Das Konzert am 24.10.2009

    

Je näher der Moment des Einlasses kam, umso mehr Spannung machte sich in der Fangemeinde breit. Man konnte sie förmlich mit den Händen greifen. Als die 800 Fans dann in die gut 2.000 Leute fassenden Halle (mehr als 800 waren an diesem Abend nicht zugelassen, obwohl die Nachfrage nach Karten groß war) eintraten, empfingen Grobschnitt sie zunächst mit einem geänderten Vorprogramm. Ebenso wie das alte, war es auch eine halbe Stunde lang, enthielt aber andere Musikstücke, wie zum Beispiel eine Reggae-Version von Pink Floyds „Wish You Were Here“. Das Ende bestand aber, wie auch bei den Konzerten zuvor, aus einem Walzer, der die Freude auf das neue Programm ins grenzenlose steigen ließ.

    

    

    

Der Plan der Fans (Intruder, die Idee war klasse) die Band beim Aufmarsch auf die Bühne mit einem Meer aus Feuerzeugen zu empfangen, gelang nicht ganz, denn Willi Wildschwein und Milla Kapolke überraschten das Publikum, als sie allein die Bühne bei voller Beleuchtung betraten und zunächst ausführlich über das neue Programm, also die Komplettaufführung des Konzeptwerkes „Rockpommel’s Land“ informierten. Willi erklärte u. a. dass sie während des kompletten Werkes keinerlei Ansagen machen wollten, um keine Unterbrechungen hervorzurufen, was sich im Nachgang als äußerst wirkungsvoll erwies. Er offerierte dem Publikum, dass das neu arrangierte Stück eine ganze Stunde dauern sollte und wies humorvoll darauf hin, dass am Merch-Stand Oropax für diejenigen bereit läge, denen es zu laut sei und Hörgeräte für diejenigen, denen es nicht laut genug sei. Durch diesen unerwarteten Beginn holten sich so einige im Publikum schon zu diesem Zeitpunkt heiße Finger.

     

    

Unter großem Jubel gingen die beiden von der Bühne, das Licht ging aus und was sich dann auf der Bühne und im Publikum abspielte, ist nicht in Worte zu fassen. Ich versuche es aber trotzdem:

    

    

    

Während die neu gestaltete Bühne (die Show war auch mit vielen neuen Lichteffekten versehen) im Dunkeln lag, ertönte das neue Intro von „Rockpommel’s Land“ das sehr sphärisch, aber auch unglaublich druckvoll klang. In dieses Intro waren einige Versatzstücke aus dem Gesamtwerk eingebaut und es war zusätzlich durch einige Geräusche erweitert worden. Zu diesen Klängen, die vorproduziert waren, kamen die acht Musiker mit offenen weißen Regenschirmen bewaffnet auf die Bühne. Die Szenerie wurde durch Regengeräusche und blauem Licht unterstützt. Manu und Nuki griffen zu ihren Gitarren und stiegen in dieses Intro ein, das recht lang war und aus komplett neuem Material bestand. Schon bei diesen ersten Klängen schwappte eine Euphorie- und Glückswelle durch den Raum die bei den meisten Gänsehaut auf den Pelz und Tränen in die Augen trieb. Und das sollte nicht das einzige Mal bleiben, dass Musiker und Publikum auf einer unglaublichen emotionalen Welle schwammen. Die Zuschauer tauchten mit den ersten Klängen in klein Ernies Welt ab und mussten feststellen, wie kurzweilig doch eine Stunde sein kann.

    

                   

                   

    

Das von den meisten Fans geliebte Stück „Rockpommel’s Land“ war an mehreren Stellen umarrangiert und mit neuen Sequenzen versehen worden. Auch die Showelemente waren durch neue Aktionen erweitert worden, was aber nicht übertrieben wirkte, sondern hervorragend in den Gesamtkontext passte. So kamen bei der Straßenszene in „Severity Town“ ein Schutzmann und zwei Autofahrer in ihren fahrbaren Untersätzen auf die Bühne und sorgten – wie es ja auch schon auf dem Album audiomäßig der Fall ist – für eine etwas chaotische Verkehrssituation. Die drei huschten über die Bühne und nach dem sie von ihr wieder verschwunden waren, kamen zum Geräusch eines Autocrashs zwei Reifen auf die Bühne geflogen. Ein toller Effekt, der für Zwischenapplaus sorgte. Das die Band mit einer hohen Detailverliebtheit an die Sache geht, zeigt sich auch in den Nummernschildern der Autos „RPL GS 09, die Abkürzung für Rockpommel's Land, Grobschnitt 2009.

    

                   

    

Einige Momente später im Titelstück, in der Szene als Ernie aufwacht, marschierte Demian mit rot/weiß kariertem Hemd, roter Wollmütze und Trommel als klein Ernie verkleidet über die Bühne. Das war nicht nur optisch eine äußerst wirkungsvolle Ergänzung, sondern die Trommel passte an dieser Stelle ganz hervorragend in den musikalischen Teil. Im Übrigen wechselten sich Demian und Rolf „Admiral Top Sahne“ während der Aufführung mehrfach an Drums und Perkussion ab, so dass ein reger Wechsel an den Instrumenten stattfand, ohne dass ein Bruch im Spiel auszumachen war. Das zeigt ganz deutlich, wie sich die beiden mittlerweile im Bandgefüge ergänzen. Demian ist aus dieser Formation gar nicht mehr wegzudenken, sorgt er doch für einen unglaublichen Druck. Und bei den ja recht schwierigen Keyboardparts machte es sich darüber hinaus bezahlt, dass Demian seinen Vater Deva Tattava an den Tasten unterstützen konnte. Selbst Mist hatte damals alle Hände voll zu tun um den schwierigen Part live umsetzen zu können. Das ist auch der Grund, warum „Rockmpommel’s Land“ nach nur einer Tour als Komplettwerk aus dem Liveprogramm gestrichen und fortan nur gekürzt live gespielt wurde. Es ist einfach sehr schwierig zu spielen.

    

                   

    

Ein weiterer Showact waren die steinernen Wesen. Während sie in den 70’ern eher etwas lustig aussahen, hat Rolf Möller die Kostüme in der aktuellen Fassung wesentlich bedrohlicher angelegt. Die drei sahen absolut echt aus und hätten gut einem Hollywood-Film entsprungen sein können. Zur Belustigung sorgte allerdings die Choreographie, denn die Steinwesen tanzten auf der Bühne wie in einer Disco und die berühmte Fingerbewegung (zwei zum V gestreckte Finger werden seitlich vor den Augen vorbeigezogen), die man aus dem Film „Pulp Fiction“ kennt, durfte natürlich auch nicht fehlen. Und auch der Marboo, der durch die Wolken schwebt, was wie immer durch die Unmengen an Trockeneis-Nebel hervorgerufen dargstellt wird, gehörte zum Programm.

                   

    

    

War den Jungs zu Beginn eine gewisse Nervosität anzumerken, was zum einen an den neuen Versionen - von denen sie nicht wussten, wie sie vom Publikum aufgenommen wurden - und zum anderen an der Konzentration auf das neu einstudierte Programm lag, so legte sich dies recht schnell und wich einer gewissen Spielfreude und auch Emotionalität, die sich sofort auf die Zuschauer übertrug. Nicht nur ich war von dem neu arrangierten Material und der Interpretation des neben „Solar Musik“ wichtigsten Albums der Band sehr berührt, so dass ein ums andere Mal die Tränen vor Glückseeligkeit, Freude und Zufriedenheit kullerten. Wenn man in die Gesichter der anderen Zuschauer blickte, so hatte man das Gefühl in einen Spiegel zu sehen, denn dort zeigten sich die gleichen emotionalen Stimmungsbilder. Das aktuelle Band-Lineup hat ja schon durch ihre vorhergehenden 20 Konzerte bewiesen, dass sie es drauf haben dieses Material in einer perfekten, modernen Art auf die deutschen Bühnen zu bringen, aber an diesem Abend haben sie sich noch mal um einiges gesteigert. Sie öffneten mit ihrer Interpretation quasi den Brustkorb jedes Besuchers, entnahmen ihm sein Herz, um es eine Stunde lang mit unglaublicher Musik zu streicheln und setzten es dann wieder ein, was zu einer inneren Stimmung führte, die ich nicht näher beschreiben kann. Teilweise stand ich mit zitternden Knien wie benebelt vor der Bühne. Spontan kam mir nach dieser einen Stunde der Gedanke: „Eigentlich sollte ich jetzt nach Hause gehen, denn was soll jetzt noch kommen“. Und ähnlich erging es auch den Musikern auf der Bühne. Nach dem letzten Ton vielen sich alle in die Arme und Milla und Willi waren sichtlich vom gerade erlebten emotional so ergriffen, dass auch ihre Augen nicht trocken blieben.

    

                   

    

Hatten Grobschnitt 2008 in Betzdorf bereits mit ihrer damaligen Version von „Rockpommel’s Land“ an den kurz zuvor verstorbenen ehemaligen Keyboarder Volker „Mist“ Kahrs gedacht und ein emotionales Zeichen gesetzt, so war das doch nichts im Vergleich zum Auftritt am 24.10.2009. Ich bin mir sicher, dass Volker von seiner Wolke verzückt heruntergeschaut hat und sah, welch unglaublich fesselnde Version die acht da anno 2009 aus seinem Stück gemacht haben. Besser kann man es nicht machen. Während ich dies schreibe und die Erinnerung an den Auftritt wieder zulasse, überkommen mich erneut die emotionalen Gefühle, die ich live erlebt habe, was man am Text sicherlich merkt.

    

    

    

Die Band legte nach diesem emotionalen Kraftakt schon ihre Pause ein, die gut 15 Minuten dauern sollte. Diese Unterbrechung war dringend notwendig und zwar nicht nur für die Musiker auf der Bühne, sondern auch für das Publikum, das nun erst einmal wieder durchschnaufen und herunter kommen konnte. In diesen Minuten wurden beispielsweise erste Eindrücke ausgetauscht oder sich gegenseitig in den Arm genommen, um das gerade erlebte verdauen zu können.

    

    

    

Als dann das Programm weiterging, waren gut zwei Stunden Party angesagt. Natürlich war allen klar, dass nun nicht das komplette Programm der bisherigen Shows kommen konnte, dafür war das neu ins Programm gekommene Material von „Rockpommel’s Land“ einfach zu umfangreich. Aber viele fragten sich, was würde entfallen. Die Jungs starteten mit einer Kombination aus „Razzia“ und „Illegal“ an das sich nahtlos „Mary Green“ anschloss. Hier konnten sie richtig loslegen und das Publikum dankte es ihnen mit lautstarkem mitsingen. Als Showact erschien die Bühnenfigur aus „grünem Kraut“, die wir schon von den vergangenen Konzerten kennen, allerdings dieses Mal mit einer Spielzeuggitarre bewaffnet, auf der wild gezupft wurde. Das Gitarrensolo wurde allerdings zeitgleich von Nuki gespielt.

                   

    

    

Als nächstes folgte eine kleine Ruhephase mit „Silent Movie“, dem sich der mittlerweile zum Livekracher entwickelte Song „Könige der Welt“ anschloss. Und dann spielten sie eine gut 45minütige Fassung von „Sonnentanz“, bei dem sie noch mal alles gaben. Nuki spielte beispielsweise an diesem Abend das Solo seines Lebens, zumindest hat er sich mal wieder komplett übertroffen und Demian und Rolf sorgten mit ihrem druckvollen Sound für den perfekten Unterbau. Die Rhythmuswellen dieser beiden sowie Milla’s Bass und Tatti’s Keyboards zogen streckenweise wie Druckwellen durch den Raum, die durch den Brustkorb jedes Besuchers jagten. Da konnte man mal wieder Musik spüren und nicht nur hören. Und Bulli hatte den Ton so gut ausgesteuert, was in dieser Halle sicherlich nicht einfach war, da ansonsten hier Sportveranstaltungen stattfinden, dass keine Ohrprobleme zurückblieben. Mit diesem „kurzen“ Stückchen endete dann auch der offizielle Teil. Wie schon bei vielen der letzten Konzerte skandierte das Publikum lauthals „Oh wie ist das schön“. Nur an diesem Abend war es meiner Empfindung nach lauter, als sonst.

    

    

    

Die Band kam raus und Toni, der sich in der Show bis dato nur zu Beginn des zweiten Teils ans Mikro begab, platzierte sich gleich vorn an der Bühne, was soviel bedeuten konnte, dass nun „Space Rider“ (allerdings fehlte bei ihm die Kostümierung) oder „Komm und Tanz“ bevorstand. Mit dieser Einschätzung lag ich aber total falsch, denn die erste Zugabe lautete - zur Freude aller - „Vater Schmidt’s Wandertag“, dass sie in einer acapella Version begannen, die um ca. eine Note höher angesetzt war, als im Original. Als dann die Instrumente einsetzten, hatte ich das Gefühl, dass auch der Beginn des Stückes (was die Instrumente betrifft) ein wenig umarrangiert wurde und dadurch der Song noch knackiger wirkte. Nach der Show konnte man aber erfahren, dass dies nicht so war. Anscheinend wirkt der Wechsel von Satzgesang zum instrumentierten Teil nun noch frischer. An dieser Stelle sei auch noch einmal erwähnt, dass alle gut drauf waren und Willi bei bester Stimme war.

                   

    

    

Danach gab es dann noch „Powerplay“ zu dem die Band und die vielen Helfer vorgestellt wurden. Der Abschluss gipfelte dann aber noch einmal in einer emotionalen Nummer. Das Finale des klassischen „Solar Music“ in dem der Wikinger seinen Auftritt hat, beendete dieses fantastische Liveereignis. Der Plan der Fans, die Band mit einem Lichtermeer zu empfangen, ging, wie oben beschrieben zwar nicht auf, dafür revanchierten sich Grobschnitt aber zum Schluss des Konzertes, denn die drei Fackeln, die der Wikinger am Ende herein trug, blieben eine Weile stehen und leuchteten den Zuschauern entgegen - ein wirklich erhabenes Bild, wie ihr sehen könnt.

Nach mehr als drei Stunden waren Musiker und Zuschauer einmal komplett durch die Mangel gedreht und es kam eine entspannte Zufriedenheit auf.

    

    

    

    

Die Entscheidung „Rockpommel’s Land“ an den Anfang der Show zu setzen und im zweiten Teil mit den Fans abzurocken, erwies sich als genialer Schachzug, denn nach dem emotional hoch aufgeladenen ersten Teil hatten alle im zweiten Teil Spaß ohne Ende und konnten so die Emotionen in positive Energie umwandeln.

    

    

    

Ich kann es nur immer wiederholen. Grobschnitt in dieser Zusammensetzung muss man gesehen haben. Wer die Show der Band sieht, der wird begeistert sein und mit Sicherheit wiederkommen. Was diese Kombination aus jungen und älteren, etablierten Musikern da auf die Bühne bringt, ist echt. Da wird nicht irgendein Produkt abgeliefert, die Musik wird zelebriert und jeder Ton wird zu einem Fest. Grobschnitt ist derzeit der beste Liveact im Rockbereich, den wir in Deutschland haben.

    

    

Und noch ein augenzwinkerndes Wort zur Farbenlehre und den modischen Outfits:

Die Beatles hatten ihr rotes, blaues und weißes Album, Genesis ihre Black-Show der „Selling England By The Pound“-Tour. In diesen Reigen reihen sich Grobschnitt nun ein, denn mit der neuen Show haben sie einen weißen und einen schwarzen Teil im Programm. Während Milla Kapolke im zweiten Teil der Show in seinem bekannten schwarzen Outfit auftritt, bestreitet er den ersten Teil (mit dem kompletten „Rockpommel’s Land“) im schneeweißen (nicht orangenen - das ist eine andere Geschichte) Dress. Und auch Rolf Möller, der im ersten Teil mit seinem schwarzen Hemd im Knitterlook wie ein Magier wirkt, der seine beiden Zauberstäbe durch die Luft wirbelt, legt im zweiten Teil seine Rockweste an.

    

    

    

Ein besonderes Lob muss an dieser Stelle auch noch einmal dem Veranstalter und seinen Helfern gemacht werden. Was die an diesem Wochenende auf die Beine gestellt haben, ist wirklich aller Ehre wert. Sie haben eine tolle Atmosphäre rund um das Konzert geschaffen, bei der man sich sofort wohl fühlte.

Nach der Show wurde es noch spät.

              

Stephan Schelle, 25.10.2009

 

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