem Titel "Film im Kopf" gemerkt. Ich hab zum ersten Mal seit langer Zeit die Platte wieder gehört. Ich hab die Platte zum letzten Mal angehört, bevor wir auf Tournee gegangen sind. Und ich kenn‘ nur die Liveversion. Ich war sehr überrascht, wie sich das gegenüber der Platte inzwischen verändert hat. Man merkt also schon, wie Musik und Stücke live wachsen. Und wir haben das dann im Auswahlsystem gehabt und haben dann praktisch das Livegefühl, bei diesen Titeln zumindest, auch versucht auf die neue LP "Fantasten" rüberzubringen.

Trenkler:

Ihr habt gewissermaßen das Publikum auch testen lassen.

Milla:

Ganz genau, ja.

Trenkler:

Welches Publikum hat diesen Test ausgesponnen, mit anderen Worten, wie ist denn euer Publikum in der letzten Zeit beschaffen? Bei einer Band, die 17 Jahre existiert, die fast eine Band der ersten Stunde ist, wenn man die deutsche Rockgeschichte ansieht, muß man das ja fragen, weil ja wahrscheinlich ein paar Abgänge zu verzeichnen sind. Inzwischen kommen also neue hinzu. Wie sieht euer Publikum zur Zeit bei euch aus?

Milla:

Ja sehr bunt. Eigentlich genau wie Du sagst. Es gibt einige von den sogenannten älteren Fans, die also schon seit langer Zeit dabei sind. Aber von ganz früher gibt es eigentlich nur noch sehr wenige, die Grobschnitt treu geblieben sind. Wenn man noch soviel Zuschauer haben will, wie wir sie zum Glück immer noch haben, dann muß natürlich ‘ne ganze Menge neue Leute und auch ‘ne ganze Menge an jüngeren Leuten dazukommen. Und das ist uns, im Gegensatz vielleicht zu anderen Bands aus der Zeit, zum Glück immer gelungen. Warum es so ist, weiß ich auch nicht.

Trenkler:

Die Beatles sind älter als ihr, ich meine jetzt persönlich. Die Stones sind älter als ihr und auch deutsche Gruppen, Can zum Beispiel, sind älter als ihr, aber man kann sich ausrechnen, daß ihr auch Nachwuchs in die Welt gesetzt habt. Wie ist denn das? Sind denn die Kinder .... oder sind sie meinetwegen schon so alt, ich frage deshalb, weil ich also jüngstens das sehr putzig fand, wie ein Kollege von mir, der mir von seinem Sohn erzählte, der nun schon in der Mitte zwischen zehn und zwanzig ist, der sich allerdings nun überhaupt nicht für das interessiert, wovon sein Vater lebt. Der Vater ist Rockschreiber und der Sohn interessiert sich nur für klassische Musik und spielt klassische Musik. Ich glaube es war Flöte. Und das ist natürlich ein Kuriosum. Wie sieht denn das bei euch aus? Interessieren sich eure Kinder für das, was die Väter machen, und finden die das toll, oder sind die noch nicht soweit, oder mögen die zum Beispiel auch Klassik mehr als Rock?

Milla:

Also ich kann es nicht ganz genau für alle sagen. Ich glaub sie interessieren sich natürlich schon für das, was wir machen, aber es ist eigentlich gar nicht anders, als bei anderen Kindern auch. Ich habe meinen Sohn auch jetzt beim letzten Konzert zum ersten Mal auf dieser Tournee mitgehabt, weil es ist natürlich sehr laut für kleine Kinder. Mein Sohn ist sechs Jahre alt. Ich nehme ihn eigentlich nicht so gerne in Rockkonzerte mit, wie gesagt, allein schon wegen der Lautstärke, und die Ohren von Kindern sind ja noch sehr empfindlich. Aber sie kriegen natürlich schon sehr viel mit. Und sie merken natürlich auch, wenn wir unterwegs sind, aber wir versuchen doch unser Familienleben soweit wie möglich noch mit unserer Tournee zu verbinden. Es ist zum Beispiel so, daß wir immer, wenn wir nicht mehr als 200 oder 300 Kilometer von Zuhause weg sind, dann fahren wir jede Nacht noch nach Hause um am nächsten Morgen wenigstens ein bißchen mit den Kindern spielen zu können.

Trenkler:

Vielleicht kommt die Frage, die ich eben stellte, noch ein bißchen früh. Vielleicht, wenn ihr 20 Jahre zusammen seid, oder wenn ihr 23 Jahre zusammen seid, dann können wir uns wieder sprechen. Dann greifen wir diese Frage wieder auf. Milla, bevor ich Dich hier entlassen möchte ... Der nächste Titel heißt übrigens auch "Der Weg nach Haus", und Du hast es ja nicht allzu weit. Ihr seid in Hagen und um Hagen herum Zuhaus. Identität ohne Erstarrung, Wandel ohne Modeschnickschnack, denn ihr seid nie den Trends nachgelaufen. Wie schafft ihr das? Worauf achtet ihr am meisten?

Milla:

Ja, wir versuchen einfach nicht starr zu sein, wir versuchen offen zu sein. Das ist eigentlich für uns sehr wichtig, auch offen für musikalische Entwicklungen. Für alles Neue haben wir ein offenes Ohr und wir haben nicht den gleichen, exakt den gleichen Musikgeschmack, den wir halt vor 10 Jahren gehabt haben. Und wir versuchen das auch alles irgendwie zu assimilieren, was wir hören und mit aufzunehmen. Wir haben eigentlich kein starres Konzept. Unser Konzept ist, daß wir eigentlich gar kein Konzept haben. Damit haben manche Leute Schwierigkeiten. Es gibt auch Leute, die eine alte LP unheimlich toll fanden und dann die nächste LP fürchterlich finden, weil sie dann etwas ganz anderes erwartet haben. Wir haben vielen Leuten schon vor den Kopf gestoßen, in unserer Zeit, aber das ist uns eigentlich egal, weil wir machen immer das, was uns im Moment Spaß macht. Wir versuchen sehr stark in der Gegenwart zu sein.

Trenkler:

Komm gut nach Hause. Schönen Gruß an die anderen. Hier ist der letzte Titel eures neuen Albums "Fantasten". Grobschnitt mit "Der Weg nach Haus". Vielen Dank Milla.

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