Interview am 14.07.85 mit Milla Kapolke in der Sendung Querfunk des Saarländischen Rundfunks

 

Milla:

Ja hallo, schönen guten Tag. Hier ist der Milla Kapolke von der Gruppe Grobschnitt und ich wollte gleich ein bißchen was von unserem 15jährigem Bühnenjubiläum erzählen.

Q:

Ja Milla, Du hast es eben schon angesprochen, Du bist heute aus dem Anlaß hier, daß Deine Gruppe, zu der Du gehörst, 15jähriges Jubiläum feiert. Und da habt ihr euch ja auch etwas ganz besonderes ausgedacht, ihr seid nämlich auf Tournee gegangen. Vielleicht kannst Du am Anfang ein bißchen erzählen, was bei dieser Tournee überhaupt vor sich geht.

Milla:

Naja, also der Titel dieser Tournee ist 15 Jahre Grobschnitt-Jubiläum. Wir haben das so geplant, daß wir nicht auf der Bühne feiern wollen. Wir sind ja eigentlich sehr bekannt dafür, daß wir eine Livegruppe sind und das wir Live immer sehr viel los machen. Wir spielen sehr lange, schon seit jeher. Diesmal sind es wieder fast 3 Stunden. Und was ja auch einigen zumindest bekannt sein sollte, ist, daß wir auf der Bühne nicht nur Musik machen, sondern daß wir auch sehr viele andere Einlagen geben. Bei uns läuft also nebenbei noch viel ab. Theater, wir verkleiden uns, die Roadies müssen alle mit auf die Bühne, wir machen zwischendurch Sketche und, naja diese anderen optischen Sachen, Feuerwerk usw. Und das bezieht sich diesmal hauptsächlich auf unsere 15 Jahre, das heißt musikalisch bieten wir einen Querschnitt durch die ganze Zeit. Wir haben 11 LP’s gemacht, da ist einiges zusammen gekommen, da kann man so ein Greatest-Hits-Programm spielen. Sonst werden hauptsächlich lustige Sachen ablaufen. Wir wollen also richtig feiern, es soll eine richtig schöne Geburtstagsfete werden, wo auch das Publikum mit einbezogen wird. Wir haben jetzt schon 30 Konzerte auf der Tour gemacht, und es ist eigentlich richtig toll gewesen. Uns macht es richtig Spaß und ich glaub, den Leuten auch.

Q:

Du hast eben gesagt, unsere 15 Jahre Grobschnitt-Vergangenheit. Du bist ja meines Wissens erst seit ’79 bzw. ’80 dabei.

Milla:

Hmhm.

Q:

Welche Probleme ergeben sich denn eigentlich aus dieser Tatsache? Bist Du da in gewisser Weise mit einer Vergangenheit der Gruppe konfrontiert, die Dir gar nicht bewußt ist?

Milla:

Am Anfang, als ich zu Grobschnitt gekommen bin, dachte ich eigentlich, daß man jetzt irgendwie in so’n festen Rahmen rein kommt. Ich meine, ‘ne Gruppe wie Grobschnitt, schleppt immer ‘ne Vergangenheit mit sich ‘rum. Es gibt alte Fans, die mehr die ganz alten Sachen hören wollen. Und dann gibt es da welche, die nur auf die neuen Sachen stehen. Aber was das Gute an der Gruppe ist, und ich bin ja nicht der einzige Neue in der Zeit, daß jeder Neue wirklich voll akzeptiert wird. Das habe ich auch bei den anderen gemerkt, die noch nach mir gekommen sind. Es wird also nie gesagt: "Wir sind Grobschnitt. Wir haben den Stil, mit dem sind wir einigermaßen bekannt geworden und danach hast Du Dich zu richten. Weil so hat Dein Vorgänger gespielt und so spielst Du jetzt auch.", sondern jeder wird voll integriert und jeder kann sich selbst auch verwirklichen. Ich hab nie irgendwie einem Stil nachfolgen müssen, sondern ich hab mich von vornherein voll einbringen können und konnte auch voll mitarbeiten. Das finde ich eigentlich auch richtig gut.

Q:

Könnte man das dann so zusammenfassen, daß man sagt: "Grobschnitt hat keine Tradition die aufrecht erhalten wird", oder ist das schon wieder das andere Extrem?

Milla:

Das ist nicht das andere Extrem. Ich sehe es eigentlich so. Das wirst Du auch merken, wenn Du die LP’s vergleichst. Die erste LP, die vor 15 Jahren gemacht worden ist, hat eigentlich mit der letzten LP musikalisch überhaupt nichts mehr zu tun. Aber es ist auch dazwischen nicht so, wie es bei vielen anderen deutschen Gruppen wohl ist, die wirklich einen Stil über Jahre hinweg durchziehen, was auch wiederum für einige, die eine LP richtig gut gefunden haben, manchmal richtig schwierig ist. Weil danach machen wir oft was ganz anderes. Es ist also wirklich sehr bunt bei uns. Das fängt an, daß wir früher englisch gesungen haben, inzwischen deutsch singen. Aber auch musikalisch haben wir früher häufig sehr diese sehr langen Songstrukturen gehabt, also 20-Minuten-Stücke, während wir heute auch mehr Songs machen ... soundmäßig sind wir auch aktueller und es haben wirklich auch immer einige Leute Schwierigkeiten mit unserer Sprunghaftigkeit. Wir haben eigentlich auch kein Konzept, was wir durchziehen.

Q:

Querfunk. Rock und Infos am Sonntagnachmittag auf der Studiowelle Saar. Heute Rock von Grobschnitt und Infos zu Grobschnitt. Milla Kapolke ist im Studio. Und an ihn jetzt die Frage, wie er denn eigentlich vor sechs Jahren zu der Gruppe dazugestoßen ist.

Milla:

Also ich kannte die Gruppe natürlich. Das liegt schon daran, daß ich aus der gleichen Stadt komme, aus Hagen, wo alle Grobschnittleute herkommen.

Q:

Ist das ein Muß?

Milla:

Ist kein Muß, nee. Aber es ist ... es hat sich ansich bewährt, das heißt, wir hatten zwischendurch Leute die bei uns mitgespielt haben, die von sehr weit weg kamen und die jedes Mal zum Üben Anreisen mußten. Also unser letzter Keyboarder ist aus Bremen gekommen, der mußte jedes Mal nach Hagen fahren. Und das bringt doch auf Dauer, vor allen Dingen wenn er seine Frau in Bremen hat und die ist gerade unabkömmlich, kann also nicht nach Hagen ziehen, das bringt also unwahrscheinlich Probleme auf Dauer mit sich. Insofern ist es uns schon ganz lieb, wenn ... also unser Schlagzeuger kommt zum Beispiel aus Dortmund, müssen nicht alle aus Hagen sein, aber es ist schon ganz gut. Unsere ??? sind auch, was die Mentalität betrifft, also diese Ruhrgebietsmentalität, die vor allen Dingen auch in unserer Show zum Teil zum tragen kommt. Da muß man auch schon ‘ne gewisse Art von Humor haben.

Q:

Jetzt bin ich von der eigentlichen Frage ein bißchen abgeschweift bzw. wir beide sind es. Wie war das vorher mit Grobschnitt gewesen? Oder wie bist Du zur Gruppe gestoßen?

Milla:

Ja ich persönlich hab halt gehört - ich bin ja Bassist der Gruppe – daß der Bassist damals ... das sie einen neuen Bassisten gesucht haben, und ich kannte – wie gesagt – die Gruppe, weil ich aus Hagen war. Ich muß allerdings zugeben, daß ich mich nicht sonderlich dafür interessiert habe, weil ich komm musikalisch nicht unbedingt aus dieser Deutschrockrichtung. Ich kenne auch heute wenige von diesen älteren deutschen Gruppen, fand aber von Grobschnitt was ich kannte, eigentlich immer recht gut. Und ich hab dann halt gefragt ob ich mitmachen könnte und bin dann als Bassist eingestellt worden. War eigentlich ‘ne ganz einfache Sache.

Q:

Die erste LP, die Du mit Grobschnitt gemacht hast, war "Illegal". War das eine Art Radikalisierung von Grobschnitt?

Milla:

Das sagen viele bei fast allen LP’s, die aufeinander folgen, weil zum Beispiel "Rockpommels Land" war auch schon wieder sehr anders, als das, was davor war. Allerdings war "Illegal" schon ein Schnitt in eine andere Richtung. Ob ich da was mit zu tun hab oder nicht, weiß ich gar nicht. Ich hab mich von Anfang an textlich immer sehr engagiert. Hab auf "Illegal" auch eine ganze Menge Texte geschrieben. Inzwischen schreibe ich die Texte alle für die Gruppe. Es war für viele ein Stilwechsel, der mehr in Richtung härtere Sachen gelaufen ist. Es ist ein bißchen von dem sehr pompösen Rock, der vorher gemacht wurde, weggegangen. Es ist ein bißchen straighter geworden, seid "Illegal" eigentlich. Ob das so ein starker Stilwechsel ist, ich weiß es nicht. Es ist immer sehr sehr schwer zu sagen, wenn man selber drinsteckt.

Q:

Ja jetzt mal ganz allein auf die textliche Aussage bezogen, ist es danach eine Radikalisierung?

Milla:

Zum Teil ja. Es sind andere Inhalte reingekommen. Also diese "Illegal"-LP und danach die "Razzia"-LP sind eigentlich so, ich möchte mal sagen, unsere politischste Phase gewesen. Mit der letzten LP ist es wieder anders gewesen, mit der "Kinder und Narren"-Sache. Das ist auch ‘ne Phase gewesen, wo wir meinten, wir sollten auch mal ein bißchen was konkretes sagen, ein bißchen die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisieren. Das ist also vorher in diesem Maße nicht so drin gewesen. Da waren die Texte vielleicht ein bißchen abstrakter, ein bißchen abgehobener. Sie sind sehr konkret geworden. Aber das fanden wir alle auch zu der Phase richtig gut, es war also nicht mein Einfluß gewesen, sondern da hat in dem Augenblick die ganze Band wirklich hinter gestanden.

Q:

Tja, wenn man sich die bislang noch aktuelle Grobschnitt-LP "Kinder und Narren" anschaut, dann könnte man meinen, Grobschnitt seien älter und melancholischer geworden. Wie steht denn Milla Kapolke dazu?

Milla:

Weiß ich nicht. Das kann sich bei der nächsten LP wieder völlig ändern. Das war einfach mal ein Bedürfnis diese Thematik anzuschneiden. Es ist nicht so ... Bei uns ist das so unser Stil, es ist mal eine LP, die .... Du sagst jetzt älter geworden, aber sie liegt doch sehr nah bei den LP’s, die wir davor gemacht haben, vor dieser politischen Phase, die ich vorhin genannt hab. Sie sind also inhaltlich sehr nah an dieser "Rockpommels Land"-Phase, die 1977 war, die eigentlich noch wesentlich romantischer war, also wesentlich märchenhafter war. Und wir hatten einfach mal wieder Lust, nachdem die LP’s davor einzelne Titel hatten, abgeschlossene Titel hatten, zwar so eine Thematik hatten, so einen roten Faden wie diese "Illegal"-Geschichte hatte, da hatten wir mal wieder Lust ein richtiges Konzeptalbum zu machen mit einer Phantasiegeschichte - Fantasystory – . Das haben wir bei "Rockpommels Land" eigentlich auch schon gemacht. Und die LP zum Beispiel und auch einige LP’s davor sind wiederum wesentlich weicher gewesen als diese "Kinder und Narren"-Geschichte.

Q:

Tja Milla, Du nennst Dich bei Grobschnitt Milla, es ist aber nicht Dein gebürtiger Name. Und auch die anderen Gruppenmitglieder haben eigentlich recht interessante und seltsame Namen. Vielleicht kannst Du an dieser Stelle erstmal die anderen, die nicht da sind, vorstellen und dann im Nachhinein auch erklären, wie es zu diesen einzelnen Namen gekommen ist.

Milla:

Ja also, da ist zuerst mal der Lupo an der Leadgitarre; dann der Mann mit dem sehr schönen Namen Willi Wildschwein, das ist unser Sänger, spielt Saxophon und auch Gitarre, also fast Multiinstrumentalist; dann der Toni Moff Mollo, der singt auch und macht Licht; dann Tarzan Waßkönig, das ist unser neuer Keyboarder, der ist seit einem Jahr dabei; und am Schlagzeug der Peter Jureit. Naja, mit den Namen, das ist so eine Sache. Wir sind eine Gruppe, die das von Anfang an so gemacht hat, nicht die echten Namen, also die Familiennamen zu nehmen, sondern uns auch auf der Platte so zu nennen, wie wir uns selber nennen. Das heißt also, der Lupo heißt bei uns wirklich Lupo und Wildschwein wird bei uns auch nur Wildschwein genannt. Ich habe am Anfang die ersten zwei Jahre, wo ich dabei war, gar nicht gewußt, wie sie überhaupt richtig heißen.

Q:

Die sind also durch bestimmte Rollen zu ihren Namen gekommen?

Milla:

Ja, das sind im Grunde die sogenannten Spitznamen, die man schon in der Schule hat. Jeder hat ja mal irgendwann irgendwelche Namen gehabt, die meisten jedenfalls. Und wir haben das einfach übernommen. Es ist also nicht so, wenn jemand zu Grobschnitt kommt, dann muß er erstmal so einen verrückten Namen kriegen. Das ist keine Masche, das sind die wirklichen Namen, die sie mal irgendwann gehabt haben. Unser Schlagzeuger heißt zum Beispiel Peter Jureit, da haben wir uns nicht hingesetzt und haben gesagt, du mußt jetzt erstmal .....

Q:

Peru heißen oder so.

Milla:

... ja, irgendwie so’n wahnsinnigen Namen kriegen, sondern wenn uns keiner einfällt, dann lassen wir es auch sein.

Q:

Vor ein paar Jahren hat euch der Joachim Ehrig verlassen, der seinerzeit Eroc hieß. Da warst Du ja schon einige Zeit bei der Gruppe dabei. Ich glaub das war doch ‘ne recht entscheidende Veränderung in der Gruppe.

Milla:

Ich glaub weniger in der Gruppe, als vielmehr für unsere Fans, wenn ich mal so sagen darf - Fans ist immer so ein blödes Wort -, aber für Leute, die sich eben an uns gewöhnt hatten, und die uns oft gesehen hatten, weil der Eroc ist hauptsächlich live doch eine zentrale Figur für Grobschnitt gewesen und hat auch die Gruppe - gerade showmaßig und inhaltlich - sehr geprägt. Er hat also früher die meisten Texte geschrieben und hat, gerade was die ganze Show betrifft, unwahrscheinlich viel gemacht. Musikalisch ist es natürlich ein Schnitt gewesen, aber er ist halt in der Band Schlagzeuger gewesen und hat musikalisch nicht diese Rolle gespielt. Das heißt, er hat die Rolle wie jeder Schlagzeuger gespielt, die immens wichtig ist, aber er ist bei Grobschnitt nicht unbedingt der prägende Mann gewesen. Und so ist es für uns nicht dieser wahnsinnige Einschnitt gewesen. Wir wußten zudem sehr früh, daß er aufhören wollte. Es ist nicht irgendwie ...

Q:

.. von einem Tag auf den anderen ...

Milla:

Ja, und es ist auch nicht irgendwie in der Form von Krach oder sowas gekommen, sondern er hatte einfach irgendwann mal keine Lust diese nervenaufreibenden, für ihn, für mich nicht, Tourneen zu machen. Weil es muß einem auch wirklich einfach Spaß machen, und wir touren ja wie verrückt. Wir sind ja jedes Jahr wirklich immer sehr lange unterwegs. Seine ganze Leidenschaft ist eigentlich die Studioarbeit. Er hat ja auch unsere beiden vorletzten LP’s produziert, die wir im eigenen Studio aufgenommen haben. Er ist eigentlich immer ein Soundtüftler gewesen. Er hat zudem auch immer seine Solo-LP’s gemacht, er hat ja schon vier Solo-LP’s gemacht und er wollte sich eigentlich ganz auf sein Studio konzentrieren. Er hat mit einem Freund zusammen bei uns in Dortmund ein Studio, produziert da inzwischen auch ‘ne ganze Menge andere Gruppen und ist eigentlich nur glücklich, wenn er an seinen Knöpfen sitzen kann. Das ließ sich mit Grobschnitt einfach nicht verbinden. Wenn man Grobschnitt macht, kann man gar nichts anderes nebenbei machen, weil das ist eine Arbeit, die einen wirklich im Grunde 24 Stunden am Tag beschäftigt, was auch wiederum daran liegt, daß wir wirklich alles selbst machen, bis ins letzte Detail. Wir haben keinen Manager, wir haben auch keinen, der uns irgendwas außerhalb der Band sagt. Das heißt, das geht also von den Konzerten, die wir selber machen – die ganze Tournee veranstalten wir selber – bis zu allem, was dazu gehört, wie Promotion, Plakatentwürfe, die Platten machen wir bis ins Detail selber. Das gilt also auch für die Cover usw.

Q:

Wenn man sich Grobschnitt von Anfang an anschaut, die Ursprünge der Gruppe, die liegen ja fast schon in den Mit-, Endsechzigern. Da ist im Laufe der Zeit eine unheimliche Mitgliederfluktuation abgelaufen. Leute sind gekommen, Leute sind gegangen, trotzdem wird immer noch unter dem Namen Grobschnitt gearbeitet. Ist das eigentlich jetzt schon mehr ‘ne Institution, oder warum hält man immer noch an dem Namen fest? Als der Eroc zum Beispiel gegangen ist, hätte es ja eine Möglichkeit gegeben, den Namen zu ändern.

Milla:

Im Grunde sind gewisse Dinge die Grobschnitt ausmachen, immer noch gleich. Das heißt also, wenn wir ‘ne ganz andere Sachen machen würden, würden wir den Namen vielleicht auch weggeben. Aber das Projekt Grobschnitt oder die Idee von Grobschnitt, die behalten wir immer noch bei und da stehen wir auch immer hinter. Da sind auch nie einzelne Leute so wahnsinnig wichtig gewesen. Wir haben noch zwei Leute dabei, Lupo und Wildschwein, die wirklich von Anfang an dabei sind, die auch sehr, sehr wichtig sind. Wildschwein ist halt der Sänger, die Stimme von Grobschnitt. Der Toni ist auch schon fast von Anfang an dabei. Es sind also hauptsächlich immer die Bassisten, ich bin jetzt der dritte Bassist, innerhalb von 15 Jahren eigentlich auch gar nicht so viel. Wir haben auch jetzt den dritten Keyboarder, das ist auch so wahnsinnig viel nicht. Also immer auf die lange, lange Zeit, denn es gibt, wenn ich sage, ich bin sechs Jahre bei Grobschnitt, es gibt viele Gruppen, die es gar nicht sechs Jahre gibt. Die bestehen gar nicht sechs Jahre. Das wäre schon eine alte Gruppe. Und bei Grobschnitt gehöre ich immer noch zu den Neuen.

Q:

Ja, Du hast es vorhin schon angesprochen, Milla, daß bei euch ein gewisser, sagen wir sogar ein recht großer Unterschied besteht, zwischen der Präsentation auf Platte und der Präsentation Live. Wenn man‘s negativ formulieren will, dann würde man sagen, da ist ‘ne Diskrepanz und es wird sich kaum einer ‘ne Platte von Grobschnitt kaufen, der nicht vorher ein Konzert gesehen hat. Es ist eigentlich umgekehrt, diejenigen, die im Konzert waren, die kommen dann auf den Dreh und sagen, da wollen wir ‘ne Platte. Und die können dann mittels Platte das auch nachvollziehen, was sie live gesehen haben. Aber ich glaube, umgekehrt ist das sehr schwierig.

Milla:

Ja, das mag vielleicht auch daran liegen, daß wir Musik machen, die so einfach nicht konsumierbar ist. Das heißt, wir sind also ‘ne Gruppe, die nie irgendwie ‘nen großen Hit gehabt hat, oder auch nie irgendwie großartig daraufhin gearbeitet hat einen Hit zu haben. Wir sind immer eher eine LP-Gruppe gewesen. Wir sind auch ‘ne Gruppe gewesen, deren Musik man sich auch doch ziemlich genau anhören muß. Wir sind auch nie so medienpräsent. Wir werden also nicht jeden Tag im Radio gespielt, was ich auch wiederum zum Teil ein bißchen verstehen kann. Wir machen also keine "easylistening-Musik". Wir sind im Prinzip ‘ne Liveband, zumindest ist das in erster Linie unser Ruf. Wer uns live gesehen hat und gesehen hat, wie wir auch die Musik rüberbringen, der kriegt unter Umständen auch erst den richtigen Bezug dazu. Wenn man Grobschnitt nicht live gesehen hat, woher soll man sie auch kennen? Ich meine, im Radio hör ich sie selber kaum.

Q:

Sind die Platten denn so eine Art Nebenprodukt?

Milla:

Eigentlich nicht. Die Platten sind uns schon wichtig und die Platten beinhalten natürlich auch die Musik, die wir live spielen. Aber es ist natürlich auch unwahrscheinlich schwer, das Gefühl, was man live hat, auf ‘ner Platte rüberzubringen. Es gibt ja manche Gruppen, die sind stärker auf Platte, und wenn sie live spielen, schaffen sie es kaum das auch zu verwirklichen, während es bei uns eigentlich genau umgekehrt ist. Wir sind, glaube ich, stärker auf der Bühne als auf Platte. Aber wir versuchen es mit jeder Platte erneut, das Feeling rüberzubringen, aber es ist verdammt schwer.

Q:

Ein Kritiker hat mal nach einem eurer Auftritte geschrieben: "... eine monströse Freakklamotte". Wie stehst Du denn zu dieser Umschreibung? Oder, vielleicht kannst Du in dem Zusammenhang auch mal ein bißchen auf die Livekonzerte eingehen.

Milla:

Das ist natürlich so’n Image, mit dem man im Grunde seit Jahren leben muß. Das kommt also auch noch aus alten Zeiten, aus was weiß ich. Als Grobschnitt wird man mit gewissen Bildern verbunden, so "Hippieband" oder "Freakklamotte", oder was weiß ich ... oder "Krautrockband aus der Anfangszeit". Wir sind schon sehr verrückt, das ist schon wahr. Wir sind auch eigentlich für viele Leute kaum einzuordnen. Es ist natürlich so, daß irgendwelche Kritiker immer irgendwelche Bilder und Schubladen brauchen, in die man so eingeordnet wird. Und der eine sieht das dann so, je nachdem. Einige sagen, das ist "alter Hippiekram", was die da machen, oder was weiß ich. Wenn die da mit Feuerwerk arbeiten oder diesen ganzen Bomben, die wir explodieren lassen, sagen einige das ist out. Angesagt sind halbstündige Bands, die wie in der New Wave-Zeit ihre Sachen runterrattern und schnell machen. Wir arbeiten natürlich auch mit ganz anderen Elementen. Wir machen auch sehr viel langsame und ruhige Stücke. Wir spielen auch heute noch ältere Nummern.

Q:

Da gibt es ja ein Stichwort, die "Solar Music", ist die immer noch im Programm?

Milla:

"Solar Music" ist immer noch im Programm, dauert auch immer noch 30 Minuten. Das ist natürlich auch so’n Ansatzpunkt für viele, weil die einfach sagen, das ist ‘ne überholte Sache, sowas macht man heute nicht mehr. Aber das ist uns im Grunde auch völlig egal, weil wir fühlen uns in gewisser Hinsicht auch irgendwie zeitlos, was das betrifft. Wir wollen uns nie nach dem richten, was gerade angesagt ist. Obwohl, und wie gesagt, selbst "Solar Music" hat mit dem "Solar Music", was es 1979 mal auf ‘ner Platte gegeben hat, überhaupt nichts mehr zu tun. Das ist ein Stück, das wir jedes Jahr, bevor wir auf Tournee gehen, völlig überarbeiten. Und inzwischen ist das so überarbeitet, daß es mit der Platte überhaupt nicht mehr übereinstimmt. Aber auch die Version, die wir dieses Jahr spielen, ist wieder eine völlig andere, wie die, die wir letztes Jahr gespielt haben.

Q:

Damit erübrigt sich für mich wieder die Frage: "Wie kommst Du an "Solar Music", wenn Du erst ’79 dazugekommen bist?" Das muß ja auch gewisse Schwierigkeiten gehabt haben, das in sich zu projizieren.

Milla:

Jaja, aber das wird also jedes Jahr, auch wenn neue Leute dabei sind .... die können dann also alles voll mit einbringen, weil das natürlich ein Stück ist, was zum Teil auch von der Improvisation lebt. Und selbst die festen Teile, innerhalb des Stückes, werden immer wieder überarbeitet, immer wieder neu gestaltet.

Q:

Dann gab’s ja zwischendurch auch etwas sehr obskures, das man Neue Deutsch Welle genannt hat. Wie ist denn Grobschnitt mit der fertig geworden?

Milla:

Erstmal fanden wir es richtig gut, daß es sowas gegeben hat. Und zwar, daß deutsche Gruppen endlich auch mal bekannt geworden sind. Bis dahin gab’s ja nur drei, vier deutsche Gruppen, die man nennen konnte, die überhaupt auch mal ‘ne Platte verkauft haben oder wo Leute ins Konzert gegangen sind. Das hat sich durch die Neue Deutsche Welle unwahrscheinlich verändert. Es ist auch ein gewisser frischer Wind rein gekommen. Musikalisch gesehen ist ein großer Teil, was in der Neuen Deutschen Welle gelaufen ist, für uns nicht besonders interessant gewesen, obwohl ich das nicht kritisieren will. Es ist halt zum Teil auch eine andere Richtung gewesen, was ich mal zum Teil als Schlager oder sowas bezeichnen will, was auch durchaus ok ist. Aber wir sind auch schon von der ganzen Zeit mit ein bißchen beeinflußt worden. Wir haben nie dazugehört. Obwohl, wer uns nicht kennt, der glaubt immer, Grobschnitt wäre eine Gruppe der Neuen Deutschen Welle. Das muß wohl am Namen liegen. Wir sind eigentlich nie dabei gewesen, sind auch nie irgendwie mit hoch- oder runtergespült worden. Wir sind eigentlich noch nie Teil irgendeiner Welle gewesen, was ich persönlich auch richtig gut finde. Wir sind mehr so ‘ne Dauerbrennergeschichte. Das heißt, viele Gruppen der Neuen Deutschen Welle, wie es so mit Wellen ist, die gehen mal so ganz hoch und dann versanden sie mal, während wir eben seit 15 Jahren ...

Q:

... konsequent und konstant ...

Milla:

... konsequent dabei sind. Und je höher man kommt, je tiefer kann man auch fallen und wir sind also nie irgendwie großartig dagewesen. Das ist auch die Gefahr, die man hat, wenn man mal einen Hit oder sowas hat und man ganz oben ist, das man dann immer mit neuen Sachen nachfolgen und nachkommen muß. Und wir können kontinuierlich unsere Sachen machen, die wir wollen, sind dadurch auch ziemlich unabhängig von der Industrie.

Q:

Was für ‘ne Erfahrung war das denn jetzt plötzlich, der Urvater eines Hits zu sein?

Milla:

Och, es war eigentlich ganz interessant, weil beide Titel eigentlich für uns überhaupt nicht die Single waren, auf beiden LP’s nicht. Wir hatten also mit ganz anderen Titeln gerechnet. Es war eigentlich schon ein komisches Gefühl, wenn man sich auf einmal so oft im Radio hört, oder wenn man auch mal so ein paar Fernsehsendungen hat. Aber ich meine, die Superhits sind es ja zum Glück eigentlich auch nicht gewesen, also das man eventuell so Nachfolgehits machen würde. Wenn "Wir wollen leben" ein Superhit gewesen wäre, dann wären wir auf einmal bestimmt in so einer, was weiß ich, in so einer Umweltschiene gewesen. Wir hätten dann als nächste Single "Wir wollen immer noch leben" machen müssen, oder was weiß ich. Ich meine, so finde ich es ganz gut. Wir sind unabhängig davon, wir können natürlich jetzt auch weiterhin machen, was wir wollen. Obwohl "Silent Movie" und "Wir wollen leben" ja nun auch sehr, sehr unterschiedlich Titel gewesen sind.

Q:

Das ist richtig.

Milla:

Aber im Grunde ... ich meine ... ich muß natürlich sagen, wir haben überhaupt nichts dagegen, Hits zu haben. Also so soll sich das auch nicht anhören, daß wir da sitzen und sagen: "Um Gottes Willen, wir wollen keine Platten verkaufen.", das wäre natürlich totaler Quatsch. Wir wollen wirklich Platten verkaufen und wir finden es auch toll, wenn wir mal ‘nen Titel hätten, der sich wirklich richtig verkaufen würde, oder der auch mal richtig oft im Radio gespielt werden könnte. Das ist ja nicht immer so einfach, weil "Wir wollen leben" ist ja auch ein Titel, den viele Sender gar nicht so häufig spielen konnten, weil er doch von der Thematik ein bißchen zu hart war.

Q:

Glaubst Du denn, daß jemand der durch einen solchen Singletitel, nehmen wir mal "Wir wollen leben", auf die Gruppe Grobschnitt aufmerksam geworden ist, von dem was er dann auf den LP’s der Gruppe findet, entweder enttäuscht oder begeistert ist? Glaubst Du, das es irgendwo repräsentativ war, was singlemäßig ausgekoppelt wurde?

Milla:

Ne, eigentlich nicht. Dafür sind unsere Musik und unsere Inhalte auch viel zu bunt. Es passiert durchaus, daß jemand "Wir wollen leben" unheimlich toll findet, sich die LP anhört und kann dann mit dem Rest gar nichts anfangen, weil er was ganz anderes erwartet hat. Und wenn er dann andere LP’s hört, dann ist es schon ganz vorbei. Bei "Silent Movie" ist das ja fast noch extremer, das ist ja ein sehr, sehr ruhiger Instrumentaltitel. Und wenn dann jemand zum Teil andere Titel auf der LP wie "Illegal" hört, die also total verrückt sind, dann wird er wahrscheinlich ‘ne ... dann hat er eine ganz andere Erwartung vorher gehabt. Andererseits passiert es aber auch wirklich sehr häufig umgekehrt, daß jemand "Wir wollen leben" zum Beispiel gehört hat und und hat sich daraufhin die "Razzia"-LP gekauft und war dann von der Musik völlig begeistert und fand das richtig toll, was dann noch an anderen Sachen passiert ist. Ich find es auch richtig gut, daß unser Spektrum relativ groß ist. Das ist auch ‘ne Geschichte, die Live wichtig ist. Wenn man so lange spielt wie wir, 2 ½ Stunden, kannst du zum Beispiel nicht 2 ½ Stunden Heavy Rock machen. Da hast du nach einer Stunde .... deswegen spielen diese Bands meistens auch nicht länger, weil das reicht auch. Wir machen natürlich sehr, sehr viel verschiedene Sachen. Wir machen richtigen Rock, ziemlich harte Sachen; dann auch sehr, sehr weiche Sachen, wo man also nur mit akustischen Gitarren ... wir haben eine akustische Serie, wo wir eine ¼ Stunde nur mit akustischen Gitarren spielen; es gibt dann auch noch pompöse Sachen aus alten Zeiten; das "Solar Music", was dann auch noch ‘ne ganz andere Sache ist; dann allerdings auch sehr kurze eingängige Stücke. Also es ist schon ein richtiges Wechselbad, was da geboten wird.

Q:

So, das war er dann, der Querfunk am Sonntagnachmittag auf der Studiowelle Saar. Rock und Infos von und zu Grobschnitt. Tja, und die Verabschiedung, die soll jetzt auch derjenige in die Hand nehmen, der euch über Grobschnitt erzählt hat, nämlich der Milla Kapolke.

Milla:

Ja vielen Dank, daß ihr soviel zugehört habt ... über Grobschnitt. Ich der Milla, verabschiede mich jetzt von euch und ich hoffe, wir sehen uns mal bei irgendeinem Grobschnitt-Konzert. Tschüß

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