Das Vorglühen im Domhotel
Ich habe mittlerweile 21 der 34
offiziellen Konzerte der Neuzeit und das erste Fankonzert in
Hagen-Hohenlimburg gesehen. Die meisten davon habe ich auch besprochen.
Direkt nach dem Konzert fühlte ich mich total leer und ich konnte
eigentlich keine Worte finden, die das beschreibt, was ich an diesem
Wochenende wieder erleben durfte. Mit ein paar Stunden Abstand versuche
ich es aber trotzdem.
Die Forumsband beim Proben im Domhotel
Schon der Einstieg in den Tag mit dem
Treffen und Vorglühen im Domhotel (ein kleines Hotel mit einer tollen
Belegschaft, die einen unglaublichen Job gemacht hat – dafür hier mal
mein ganz besonderes Dankeschön), war eine wahre Freude. Ab 12.30 Uhr
(einige waren auch schon einen Tag zuvor angereist) trudelten nach und
nach die Fans ein und es entwickelte sich in ausgelassener Atmosphäre
ein freundschaftliches Treffen. Allein diese Zusammenkunft macht schon
die weite Reise wett. Dazu bekam man auch noch Grobschnitt-Klänge von
der Forumsband, die bereits seit Stunden im Keller des Domhotels probte
und bei der jeder Fan als Zaungast gern gesehen war. Es war erstaunlich,
was sich diese Jungs schon draufgespielt haben.
Das Konzert
Grobschnitt und Betzdorf, das ist eine
Kombination, die seit 1998 untrennbar ist. In 1998 fand das erste
Grobschnitt-Fantreffen statt, zudem daraufhin jährlich eine Anzahl von
Gleichgesinnten reiste. Zu diesem Treffen, das mit gut 20 Besuchern
begann, wurden Livemitschnitte von Grobschnitt angeschaut und so das
musikalische Werk der Band in Ehren gehalten. Willi Wildschwein ließ es
sich daher auch nicht nehmen auf diese Treffen hinzuweisen und sowohl
den Machern als auch den Besuchern zu danken, denn dies war einer der
wesentlichen Gründe, warum die Band seit 2007 wieder auf deutschen
Bühnen zu sehen ist. Man spürte der Band an, dass es ihr eine Freude
war, hier in Betzdorf erneut ein Konzert zu geben (nach 2008 das zweite
der Next Party Tour).
Toni Moff Mollo, der ja schon in Hagen
als Hausmeister auf die Bühne kam, setzte in Betzdorf noch mal einen
drauf, denn er hatte sich für den Auftritt die lässig im Mundwinkel
liegende Zigarre doch glatt angezündet. Die Rauchschwaden des
Glimmstängels wehten durch den Raum und Willi zeigte sich erstaunt, dass
Toni es tatsächlich wahr gemacht hatte.
Wie gewohnt zeigten sich die acht
Musiker dann während des ersten Teils der Show, in der das Rockmärchen „Rockpommel’s
Land“ zelebriert wurde, in perfekter Form. Allerdings hatte Tattva mit
seinem Moog technische Probleme, so dass einige Töne nicht so klangen,
wie es sein sollte. Auch weitere kleinere technische Probleme waren
auszumachen. Das fiel aber nicht wirklich ins Gewicht. Ärgerlicher war
allerdings, dass sich Willi bei einer Bewegung am Fuß verletzte, was ihn
sichtlich behinderte. Er biss aber auf die Zähne und führte
professionell den Gig zu Ende. Man konnte nur erahnen mit welchen
Schmerzen er den Auftritt meisterte.
Ansonsten wurde aber richtig
abgefeiert auch wenn Willi durch seine Verletzung sichtlich behindert
war. Doch einen gestandenen Sänger bringt das nicht aus der Ruhe und so
hielt er – wo manch anderer große Profi abgebrochen hätte – tapfer durch
und nahm es mit Humor. Auch das zeichnet einen Musiker aus, der seine
Musik lebt und für das Publikum und nicht den Kommerz spielt. Man merkt
bei jedem Konzert dass alle an dem Gig Spaß haben. Auch die Roadies und
Helfer, die in die Show mit eingebunden sind, gehören zur großen
Familie. Wo es immer möglich ist, suchen auch sie die Nähe zu den Fans,
in dem sie Begrüßungen, Gespräche oder einfach nur freundliche
Blickkontakte mit den Anwesenden austauschen. So etwas gibt es meines
Wissens nirgendwo anders.
Für mich verging die erste Stunde, in
die ich regelmäßig abtauche und wie aus dem Hier und Jetzt entrückt bin,
wie im Flug. Und bei „Anywhere“ packen mich jedes Mal die Emotionen und
lassen mich wie in Hypnose am Bühnenrand zurück. Ich machte die Augen
nach dem Finale auf und schon stand die Band in Pose um sich in die
Pause zu verabschieden. Wie schnell doch so eine Stunde vergeht.
Nach dem Medley aus „Razzia“ und
„Illegal“ schloss sich dann, wie schon in Hagen, „Vater Schmidt’s
Wandertag“ an. Ein toller Song, der glücklicherweise wieder im Programm
ist, auch wenn „Mary Green“ ebenfalls unverzichtbar ist.
Milla gedachte während des Konzertes an die zahlreichen kritischen
Situationen auf der Welt (vor allem in den afrikanischen Staaten, die
derzeit im Umbruch sind und bei denen sich in den letzten Tagen die
Gewalt gegen unbewaffnete Demonstranten verstärkte). Er sprach seine
Hoffnung aus, dass alles gut ausgehen möge und die derzeit noch an der
Macht stehenden Personen besonnen reagieren. Da bekommt ein Song wie
„Wir wollen leben“ noch einmal eine ganz andere Bedeutung und ist leider
aktueller denn je. Unter großem Jubel und dem Gesang der Zuschauer, der
aus mehreren hundert Kehlen kam, zeigte sich der Singlehit „Wir wollen
leben“ in einer neuen druckvollen Form. Und Willi hatte den Text an
einer Stelle für die neuen Liverversionen etwas abgeändert. Nach
„Die Sonne reißt den
Morgennebel auf,
die Macht marschiert in Reih und Glied.
Sie hat Pistolen, Peitschen, Panzerglas,“
kommt nun statt:
„wir haben unser kleines
Lied.“
der Text: „und jeder weiß was
gleich geschieht.“
Die kleine Atempause bekam das
Publikum mit dem Instrumental „Silent Movie“, gefolgt von dem herrlichen
Livestück „Könige der Welt“. Willi kündigte das letzte Stück an und
erzählte ein wenig aus dem Nähkästchen. In den frühen 70’ern durfte eine
Newcomerband auf Festivals immer nur eine Stunde spielen. Wenn die
letzten fünf Minuten anbrachen und die Veranstalter bzw. Ordner schon
unruhig Zeichen zum Aufhören gaben, kündigten Grobschnitt dann den
letzten Song des Abends an. Allerdings handelte es sich hierbei um
„Solar Music“, das damals schon damals als Longtrack ausgelegt war und
durchaus 60 Minuten dauern konnte. Das sorgte dann für Ärger mit dem
Veranstalter und die nachfolgende Band hatte dann auch immer ein
Problem. Aber auch die aktuelle Version von „Solar Music“, die die 85’er
Fassung des „Sonnentanzes“ als Kern und ein Zeitfenster, in dem die Band
einen längeren Ausflug in sie 70’er macht, beinhaltet, hat an
Faszination nichts eingebüßt. Dieses Stück reißt auch heute noch die
Zuschauer mit, egal ob sie auf den „Sonnentanz“ oder die 70’er
Jahre-Fassung von „Solar Music“ stehen.
Für mich verflog auch diese Version
wie im Zeitraffer. Es wurden aber einige Fanstimmen nach dem Gig laut,
die der Auffassung waren, dass die Betzdorf-Version spürbar länger als
sonst gewesen sein soll. Da ich wieder wie benebelt und völlig
hypnotisch in dieses Stück Musikgeschichte eintauchte, hatte ich das
Zeitgefühl komplett verloren und kann gar nicht sagen ob diese Version
tatsächlich länger war.
Zu „Powerplay“ wurden alle Helfer und
Bandmitglieder vorgestellt. Dabei kam Willi etwas wehmütig mit seiner
Abschiedsrede rüber. Er wünschte dem Publikum alles Gute, falls man sich
nicht wieder sehen würde (es gibt ja in 2011 nur noch zwei weitere
Konzerte und was dann kommt, ist ungewiss). Den Abschluss bildete dann
das „Solar Music“-Finale aus den 70’ern, bei dem der Wikinger mit seinem
brennenden Kerzenleuchter in Erscheinung tritt.
Dass auch die jungen Musiker Nuki,
Manu und Demian schon lange ihre Scheu abgelegt haben und sich wie
gestandenen Musiker präsentieren, davon konnte man sich schon seit
längerem bei den Konzerten überzeugen. Aber besonders Manu ließ an
diesem Abend noch einmal den Rockmusiker raus, in dem er kurzerhand zum
Ende des Konzertes auf die vor der Bühne stehende Box stieg und so noch
näher am Publikum war.
Nach mehr als drei Stunden war dann
Schluss. Die eingeschaltete Saalbeleuchtung machte dann deutlich, dass
nur zufriedene Menschen in die Nacht entlassen wurden, denn die meisten
hatten einen zufriedenen Geschichtsausdruck oder ein Dauergrinsen im
Gesicht. Was kann also mehr Beleg für ein gelungenes Konzert sein? Und
auch noch einige Zeit nach dem Konzert hielten sich eine ganze Anzahl
von Besuchern in der Stadthalle von Betzdorf auf um über das gerade
Erlebte zu sprechen oder sich mit einigen der Musiker zu unterhalten,
die schon kurz nach dem Gig allen Frage und Antwort standen.
Zwei Möglichkeiten haben die
Musikfreunde noch, die Band in der nächsten Zeit zu sehen. Zum einen
treten sie am 11.03.2011 in Osterholz-Scharmbeck (bei Bremen) und dann
zum letzten Mal in 2011 am 02.04. in Neuss auf. Ob es nur eine kreative
Pause ist, oder ein Abschied, das steht noch in den Sternen. Wer
Grobschnitt, die aus meiner Sicht beste Liveband, die unser Land zu
bieten hat, noch nicht gesehen hat, der sollte sich einen dieser beiden
Termine unbedingt vormerken. Nicht ohne Grund haben die Leser der
deutschen Musikzeitschrift ECLIPSED Grobschnitt in der Kategorie bestes
Konzert in den Jahren 2007 auf Platz 4, in 2008 zum besten Liveact, in
2009 auf den 3. Platz und die Redaktion der Zeitschrift sie in 2010 auf
Rang 7 der besten internationalen Livebands gewählt (hier steht die
Leserwahl noch aus).
Publikumsreaktionen
Die acht Musiker präsentierten sich
wieder wie eine Einheit auf der Bühne und so konnten ihnen auch einige
technische Probleme nicht wirklich etwas ausmachen. Wie gewohnt
verzauberten sie das anwesende Publikum, das während der Show andächtig
im ersten Part mit „Rockpommel’s Land“ und teils abrockend im zweiten
Teil in Feierlaune gebracht wurde. Grobschnitt-Konzerte sind immer etwas
ganz Besonderes. Vor der Bühne spürt man eine unglaubliche Energie, die
zwischen den Musikern, allen voran Sänger Willi Wildschwein, der so
manchen lockeren Spruch drauf hatte und auch einige Besucher persönlich
ansprach und begrüßte, und dem Publikum pendelt. Hier wird Rock nicht einfach nur gespielt,
sondern mit hunderten von Freunden gelebt.
Den Abschluss bildete dann ein
gemütlicher Ausklang in der Kellerbar des Domhotels, in der das Team des
Hotels sehr viel Geduld bewies und für eine freundliche und
zuvorkommende Bedienung sorgte. Einige der Bandmitglieder ließen sich
ebenfalls dort sehen und so konnte man noch so manche Anekdote erfahren.
Ein gelungener Abschluss eines tollen Konzertwochenendes.
Fotos: Madeline Schwarz & Stephan Schelle
Text: Stephan Schelle, 21.02.2011
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