Je näher der Moment des Einlasses kam,
umso mehr Spannung machte sich in der Fangemeinde breit. Man konnte sie
förmlich mit den Händen greifen. Als die 800 Fans dann in die gut 2.000
Leute fassenden Halle (mehr als 800 waren an diesem Abend nicht
zugelassen, obwohl die Nachfrage nach Karten groß war) eintraten,
empfingen Grobschnitt sie zunächst mit einem geänderten Vorprogramm. Ebenso
wie das alte, war es auch eine halbe Stunde lang, enthielt aber andere
Musikstücke, wie zum Beispiel eine Reggae-Version von Pink Floyds „Wish
You Were Here“. Das Ende bestand aber, wie auch bei den Konzerten zuvor, aus einem Walzer,
der die Freude auf das neue Programm ins grenzenlose steigen ließ.
Der Plan der Fans (Intruder, die Idee war klasse) die Band beim Aufmarsch auf die Bühne mit einem Meer
aus Feuerzeugen zu empfangen, gelang nicht ganz, denn Willi Wildschwein
und Milla Kapolke überraschten das Publikum, als sie allein die Bühne
bei voller Beleuchtung betraten und zunächst ausführlich über das neue
Programm, also die Komplettaufführung des Konzeptwerkes „Rockpommel’s
Land“ informierten. Willi erklärte u. a. dass sie während des kompletten
Werkes keinerlei Ansagen machen wollten, um keine Unterbrechungen
hervorzurufen, was sich im Nachgang als äußerst wirkungsvoll erwies.
Er offerierte dem Publikum, dass das
neu arrangierte Stück eine ganze Stunde dauern sollte und
wies humorvoll darauf hin, dass am
Merch-Stand Oropax für diejenigen bereit läge, denen es zu laut sei und
Hörgeräte für diejenigen, denen es nicht laut genug sei. Durch diesen
unerwarteten Beginn holten sich so einige im Publikum schon zu diesem
Zeitpunkt heiße Finger.
Unter großem Jubel gingen die beiden
von der Bühne, das Licht ging aus und was sich dann auf der Bühne und im
Publikum abspielte, ist nicht in Worte zu fassen. Ich versuche es aber
trotzdem:
Während die neu gestaltete Bühne (die
Show war auch mit vielen neuen Lichteffekten versehen) im Dunkeln lag,
ertönte das neue Intro von „Rockpommel’s Land“ das sehr sphärisch, aber
auch unglaublich druckvoll klang. In dieses Intro waren einige
Versatzstücke aus dem Gesamtwerk eingebaut und es war zusätzlich durch
einige Geräusche erweitert worden. Zu diesen Klängen, die vorproduziert
waren, kamen die acht Musiker mit offenen weißen Regenschirmen bewaffnet
auf die Bühne. Die Szenerie wurde durch Regengeräusche und blauem Licht
unterstützt. Manu und Nuki griffen zu ihren Gitarren und stiegen in
dieses Intro ein, das recht lang war und aus komplett neuem Material
bestand. Schon bei diesen ersten Klängen schwappte eine Euphorie- und
Glückswelle durch den Raum die bei den meisten Gänsehaut auf den Pelz
und Tränen in die Augen trieb. Und das sollte nicht das einzige Mal
bleiben, dass Musiker und Publikum auf einer unglaublichen emotionalen
Welle schwammen. Die Zuschauer tauchten mit den ersten Klängen in klein
Ernies Welt ab und mussten feststellen, wie kurzweilig doch eine Stunde
sein kann.
Das von den meisten Fans geliebte Stück „Rockpommel’s
Land“ war an mehreren Stellen umarrangiert und mit neuen Sequenzen
versehen worden. Auch die Showelemente waren durch neue Aktionen
erweitert worden, was aber nicht übertrieben wirkte, sondern
hervorragend in den Gesamtkontext passte. So kamen bei der Straßenszene
in „Severity Town“ ein Schutzmann und zwei Autofahrer in ihren fahrbaren
Untersätzen auf die Bühne und sorgten – wie es ja auch schon auf dem
Album
audiomäßig
der Fall ist – für eine etwas chaotische
Verkehrssituation. Die drei huschten über die Bühne und nach dem sie von
ihr wieder verschwunden waren, kamen zum Geräusch eines Autocrashs zwei
Reifen auf die Bühne geflogen. Ein toller Effekt, der für
Zwischenapplaus sorgte.
Das die Band mit einer hohen
Detailverliebtheit an die Sache geht, zeigt sich auch in den
Nummernschildern der Autos „RPL
GS 09“,
die Abkürzung für
„Rockpommel's
Land“,
Grobschnitt 2009.
Einige Momente später im Titelstück,
in der Szene als Ernie aufwacht, marschierte Demian mit rot/weiß
kariertem Hemd, roter Wollmütze und Trommel als klein Ernie verkleidet über
die Bühne. Das war nicht nur optisch eine äußerst wirkungsvolle
Ergänzung, sondern die Trommel passte an dieser Stelle ganz hervorragend
in den musikalischen Teil. Im Übrigen wechselten sich Demian und Rolf
„Admiral Top Sahne“ während der Aufführung mehrfach an Drums und
Perkussion ab, so dass ein reger Wechsel an den Instrumenten stattfand,
ohne dass ein Bruch im Spiel auszumachen war. Das zeigt ganz deutlich,
wie sich die beiden mittlerweile im Bandgefüge ergänzen. Demian ist aus
dieser Formation gar nicht mehr wegzudenken, sorgt er doch für einen
unglaublichen Druck. Und bei den ja recht schwierigen Keyboardparts
machte es sich darüber hinaus bezahlt, dass Demian seinen Vater Deva
Tattava an den Tasten unterstützen konnte. Selbst Mist hatte damals alle
Hände voll zu tun um den schwierigen Part live umsetzen zu können. Das
ist auch der Grund, warum „Rockmpommel’s Land“ nach nur einer Tour als
Komplettwerk aus dem Liveprogramm gestrichen und fortan nur gekürzt live
gespielt wurde. Es ist einfach sehr
schwierig zu spielen.
Ein weiterer Showact waren die
steinernen Wesen. Während sie in den 70’ern eher etwas lustig aussahen,
hat Rolf Möller die Kostüme in der aktuellen Fassung wesentlich
bedrohlicher angelegt. Die drei sahen absolut echt aus und hätten gut
einem Hollywood-Film entsprungen sein können. Zur Belustigung sorgte
allerdings die Choreographie, denn die Steinwesen tanzten auf der Bühne
wie in einer Disco und die berühmte Fingerbewegung (zwei zum V
gestreckte Finger werden seitlich vor den Augen vorbeigezogen), die man
aus dem Film „Pulp Fiction“ kennt, durfte natürlich auch nicht fehlen.
Und auch der Marboo, der durch die Wolken schwebt, was
wie immer durch die Unmengen an Trockeneis-Nebel hervorgerufen dargstellt
wird,
gehörte
zum Programm.
War den Jungs zu Beginn eine gewisse
Nervosität anzumerken, was zum einen an den neuen Versionen - von denen
sie nicht wussten, wie sie vom Publikum aufgenommen wurden - und zum
anderen an der Konzentration auf das neu einstudierte Programm lag, so legte
sich dies recht schnell und wich einer gewissen Spielfreude und auch
Emotionalität, die sich sofort auf die Zuschauer übertrug. Nicht nur ich
war von dem neu arrangierten Material und der Interpretation des neben
„Solar Musik“ wichtigsten Albums der Band sehr berührt, so dass ein ums
andere Mal die Tränen vor Glückseeligkeit, Freude und Zufriedenheit
kullerten. Wenn man in die Gesichter der anderen Zuschauer blickte, so
hatte man das Gefühl in einen Spiegel zu sehen, denn dort zeigten sich
die gleichen emotionalen Stimmungsbilder. Das aktuelle Band-Lineup hat
ja schon durch ihre vorhergehenden 20 Konzerte bewiesen, dass sie es
drauf haben dieses Material in einer perfekten, modernen Art auf die
deutschen Bühnen zu bringen, aber an diesem Abend haben sie sich noch mal
um einiges gesteigert. Sie öffneten mit ihrer Interpretation quasi den
Brustkorb jedes Besuchers, entnahmen ihm sein Herz, um es eine Stunde
lang mit unglaublicher Musik zu streicheln und setzten es dann wieder
ein, was zu einer inneren Stimmung führte, die ich nicht näher
beschreiben kann. Teilweise stand ich mit zitternden Knien wie benebelt
vor der Bühne. Spontan kam mir nach dieser einen Stunde der Gedanke:
„Eigentlich sollte ich jetzt nach Hause gehen, denn was soll jetzt noch
kommen“. Und ähnlich erging es auch den Musikern auf der Bühne. Nach dem
letzten Ton vielen sich alle in die Arme und Milla und Willi waren
sichtlich vom gerade erlebten emotional so ergriffen, dass auch ihre
Augen nicht trocken blieben.
Hatten Grobschnitt 2008 in Betzdorf
bereits mit ihrer damaligen Version von „Rockpommel’s Land“ an den kurz
zuvor verstorbenen ehemaligen Keyboarder Volker „Mist“ Kahrs gedacht und
ein emotionales Zeichen gesetzt, so war das doch nichts im Vergleich zum
Auftritt am 24.10.2009. Ich bin mir sicher, dass Volker von seiner Wolke
verzückt heruntergeschaut hat und sah, welch unglaublich fesselnde
Version die acht da anno 2009 aus seinem Stück gemacht haben. Besser
kann man es nicht machen. Während ich dies schreibe und die Erinnerung
an den Auftritt wieder zulasse, überkommen mich erneut die emotionalen
Gefühle, die ich live erlebt habe, was man am Text sicherlich merkt.
Die Band legte nach diesem emotionalen
Kraftakt schon ihre Pause ein, die gut 15 Minuten dauern sollte. Diese
Unterbrechung war dringend notwendig und zwar nicht nur für die Musiker
auf der Bühne, sondern auch für das Publikum, das nun erst einmal wieder
durchschnaufen und herunter kommen konnte. In diesen Minuten wurden
beispielsweise erste Eindrücke ausgetauscht oder sich gegenseitig in den
Arm genommen, um das gerade erlebte verdauen zu können.
Als dann das Programm weiterging,
waren gut zwei Stunden Party angesagt. Natürlich war allen klar, dass
nun nicht das komplette Programm der bisherigen Shows kommen konnte,
dafür war das neu ins Programm gekommene Material von „Rockpommel’s
Land“ einfach zu umfangreich. Aber viele fragten sich, was würde
entfallen. Die Jungs starteten mit einer Kombination aus „Razzia“ und
„Illegal“ an das sich nahtlos „Mary Green“ anschloss. Hier konnten sie
richtig loslegen und das Publikum dankte es ihnen mit lautstarkem
mitsingen. Als Showact erschien die Bühnenfigur aus „grünem Kraut“, die
wir schon von den vergangenen Konzerten kennen, allerdings dieses Mal
mit einer Spielzeuggitarre bewaffnet, auf der wild gezupft wurde. Das
Gitarrensolo wurde allerdings zeitgleich von Nuki gespielt.
Als nächstes folgte eine kleine
Ruhephase mit „Silent Movie“, dem sich der mittlerweile zum Livekracher
entwickelte Song „Könige der Welt“ anschloss. Und dann spielten sie eine
gut 45minütige Fassung von „Sonnentanz“, bei dem sie noch mal alles
gaben. Nuki spielte beispielsweise an diesem Abend das Solo seines
Lebens, zumindest hat er sich mal wieder komplett übertroffen und Demian
und Rolf sorgten mit ihrem druckvollen Sound für den perfekten Unterbau.
Die Rhythmuswellen dieser beiden sowie Milla’s Bass und Tatti’s
Keyboards zogen streckenweise wie Druckwellen durch den Raum, die durch
den Brustkorb jedes Besuchers jagten. Da konnte man mal wieder Musik
spüren und nicht nur hören. Und Bulli hatte den Ton so gut ausgesteuert,
was in dieser Halle sicherlich nicht einfach war, da ansonsten hier
Sportveranstaltungen stattfinden, dass keine Ohrprobleme zurückblieben.
Mit diesem „kurzen“ Stückchen endete dann auch der offizielle Teil. Wie
schon bei vielen der letzten Konzerte skandierte das Publikum lauthals
„Oh wie ist das schön“. Nur an diesem Abend war es meiner Empfindung
nach lauter, als sonst.
Die Band kam raus und Toni, der sich
in der Show bis dato nur zu Beginn des zweiten Teils ans Mikro begab,
platzierte sich gleich vorn an der Bühne, was soviel bedeuten konnte,
dass nun „Space Rider“ (allerdings fehlte bei ihm die Kostümierung) oder
„Komm und Tanz“ bevorstand. Mit dieser Einschätzung lag ich aber total
falsch, denn die erste Zugabe lautete - zur Freude aller - „Vater Schmidt’s Wandertag“, dass sie in einer acapella Version begannen, die
um ca. eine Note höher angesetzt war, als im Original. Als dann die
Instrumente einsetzten, hatte ich das Gefühl, dass auch der Beginn des
Stückes (was die Instrumente betrifft) ein wenig umarrangiert wurde und
dadurch der Song noch knackiger wirkte. Nach der Show konnte man aber
erfahren, dass dies nicht so war. Anscheinend wirkt der Wechsel von
Satzgesang zum instrumentierten Teil nun noch frischer. An dieser Stelle
sei auch noch einmal erwähnt, dass alle gut drauf waren und Willi bei
bester Stimme war.
Danach gab es dann noch „Powerplay“ zu
dem die Band und die vielen Helfer vorgestellt wurden. Der Abschluss
gipfelte dann aber noch einmal in einer emotionalen Nummer. Das Finale
des klassischen „Solar Music“ in dem der Wikinger seinen Auftritt hat,
beendete dieses fantastische Liveereignis. Der Plan der Fans, die Band
mit einem Lichtermeer zu empfangen, ging, wie oben beschrieben zwar nicht
auf, dafür revanchierten sich Grobschnitt aber zum Schluss des Konzertes, denn die drei
Fackeln, die der Wikinger am Ende herein trug, blieben eine Weile stehen
und leuchteten den Zuschauern entgegen - ein wirklich erhabenes Bild,
wie ihr sehen könnt.
Nach mehr als drei Stunden
waren Musiker und Zuschauer einmal komplett durch die Mangel gedreht und
es kam eine entspannte Zufriedenheit auf.
Die Entscheidung „Rockpommel’s Land“
an den Anfang der Show zu setzen und im zweiten Teil mit den Fans
abzurocken, erwies sich als genialer Schachzug, denn nach dem emotional
hoch aufgeladenen ersten Teil hatten alle im zweiten Teil Spaß ohne Ende
und konnten so die Emotionen in positive Energie umwandeln.
Ich kann es nur immer wiederholen.
Grobschnitt in dieser Zusammensetzung muss man gesehen haben. Wer die
Show der Band sieht, der wird begeistert sein und mit Sicherheit
wiederkommen. Was diese Kombination aus jungen und älteren, etablierten
Musikern da auf die Bühne bringt, ist echt. Da wird nicht irgendein
Produkt abgeliefert, die Musik wird zelebriert und jeder Ton wird zu
einem Fest. Grobschnitt ist derzeit der beste Liveact im Rockbereich,
den wir in Deutschland haben.
Und noch ein augenzwinkerndes Wort zur
Farbenlehre und den modischen Outfits:
Die Beatles hatten ihr rotes, blaues
und weißes Album, Genesis ihre Black-Show der „Selling England By The
Pound“-Tour. In diesen Reigen reihen sich Grobschnitt nun ein, denn mit
der neuen Show haben sie einen weißen und einen schwarzen Teil im
Programm. Während Milla Kapolke im zweiten Teil der Show in seinem
bekannten schwarzen Outfit auftritt, bestreitet er den ersten Teil (mit
dem kompletten „Rockpommel’s Land“) im schneeweißen (nicht orangenen -
das ist eine andere Geschichte) Dress. Und auch Rolf
Möller, der im ersten Teil mit seinem schwarzen Hemd im Knitterlook wie
ein Magier wirkt, der seine beiden Zauberstäbe durch die Luft wirbelt,
legt im zweiten Teil seine Rockweste an.
Ein besonderes Lob muss an dieser
Stelle auch noch einmal dem Veranstalter und seinen Helfern gemacht
werden. Was die an diesem Wochenende auf die Beine gestellt haben, ist
wirklich aller Ehre wert. Sie haben eine tolle Atmosphäre rund um das
Konzert geschaffen, bei der man sich sofort wohl fühlte.
Nach der Show wurde es noch spät.
Stephan Schelle, 25.10.2009